The New Beginning

10

HARRY

Ich war schon früh ins Bett gegangen und hatte den Zettel des unbekannten Mädchens immer wieder auseinander gefaltet und ihre Schrift in mich aufgesaugt. Sie kam mir mit der Zeit nur noch wie eine schemenhafte Erscheinung vor, fast schon so etwas wie ein Gespenst. Ein wunderschönes. Mit vollen, roten Lippen, brauner Haut und einem sowieso wunderschönem Gesicht. Morgen würden wir den Song ausfeilen und proben. Vielleicht gab es sie ja doch und ich würde sie wieder sehen. Dass ich mich wie ein Kleinkind benahm, ignorierte ich mehr oder weniger.

Der nächste Tag verlief nicht wirklich anders, als alle anderen. Zed telefonierte die ganze Zeit mit seinem neuesten Schwarm und Louis versuchte verzweifelt, Elanor in einem passenden Moment, also wenn sie online war, erreichen zu können. Nur damit er nicht wie ein Stalker da stand, was er mit seinem Stalking aber eigentlich nur noch schlimmer machte. Niall und Louis prahlten die ganze Zeit mit ihrem neuen Song und beschworen mich, nichts zu erzählen. Ich musste ab dem zweiten Mal laut los lachen, obwohl mir nach heulen zumute war. Mir war relativ schnell klar geworden, dass ich mich ziemlich in dieses Mädchen verliebt hatte. Und außerdem, dass die Chance, dass ich bei ihr ankommen könnte erschreckend gering war. Schon mal, weil ich nicht mal wusste, ob ich sie mir nur vorgestellt hatte. Und ihr Bild, das ich doch so sehr versucht hatte, festzuhalten, verschwand immer weiter. Als der Nachmittag und somit der Besuch bei Paul nahte, wurde ich immer nervöser. Ich saß gerade komplett in Gedanken versunken auf einem Stuhl in meinem Zimmer und starrte eine Seite eines geöffneten Buchs an, als es an meiner Tür klopfte. Erschrocken ließ ich fast mein Buch fallen und rappelte mich schnell auf. Zayn stand in der Tür. „Warum denn so in Gedanken, Harry?", zog er mich auf. Ich lachte bloß kurz und schüttelte mit dem Kopf. „Was ist denn?" ich sah mit einer hochgezogenen Braue in sein Gesicht. „Wir fahren, Dummkopf", lachte er. „Außerdem soll das Gerücht rumgehen, dass Paul von einem Mädchen besuch hat, das über irgendeine deutsche Tante mit ihm verwandt sein soll, El hat sich irgendwie verplaudert, es sollte eigentlich eine Überraschung sein, denke ich. Also die anderen warten schon, kommst du?" Zayn war schon in den Gang gelaufen, als ich immer noch versuchte, meinen Hormonhaushalt in Ordnung zu bringen. Also war es wahr gewesen. Schnell lief ich Zayn hinterher. Die Fahrt über versuchte ich, mir ihren schwindenden Anblick im Gedächtnis zu behalten, was aber nicht wirklich gut klappen wollte, da Niall darauf fokussiert war, mir alle Bilder zu zeigen, die er auf seinem Handy hatte und erzählte mir jeweils die dazugehörige Story.

Bei Paul angekommen, begannen meine Hände, leicht zu zittern. Ich schüttelte meinen Kopf über mein kindisches Verhalten und vergrub sie in meinen Taschen. Elanor war noch nicht da, was ich aber nicht besonders schlimm fand. Paul öffnete uns wie immer breit strahlend die Tür, wofür ich ihn beneidete. Wahrscheinlich konnte ihn noch nicht mal die schlimmste Nachricht aus dem Konzept des Dauergrinsens bringen. Wir begaben uns in den Aufnahmeraum, wo Paul die über und über vollgeschmierten Blättern suchte, die Niall und Liam zusammen beschriftet hatten. Ich lehnte mich auf die Sofalehne zurück und drückte auf meinem Handy herum, bis Louis mir plötzlich von der Seite in mein Ohr raunte, wie sehr es mit El rangehen würde, wenn sie erst einmal da war. Angeekelt von seinen perversen Anspielungen lächelte ich bloß kurz auf und wandte mich wieder meinem Smartphone zu. Der Bildschirm war schon wieder schwarz geworden und ich überlegte, mir endlich ein neues zuzulegen, da es schon viele Sprünge und Dellen hatte. Paul riss mich jedoch aus meinen Gedanken und ließ ein paar lose Blätter auf den vor uns stehenden Glastisch fallen, unter dessen Tischplatte sämtliche alkoholische Getränke zu erkennen waren. Zayn stürzte sich sofort darauf. Er war mit Abstand am neugierigsten gewesen, doch mitkommen wollte er auch nicht. Er ließ immer wieder ein brummen hören, bevor er mit einem zustimmenden Geräusch die Blätter wieder zurück segeln ließ. „Passt im Allgemeinen schon, wir müssen aber noch viel ändern", meinte er mit einem selbstsicheren Ausdruck Niall und Liam ansehend. Und damit war die große Diskussion eingeleitet, an der wir alle uns, wenn auch weniger laut wie Liam und Niall beteiligten. Jedenfalls so lange, bis die Tür aufgerissen wurde und ein schwarzer Haarschopf herein segelte. Sofort verkrampfte sich mein ganzer Körper. Jedenfalls so lange, bis Elanors Gekreische in mein Ohr drang. Ein wilder Haufen aus Haaren, Einkaufstüten und schmucken Mänteln bedeckte Louis jetzt geradezu komplett. Nach kurzer Zeit der Umarmung lief sie auch auf Paul zu, der sie lachend in die Arme schloss. Mein Blick fiel reflexartig zur Tür, wo mich zwei geradezu schwarze Augen gebannt anstarrten. Mein Magen machte einen Satz. Ohne auch nur eine Faser meines Körpers zu bewegen, nahm ich die gleichen Gesichtszüge, die gleichen vollen Lippen und die gleichen schön geschwungenen Augenbrauen wahr. „Aah, gut dass du da bist", riss mich Elanor aus meiner Trance. Aus ihrer wohl auch, was man an ihrem verwirrten Blick sehen konnte. Ich sah wie durch eine dicke Mauer hindurch zu, wie Elanor sie mit sich in die Mitte des Raums zog. Dann ließ sie sich zu Louis auf das Sofa fallen und begann mit der Vorstellungsklausel, was sich ganz schön in die Länge zog. Die Winslows konnte aus wenig Sinn viel, ja schon fast übertrieben nervig viel Text machen. Doch nur sie hatte meine Aufmerksamkeit. Langsam studierte ich ihre komplette Perfektion. Mit einem großen Satz sprang El auf und stellte sich neben sie. „Das ist Ariana, was ihr bestimmt schon erfahren wolltet. Seid nett zu ihr, sie ist neu im Winslow- Clan", meinte sie mit einem unüberhörbaren Hauch von Ironie. Also stellte sie uns ihr vor. Als sie meinen Namen sagte, zwang ich mich schnell, ihr ein kurzes Lächeln zuzuwerfen. Zu meiner Verwunderung lächelte sie breit zurück, wobei sie vorher noch nicht mal den Anhauch eines lächeln gezeigt hatte. Sie zog ihre Brauen zusammen und zwang ihre zuckenden Mundwinkel auffällig zielstrebig, nicht wieder nach oben zu rutschen. Das Phänomen hatte ich schon oft bei Elanor gesehen, wenn sie beleidigt auf Louis war, oder besser gesagt so tat, und er ihr ein Kompliment machte. Ich beobachtete Niall, der sie schmachtend anstarrte und sich langsam mit der Zunge über die Lippen strich. Warum genau war ich nochmal mit diesen perversen Idioten in einer Band? Und damit war es entschieden. Sie war offiziell inoffiziell für mich reserviert. Und ich würde sie mir nicht durch Niall wegschnappen lassen. Liam war glücklicherweise glücklich vergeben, weswegen er sie nur mit einem sanften Lächeln begrüßte, welches aber nicht seine braunen Augen erreichte. „Tja, dann hätten wir wohl die Vorstellrunde hinter uns gebracht", kicherte Elanor. Also dann begeben wir uns wohl mal nach Oben", kündigte sie an und nahm Ariana bei der Hand. „Arbeitet schön fleißig weiter. Und Louis, du weißt, wo du mich findest." Sie zwinkerte ihm zu. Arianas Wangen verfärbten sich sofort tief rot und sie schüttelte ihre Haare leicht über ihr Gesicht. Ein Mädchen, das besonders erfahren war schien sie schon mal nicht zu sein.