Kapitel 1

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Ich sitze gerade mitten im Aufenthaltsraum und unterhalte mich mit den anderen, als Brenda zu uns gestürmt kommt. „Es ist Actiontime!", ruft sie aus und man kann in ihren Augen sehen, wie aufgeregt sie ist. Diese Stimmung überträgt sich sofort auf mich, ich bin nun auch ganz hibbelig und will auf jeden Fall erfahren, was Sache ist und bei dem Spektakel dabeisein. Man kann eigentlich schon von einem Weltwunder sprechen, wenn hier auch mal etwas passiert, was nicht zum Einschlafen öde ist. Der ganze Tag läuft immer nur wieder und wieder gleich ab. Morgens aufstehen, alles abuschen, ob nicht jemand eingebrochen ist, dann Sport treiben, um fit zu bleiben, manchmal auch noch aufräumen, dann abends zusammen mit den anderen zu sitzen und die Themen, die in den Pausen besprochen wurden noch einmal aufgreifen, danach ein paar Spiele spielen und sich dann wieder schlafen lagen. Ich habe es so satt, ich habe das Gefühl, dass ich mein Kopf jede Sekunde gegen irgendetwas schlagen muss, damit das alles hier ein Ende hat. Ich bin es einfach so satt, das kann ich gar nicht in Worte fassen. Da ist Abwechslung das gefundene Fressen für uns, nach dem wir uns nur die Finger schlecken. „Was ist es Brenda? Sind es ein paar Kameraden? Sind sie hinüber?" Brenda schüttelt den Kopf, während sie noch näher in den Kreis, den meine Kameraden und ich gebildet haben, tritt. „Sie sehen noch ganz frisch aus. Keine Ahnung, wie sie es unbeschadet so weit schaffen konnten, doch Jorge wird das alles aus ihnen herausbekommen." Oh ja, da bin ich mir auch sicher. Jorge schafft es, aus jedem die Wahrheit zu kitzeln. Er ist sozusagen der Anführer von unserer Truppe und jeder hört auf ihn, zumindest, wenn man hier ein angenehmes Leben haben will. Ich komme mit ihm wirklich gut zurecht, er ist für Brenda und mich schon immer ein Vorbild gewesen und stellt in einer gewissen Weise immer eine Vaterrolle für uns da, der Vater, der uns immer gefehlt hat. Ja, man kann sagen, dass wir hier eine ziemlich verkorkste Mannschaft sind, aber wir machen das Beste aus unserem Leben. Wir könnten, wenn wir unbedingt wollten, versuchen von hier abzuhauen und es vielleicht irgendwann sogar lebend in eine Stadt zu schaffen, doch dort würde es uns auch nicht besser gehen. Hier sind wir eigentlich vor allem geschützt, unsere Wachhunde passen auf und selbst wenn es so öde ist, kann ich von Glück sprechen, dass ich hier in Sicherheit bin und zumindest nicht darum bangen muss, den nächsten Tag zu erleben. „Dann mal aber los. Ich will sehen, wen es zu uns verschlagen hat", meint Morris und steht von seinem Sitz auf, um sich auf dem Weg zur Treppe zu machen. „Hey, warte mal", Brenda hält ihm ihre Hand gegen die Brust. „Ich muss Jorge erst einmal Bescheid geben, dann werden wir das alles zusammen ansehen." Sie nickt mir zu und so machen wir uns zusammen auf dem Weg zur Treppe nach oben, um Jorge Bescheid zu geben. Wir wissen, dass die anderen warten müssen, wenn sie nicht riesen Probleme bekommen wollen und so dumm, es darauf ankommen zu lassen, sind sie auch nicht.

Wir haben eine Weile mit Jorge gesprochen und nun beschlossen, dass wir die Neulinge mal hier reinlassen sollen, bevor sie noch wegen des Verwesungsgestanks der Wachhunde in Ohnmacht fallen. Unsere Wachhunde sind keine Hunde und auch keine Tiere, obwohl sie sich eigentlich so verhalten. Es sind Menschen, man kann besser sagen, dass sie es mal gewesen sind. Seit einiger Zeit beherrscht ein tödliches Virus unsere Erde und hat schon viele Menschen ausgelöscht. Es wird der Brand genannt und es gibt hier in der Brandwüste genug Menschen, die dieses Virus haben, sie werden Cranks genannt und in unserem Fall angekettet in unserem Keller gehalten, um jeden abzuschrecken, der es auch nur auf unser Anwesen traut. Ohne sie würden wir wahrscheinlich alle schon infiziert sein, weil irgendwelche Crankclans unser Zuhause heimgesucht hätten und uns entweder umgebracht oder gebissen hätten, dass wir nun schon tot wären oder es sehr bald werden würden. Meine größte Angst ist es, dass ich eines Tages auch den Brand bekommen könnte, wenn ich mir vorstelle, dass ich nicht mehr ich selbst wäre und langsam verwesen würde, wird mir ganz Angst und Bange. Nicht selten leide ich an Albträumen, die sich genau damit befassen. Doch bisher ist Brenda dann immer für mich da gewesen, hat mir versichert, wie sicher wir es hier haben und dass mir nichts passieren würde, sie das nicht zulassen würde. Man kann sagen, dass Brenda meine beste Freundin oder sogar schon eine Schwester für mich ist, wir kennen uns eigentlich schon fast so lange wie wir denken können und sind uns immer beigestanden. Ich vertraue ihr einfach. Das ist auch gut so, die anderen hier sind manchmal wirklich komisch, man kann zwar schon irgendwie mit ihnen auskommen, doch ein wirkliches Zuckerschlecken ist es auch nicht. Wir drei sind nun im Keller angekommen, wo wir das bekannte Geschmatze, Gekreische und Gestöhne der Cranks vernehmen und der ach so leckere Geruch, der unsere Nasen erfüllt. Man hört dazu aber heute noch ein paar Stimmen, die sich aufgebracht über etwas unterhalten. Es ist wie ein Wunder für mich, dass hier Menschen, wahrhaftig Menschen aufgetaucht sind, es ist wie ein Wunder. Automatisch mache ich einen Schritt nach vorne, ich kann es einfach kaum abwarten, sie endlich zu sehen, da werde ich schnell von Brenda wieder zurückgezogen, genau in der Sekunde, in der ich merke, dass ich vom Weg abgekommen bin und mich zu weit an einen Crank gewagt habe. Er hat seine Hand schon um meinen Knöchel gelegt und den Mund aufgerissen, bereit, mich zu beißen und mich somit auch mit dem tödlichen Virus zu infizieren. „Pass auf, May. Fast hätte der Crank dich gebissen!", zischt Brenda und ich zucke noch einmal zusammen. „Es tut mir leid", gebe ich peinlich berührt zurück und reibe mit meiner Hand über meine Haut, wo der Crank mich berührt hat. Welche ein Glück ich doch habe, dass er mich nicht gebissen hat. Sonst hätte ich gar keine Zeit mehr, unsere Neuankömmlinge kennenzulernen. Ich hätte dann sehr bald für gar nichts mehr Zeit und Interesse.

The Desert Cranks [The Scorch Trials/ Newt FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt