» Die Ernte «

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»Na dann, ich muss mal los«, grinsend erhob sich Drake und klopfte sich den Dreck von den Hosen. »Heute ist ja Ernte. Wer weiss, vielleicht frühstücke ich heute das letzte Mal mit meiner Familie.« Ich erstarrte. Ernte. Wie konnte ich das bloss vergessen?

»Finnley Miller!« Mein Atem stockte und mein Herz blieb für einen kurzen Moment stehen. Nein, das musste ein Fehler sein. Meine Beine fingen an zu zittern und meine Knie wurden butterweich. Sicherlich hatte ich das nur falsch verstanden. Doch als sich einige Mädchen zu mir umdrehten und leise »Die Arme« oder »Das wird sie nicht verkraften« flüsterten, wusste ich, dass ich richtig gehört hatte. Finnley Miller. Mein Blick schweifte zur Treppe, die zur Bühne führte. Da war er. Seine braunen Haare sauber gekämmt, in der Jeans und dem hellblauen Hemd. Finnley, mein Bruder. Tränen sammelten sich in meinen Augenwinkeln. Alles vor mir verschwamm. Mir wurde gleichzeitig heiss und kalt. »Applaus für unsere dies jährigen Tribute: Aida Malk und Finnley Miller!« Nur vereinzelt klatschten einige Menschen. Ich sah, wie sich diese Aida und Finnley sich die Hand gaben und dann verschwanden sie ins Justiz Gebäude. Das wars, niemand hatte sich freiwillig gemeldet. Er würde in die Spiele müssen. Er musste kämpfen, trainieren, überleben und... vielleicht sterben.

Ich merkte gar nicht, das ich in zwischen aufgestanden war und nach Hause lief. Nun stand ich vor unserer Haustüre, welche ich vorsichtig öffnete. Leise tapste ich über die Fliesen, schliesslich wollte ich niemanden wecken. Gerade als ich die Stufen zu meinem Zimmer hochgehen wollte, liess mich die Stimme meiner Mutter erstarren. »Wo warst du, Felicia?« Mist. Ertappt drehte ich mich um: »Beim See.« »Ich habe mir grosse Sorgen gemacht!«, zischte meine Mutter, in ihren Augen spiegelte sich die Besorgnis wieder. »Ich..«, weiter kam ich nicht, da mich jemand von hinten umarmte. Delphia! »Streitet euch doch nicht, bitte!«, sagte sie mit ihrer zarten, leiblichen Stimme. Ich drehte mich zu ihr um und ging in die Hocke. Ich lächelte sie an: »Wir streiten nicht, Süsse.« Ich strich ihr eine engelsblonde Strähne aus dem Gesicht. Das blonde Haar hatte sie von Mama geerbt. Finnley und ich dagegen hatten die dunkelbraunen Haare meines Vaters geerbt. Doch dieser starb, als ich noch drei Jahre alt war, bei einem Schiffsunfall. Ich kannte ihn also nicht richtig, sondern hatte nur zwei, drei Bilder von ihm gesehen. »Wie findest du das Kleid?«, sie blickte mich stolz an und drehte sich im Kreis. Sie trug ein knielanges, himmelblaues Kleid und ihr langes, blondes Haar trug sie offen. Dazu passende hellblaue Sandalen. »Bezaubernd«, ich lächelte. »Mach dich auch bereit, Felicia. Sonst kannst du nichts mehr essen und wir kommen zu spät.« Die Stimme meiner Mutter war nun wieder so sanft, wie ich es von ihr kannte. Natürlich wusste ich, dass sie es nie böse meinte, sondern einfach Angst um mich hatte. Ich nickte schnell und verschwand in meinem Zimmer.

»Ich habe Angst, Felicia.« Delphia klammerte sich an meinem Arm und blickte mich ängstlich an. In zwischen hatten wir uns auf den Weg zum Marktplatz gemacht, wo die Ernte stattfinden sollte. »Ach, Delphi«, ich legte meine Hand an ihre zarte Wange. »Letztes Jahr wurdest du auch nicht gezogen, also wirst du das auch dieses Jahr nicht.« Ihr Name war nun zwei Mal in der Glaskugel. Also gab es kaum Chancen, dass sie gezogen wurde. Vorsichtig nahm ich ihre Hand: »Versprochen.« Sie zwang sich zu einem Lächeln und ging weiter voran. »Gut, geht jetzt rein. Ich komme euch dann aholen«, sagte Mama und lächelte uns ermutigend an. »Alles klar«, flüsterte ich. Ich wusste nicht, ob ich Angst haben sollte oder nicht. Mit Delphia ging ich dann zu den Friedenswächter, die uns Blut abnahmen und registrierten. Delphia stellte sich zu den dreizehn Jährigen und ich mich zu den sechzehn Jährigen. Nach einer halben Ewigkeit stöckelte dann auch schon Phoebe, die Betreuerin von Distrikt 4, auf die Bühne. Sie trug ein rotes Kleid mit schwarzen Spitzen und weissen Punkten. Das passte perfekt zu ihren roten, kurzen Haaren. »Herzlich Willkommen Distrikt 4, zu der Ernte der 23. Hungerspielen!«

Nachdem ein Film vom Kapitol gezeigt wurde, warum es die Hungerspiele gab, kicherte Phoebe ins Mikrofon. »Nun ziehen wir unsere dies Jährigen Tribute!«, sie ging mit schnellen Schritten auf die Glaskugel mit den Mädchen Namen zu. »Ladies First!« Es herrschte Todesstille auf dem Marktplatz. Man hörte nur, wie Phoebes hohe Schuhe auf der Bühne herum stöckelten. Sie steckte ihre Hand in die Öffnung der Glaskugel und zog einen Zettel von ganz unten. Sie ging mit einem aufgeregten Lächeln wieder zum Mikrofon und öffnete die Karte. Sie räusperte sich kurz. »Herzlichen Glückwunsch an... Delphia Miller!«

Revenge ~ Das Spiel der Rache [#1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt