Kapitel 6

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Die Tage vergingen wie im Flug. Noch 1 Woche, dann würde ich mit Jason Clark auf Geschäftsreise gehen. Ich wusste nicht, ob ich mich freuen oder verzweifeln sollte. Es war einfach eine komische Situation. Wenn wir uns begegneten, nickten wir uns zu, aber er war wieder der geborene Eisprinz. Ich sah ihn auch so gut wie immer nur mit Männern herumlaufen und Annäherungsversuche seitens vom anderen Geschlecht blockte er stets ab. Ich hatte mitbekommen, wie die anderen Frauen immer mehr spekulierten, dass er schwul sei. Naja, ob er nun auf Frauen oder Männer stand, konnte mir ja so ziemlich egal sein. Dennoch verspürte ich einen kleinen Stich in meinem Inneren.
Charles Clark war, wie immer, seit ich den Job beim Clark-Verlag angenommen hatte, das geborene Ekelpaket und ließ keine Gelegenheit aus, mich anzumachen. Ich war wohl die Einzige, die er in dieser Firma noch nicht flachgelegt hatte. Was zumindest erklären würde, warum er mir, anstatt  Püppchen hinterherlief. Alle waren mit den Vorbereitungen für das neue Buch beschäftigt und ich... Tja, ich durfte Dank Mandy wieder einmal nur Akten sortieren.
Heute war allerdings etwas anders, als ich die Firma betrat. Es war so ruhig. Mandy scheuchte mich nicht sofort durch die Gegend und der Empfang war leer. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte, also kochte ich, wie jeden Morgen, als erstes den Kaffee für meinen Chef. 1 Stück Zucker und Milch. Ich machte mich auf den Weg zu seinem Büro, in der Hoffnung, dass er auch heute nicht dort sein würde und ich ihm seinen Kaffee einfach auf den Schreibtisch würde stellen können. Das Glück war allerdings nicht auf meiner Seite.
Ich betrat den scheinbar leeren Raum und erschrak, als ich ein, "Guten Morgen, Lynn," vernahm. Ich machte eine Hundertachtziggradwendung und starrte im stahlblaue Augen.
"Oh. Ich habe sie gar nicht gesehen. Guten Morgen."
Jason saß in seinem schwarzen Sessel und hielt ein aufgeschlagenes Buch in den Händen.
Ich trat automatisch einen Schritt auf ihn zu. "Wo soll ich Ihren Kaffee hinstellen?"
"Stellen Sie ihn einfach hier auf den Tisch. Danke."
Wie befohlen, stellte ich die Tasse auf den kleinen Wohnzimmertisch und das ausnahmsweise einmal ohne ihn umzukippen oder in ein Fettnäpfchen zu treten. Ich war stolz auf mich. Dennoch wollte ich mich schnellstmöglich vom Acker machen, bevor ich doch noch etwas Dummes anstellen konnte. In Jasons Nähe, traute ich mir selbst nicht über den Weg. Immer stellte ich irgendetwas peinliches an. Aber ich war einfach zu neugierig.
"Was lesen Sie da eigentlich?"
Er blickte mich, anscheinend erstaunt, dass ich immer noch im Raum stand, an. Okay, ich musste zugeben ich hatte ihn schon ein wenig zu lange beobachtet, aber er war nun einmal nicht gerade schlecht anzusehen.
"Dank Ihnen 'Bis zum letzten Herzschlag'. Ich hatte selbst noch keine Gelegenheit in das Manuskript zu gucken und wollte nun die fertige Ausgabe lesen."
Auf Grund seines unerwarteten Lobs färbten sich meine Wangen leicht rosa.
"Cool." Oh Gott! Jetzt redete ich mit meinem Chef schon wie mit einem Schuljungen. Manchmal könnte ich mich wirklich selber ohrfeigen.
Jason bemerkte mein Unbehagen und ein schiefes Lächeln stahl sich auf seine Lippen.
"Ja, cool."
Ich stieß ein ersticktes Lachen aus. Diese Konversation war einfach zu verquer.
"Lesen Sie auch gerne?" Fragte er mich plötzlich.
"Ja, total. Ohne Bücher würde ich nicht überleben, sie sind mein Hauptnahrungsmittel."
Jason stand auf. Hatte ich etwas Falsches gesagt? Er stand direkt vor mir und eine mir unbekannte Hitze breitete sich in mir aus.
"Hier. Nehmen sie es. Ich habe noch genug Exemplare." Er reichte mir sein Buch und ich nahm es ehrfürchtig entgegen. Woher wusste er nur, dass ich gestern mein letztes Buch ausgelesen hatte und nun auf dem Trockenen saß?
"Danke." Ich lächelte ihn ehrlich an. Hatte ich etwas zwischen den Zähnen oder warum sah er mich so an. Nein. Er schien mir bis in mein Inneres gucken zu wollen. In seinen Augen blitzte etwas auf, was allerdings sofort wieder erlosch, als er seinen Blick auf etwas hinter mir richtete.
Ich drehte mich um und sah Mandy. Sie schien mich mit ihrem Blick erdolchen zu wollen.
"Lynn. Ich habe dir Rechnungen auf deinen Schreibtisch gelegt. Sortier sie bitte nach Alphabet und Datum."
Ich verdrehte genervt die Augen und verließ den Raum.

Die Zeit verging wie im Flug und der Stapel schien nicht zu schrumpfen. Um 17 Uhr hatte ich gerade einmal die Hälfte geschafft. Ich sortierte und sortierte. Anderson, Andrew, Simposon...
Name um Name fand seinen Platz. Es war draußen schon dunkel geworden, doch ich wurde einfach nicht fertig. Alle anderen waren schon gegangen und die Stille war beinahe erdrückend. Ich war so müde! Überall knackte etwas. In einem Horrorfilm würde jeden Moment der Axtmörder um die Ecke kommen.
"Was machen Sie denn noch hier?"
Ich griff nach dem Brieföffner hinter mir und sprang auf.
Jason lachte.
"Oh Gott, haben sie mich erschreckt!"
Er lächelte immer noch. Machte er sich gerade etwa über mich lustig?
"Sie sollten für heute Schluss machen," sagte er.
"Nein. Ich muss das hier noch fertigmachen." Ich würde mir nicht die Blöße geben und Püppchen morgen erklären müssen, dass ich nicht in der Lage war, meine Arbeit zu erledigen.
Jason sah mich eindringlich an.
"Na gut. Dann helfe ich Ihnen. Zu zweit sind wir schneller fertig."
"Was? Nein. Sie haben besseres zu tun."
"Keine Widerrede." Jason setzte sich neben mich und nahm sich ein Blatt. "Okay, Johnsen muss dann also unter J." Sagte er.
Ich nahm mir ebenfalls ein Blatt. Schulter an Schulter saßen wir auf dem Boden. Ich konnte seine Wärme spüren. Wie gerne würde ich mich an seiner Schulter anlehnen und schlafen.
Ich griff nach einem weiteren Blatt, als unsere Finger sich berührten. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Meine Finger begannen zu prickeln. Automatisch hielt ich die Luft an, während auch Jason scharf die Luft einzog.  Schnell zog ich meine Hand weg. So etwas war mir noch nie passiert.

Jason hatte Recht. Zu zweit ging es tatsächlich schneller. Als wir fertig waren, stand ich auf.
"Dankeschön. Alleine hätte ich das heute nie fertigbekommen."
"Kein Problem. Ich weiß nicht, was Frau Palmer sich dabei gedacht hat, Ihnen so viel aufzuhalsen."
"Frau Palmer und ich mögen uns nicht besonders." Das war mir so herausgerutscht.
Ich sah auf die Uhr. "Scheiße!" Wir hatten elf Uhr.
"Was ist los?"
"Nichts."
"Es ist nicht nichts. Also raus damit."
"Kommt um elf Uhr noch ein Bus?"
"Ich fürchte nein."
"Na dann. Bis morgen."
Ich drehte mich um und ging in den Aufzug. Ich würde mir ein Taxi bestellen müssen. Aber ich hatte kein Geld dabei. Ich würde wohl laufen müssen. Doch 30 Kilometer waren etwas zu weit, vor allem, da ich müde war. Kurz bevor sich die Aufzugstüren ganz schließen konnten huschte Jason hinein.
"Ich fahr dich."
"Nein. Das ist wirklich nicht nötig." Ich musste gähnen.
"Lassen Sie sich doch einfach einmal helfen."
Ich war einfach zu müde.
"Okay." Ich gab mich geschlagen.
Wir gingen in die Tiefgarage unter dem Verlag und blieben vor einem schwarzen Audi R8 stehen. Also Geschmack hatte er ja. Er ging um das Auto herum und hielt mir die Beifahrertür auf. Ganz der Gentleman. Irgendwie fand ich das sexy.
Ich stieg ein und er nahm auf der Fahrerseite Platz.
Er fuhr los.
"Wo wohnst du?"
Ich ratterte meine Adresse herunter und sah aus dem Fenster. Die Lichter der Straßenlaternen zogen am Fenster vorbei.
"Nimm dir das mit Charles nicht so sehr zu Herzen."
Begann er plötzlich zu sprechen.
Charles hatte ich beinahe vergessen, doch mit einem Mal kam alles wieder hoch.
"Ja. Er ist ziemlich speziell."
"Er ist ein Arschloch."
Ich sah ihn geschockt an. Hatte er seinen Onkel gerade als Arschloch bezeichnet?
Er lachte erstickt auf.
"Mein Onkel und ich mögen uns nicht besonders." Ich zog die Augenbrauen hoch.
"Die Kurzfassung ist: Als mein Vater gerade tot war, hat Charles versucht meine Mutter zu überzeugen, ihn zu heiraten. Sie konnte ihn auch nie leiden und sagte nein. So etwas taktloses."
"Okay. Er ist ein Arschloch."
Wir mussten beide lachen.
"Wenn er Ihnen jemals zu nahe kommen sollte, sagen Sie mir bitte sofort Bescheid. Ich werde nicht zulassen, dass Ihnen etwas passiert, das sie nicht wollen." Ich sah ihn verblüfft an. Er sah aber, ganz der Eisprinz, wieder stur auf die Straße.
Der Wagen hielt an.
Ich wollte schon aussteigen, als Jason sagte: "Moment."
Er eilte auf meine Seite und öffnete die Tür und brachte mich zur Haustür.
"Darf ich bei Ihnen vielleicht schnell auf Toilette gehen?"
"Klar."
Ich schloss die Tür auf und wir betraten meine kleine Wohnung. Ich zeigte ihm das Bad und setzte mich auf einen Hocker an meinem Küchentisch. Nur fünf Minuten, dachte ich und legte den Kopf auf den Tisch. Noch bevor Jason wieder aus dem Badezimmer kam, war ich tief und fest am schlafen.
Schade eigentlich. Ich bekam nämlich weder mit, dass Jason aus dem Bad kam, noch wie er mich im Brautstil auf dem Arm nahm und ins Schlafzimmer brachte. Er legte mich sanft auf mein Bett, zog mir die Schuhe aus und deckte mich zu. Er strich mir die Haare aus dem Gesicht und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Er murmelte ein, "Was machst du nur mit mir?" und ging.
Immer wenn es spannend wurde, schlief ich ein. Obwohl ich nicht wusste, wie ich reagiert hätte, wenn ich wach gewesen wäre. Ich hätte mich sicherlich nicht von meinem Boss durch die Gegend tragen lassen...

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Hey. Hier ist mein neues Kapitel. Ich hoffe es gefällt euch, auch wenn nicht so wahnsinnig viel passiert. Danke für 151 Reads. Ihr seid einfach die Besten. Danke, eure nessy199 ;)

Love the Boss or not Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt