Kapitel 9

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Nachdem Jason gegangen war, grübelte ich noch lange über ihn nach. Schlussendlich kam ich zu dem Schluss, dass er tatsächlich schwul war und ich nicht verliebt war, sondern lediglich mit ihm befreundet sein wollte. Man kann sich auch selbst belügen, Lynn. Doch mein Unterbewusstsein unterdrückte ich geflissentlich.
Irgendwann um 8 Uhr morgens begab auch ich mich, immer noch etwas unsicher auf den Beinen, in mein Bett. Als ich wach wurde, waren es schon 19 Uhr. Ich hatte den ganzen Tag verschlafen! Sofort begann ich meinen Koffer zu packen. Ich würde sicherlich haufenweise schicke, elegante und dennoch nicht zu aufreizende Kleidung gebrauchen. Also landeten einige Kleider, Blazer, Kostüme und ein Hosenanzug in meinem Koffer. Meine geliebte Jogginghose ließ ich mir jedoch nicht nehmen. Wenigstens in meinem Hotelzimmer wollte ich mich in meinen Klamotten wohlfühlen. Es würde ohnehin niemand sehen, da wir zum Glück getrennte Zimmer hatten. Außerdem packte ich noch Haufenweise Unterwäsche und Strümpfe ein. Nun könnte ja nichts mehr schiefgehen, dachte ich.
Ich ging früh ins Bett und las noch etwas in "Bis zum letzten Herzschlag", um genau zu wissen, worum es bei der Premiere ging. Das Buch las ich nun schon zum dritten Mal, doch ich konnte nicht genug davon bekommen. Keine Ahnung, ob es wegen der bewegenden Geschichte oder schlichtweg weil Jason es mir geschenkt hatte, war.
Mit dem Buch auf dem Kopf liegend schlief ich ein und wurde um 5 Uhr vom Klingeln meines Weckers aus meinen Träumen gerissen.
Schnell sprang ich unter die Dusche, zog mir eine schwarze Hose, eine blaue Bluse und meine dunkelblauen Pumps an und packte noch schnell meine letzten Sachen, wie zum Beispiel den Kulturbeutel ein. Ich war gerade fertig, als es auch schon an der Tür klingelte.
Ich öffnete die Tür und sah meinen Chauffeur an. Ein dunkelhäutiger, freundlich dreinblickender Mann. Ich schätzte ihn auf etwa Mitte vierzig. Er begrüßte mich, stellte sich als John vor und nahm mir meinen Koffer ab. Wir würden 8 Stunden mit dem Auto unterwegs sein und folglich erst am Nachmittag ankommen. Ich nahm hinten in einer schicken, schwarzen Limousine Platz und sah aus dem Fenster. Plötzlich hielt das Auto an und ich wurde jäh aus meinen Tagträumen gerissen.
"Wir warten noch auf Mister Clark." Klärte mich der Fahrer auf.
"Ok."
Jason hatte ich natürlich total vergessen. Wie konnte ich nur! Es war ja nicht so, als ob wir unnötigerweise mit 2 Autos fahren würden, doch irgendwie hatte ich angenommen, dass Jason darauf bestehen würde, selbst am Steuer zu sitzen.
Die Tür öffnete sich und ein etwas gestresst wirkender Jason stieg ein.
"Guten Morgen, Lynn."
"Guten Morgen, Mister Clark."
Er sah heute wieder einmal total heiß aus, wenn auch etwas zerknittert. Seine Haare standen in alle Richtungen ab und seine Krawatte war nicht richtig gebunden. Ich musste unwillkürlich lachen. Ich hatte wirklich versucht, meine Belustigung über sein Erscheinungsbild zu unterdrücken, doch es ging nicht. Jason seufzte und sagte:
"Ja. Lachen Sie mich nur aus. Ich hab' verschlafen. Nicht nur Ihnen kann so etwas passieren." Dann begann auch er zu lachen.
So konnte ich ihn unmöglich bei unserem ersten Wiedersehen mit dem Autorenehepaar des Buches "Bis zum letzten Herzschlag" erscheinen lassen.
Ich kramte meine Miniaturbürste hervor und beugte mich vor. Seine Haare waren so weich. Am liebsten hätte ich sie ihm noch mehr durchgewuschelt, doch ich musste ja anständig bleiben. Ich rettete seine Frisur und kam seinem Gesicht dabei mit meinem gefährlich nahe. Hielt Jason gerade etwa die Luft an? Nein. Das konnte nicht sein, wieso sollte ein Homosexueller auf ein weibliches Wesen reagieren, geschweige denn auf mich. Ich war einfach Durchschnitt. Hatte ein paar Kilos zu viel auf den Rippen und stinknormale braune Haare.
Als ich mit meinem Werk zufrieden war, packte ich meine Bürste weg und beugte mich erneut vor. Ich hantierte so lange an seiner Krawatte herum, bis sie wieder richtig saß. Dabei hätten nur wenige Zentimeter gefehlt und ich hätte mich genau so gut auf seinen Schoß setzten können, was ich insgeheim liebend gern getan hätte.
"So. Jetzt können Sie sich wieder sehn lassen."
Jason starrte mich mit einem für mich unergründlichen Blick an.
"Danke." Er wirkte leicht heiser. Dann räusperte er sich. "Sie sind ein Engel."
Ich musterte ihn und wieder einmal wurde mir klar, dass er für mich unerreichbar war. Doch was wäre das Leben ohne Träume?
Mister Clark packte einige Unterlagen aus und begann zu arbeiten.
Hielt er überhaupt jemals Ruhe?
Ich las, bis mir irgendwann die Augen zufielen. Mein Kopfkissen war so schön warm und etwas strich mir durch die Haare. Was für ein schöner Traum.
Tuuuut! Ein Auto hupte.
Ich öffnete die Augen und was ich dann sah ließ mich erstarren. Ich lag mit dem Kopf auf Jasons Schoß und sah ihm geradewegs in die tiefblauen Augen. Seine Hand verweilte immer noch in meinen Haaren. Ich blinzelte ein paarmal.
"Entschuldigung. Ich bin wohl eingeschlafen."
"Entschuldigen Sie sich nicht, Lynn. Ich konnte leider nicht widerstehen." Er nahm seine Hand aus meinen Haaren und ich wurde rot. Ich wusste nicht, wann ich zuletzt einem Mann so nahe gekommen war. Meinen letzen und ersten Freund hatte ich mit siebzehn Jahren gehabt. Er hatte mich dann aber nach zwei Jahren Beziehung betrogen und seitdem hatte ich mich nicht mehr verliebt. Bis jetzt...
Ich konnte meinen Blick nicht von ihm losreißen. Wir sahen uns gefühlte Stunden in die Augen, bis der Fahrer sagte, wir seien jetzt da. Scheiße! Langsam sollte ich mich wirklich mal von meinem neuen Kopfkissen erheben. Ich setzte mich auf und murmelte ein weiteres, "Entschuldigung", bevor der Fahrer mir die Tür öffnete. Ich steig aus und merkte, dass wir vor unserem Hotel angehalten hatten.
Jason gesellte sich zu mir, nahm unserer beider Koffer, verabschiedete sich von John und ging mit mir auf das Hotel zu.
Ein Portier öffnete uns die Eingangstür und wir gingen zur Rezeption.
"Guten Tag. Wie kann ich Ihnen helfen?" Begrüßte und die ältere Dame am Empfang.
"Wir würden gerne einchecken. Wir hatten zwei Einzelzimmer auf Clark gebucht." Antwortete Jason routiniert. Er war wohl viel unterwegs. Was hatte ich von dem Chef eines Verlages erwartet?
"Einen Moment bitte."
Die Empfangsdame tippte auf ihrer Tastatur rum und blickte auf.
"Entschuldigung, aber hier steht, dass ein Doppelzimmer auf Clark gebucht wurde."
"Was? Wir hatten ausdrücklich um zwei Einzelzimmer gebeten." Jason war nicht gerade erfreut.
"Moment. Ich sehe noch einmal nach."
Wieder tippte sie unmotiviert auf ihrer Tastatur herum.
"Hier steht ein Doppelzimmer. Entweder sie nehmen es oder nicht. Wir sind ansonsten ausgebucht und da momentan Schulferien sind, sind alle Hotels in der Nähe restlos belegt."
Die Empfangsdame wurde langsam ungeduldig.
"Das kann doch nicht wahrsein!"
Warum war er denn jetzt so sauer? Ekelte ihn die Vorstellung, sich ein Zimmer mit mir zu teilen so sehr an? Ich war etwas gekränkt und sagte gar nichts mehr, während Jason noch etwas mit der alten Frau diskutierte. Schließlich gab er auf und wir wurden zu unserem Zimmer geführt.
Er war riesig.
Ein weinroter Teppich erstreckte sich durch den ganzen Raum, das Doppelbett war einfach nur riesig und voll mit Kissen. Ein Eichenholzschrank erstreckte sich über die eine Wand und eine weitere Tür führte in ein großes gekacheltes Badezimmer. In der rechten hinteren Ecke war eine riesige Badewanne angebracht, links daneben eine Dusche und an der linken Wand zwei Waschbecken. Die Toilette befand sich in der vorderen rechten Ecke. Es war fantastisch. Am liebsten hätte ich mich sofort in die Badewanne gelegt, doch Jason sagte kalt, wir müssten nun sofort los zu unserer Vorbesprechung, zur Planung der Premiere.
Was hatte er nur auf einmal? Klar, ich hätte auch lieber mein eigenes Zimmer gehabt, doch war ich so abstoßend für ihn? Wenn er eh nicht auf Frauen stand, sollte es doch seine geringste Sorge sein, ob er mich vielleicht aus Versehen in der Dusche erwischte. Es sollte eher mir peinlich sein.
Wie sollte ich nur mindestens zwei Wochen mit dem Eisprinzen überleben?

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