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Man könnte denken, dass ich Ashlee nach dem gestrigen Ereignis aus dem Weg gegen würde, aber eher das Gegenteil ist der Fall. Beinahe pausenlos laufe ich ihr über den Weg, auch wenn ich absichtlich andere Flure und Umwege nehme.
Die ersten paar Male haben weder ich noch sie darauf reagiert, aber nachdem wir uns zum fünften Mal an diesem Tag begegneten, konnte ich mir ein kopfschüttelndes Lächeln nicht verkneifen.
"Verfolgst du mich etwa?", frage ich belustigt, während ich das Klassenzimmer meiner 7. Klasse zuschließe.
Ashlee verlangsamt ihre Schritte, dreht sich zu mir um und wirft mir ein herzliches Lächeln zu, das mein Herz höher schlagen lässt.
"Auf Sie muss man aber auch wirklich aufpassen", lautet ihre schlagfertige Antwort und ich kann mir ein leises Lachen nicht verkneifen.
"Da hast du wohl Recht."
Wie immer wenn wir uns unterhalten ist weit und breit niemand zu sehen, die einzigen die wohl in unserer Nähe sein dürften, sind Ashlees Brüder.
Inzwischen ist die Tür abgeschlossen und habe kurz Zeit, meine Schülerin von oben bis unten zu mustern, die lässig vor mir an der Wand lehnt, bevor sie erneut ihren Blick hebt.
"Ich hoffe, ich sehe dich gleich in Sport?", frage ich voller unterdrückter Vorfreude und blicke dabei tief in Ashlee's blaue Augen. Die Schatten unter ihnen sind beinahe wieder verschwunden. Darüber bin ich mehr als erleichtert.
"Sicherlich. Ich-"
Sie stoppt mitten im Satz und ihre Augen weiten sich erschrocken. Chloes Stimme ertönt hinter mir, bevor ich mich verwirrt umdrehen kann.
"Nein, nein ich kann da wirklich nicht! Herrgott nochmal, das ist ja zum verrückt werden!"
Eine ärgerliche Chloe biegt in unseren Flur ein, laut in ihr Handy sprechend.
"Ich muss jetzt auflegen, auf Wiederhören!"
Meine beste Freundin kommt sauer auf mich zugelaufen, macht aber keine Anstalten einen Kommentar über mich und Ashlee abzulassen. Das wundert mich einigermaßen, denn ich habe sie schon sprachlos vor mir stehen sehen.
"Chloe, ich...", versuche ich ihr die Situation zu erklären, doch sie fällt mir ins Wort.
"Hast du kurz Zeit, Liz? Ich muss mit dir reden!"
Da ich immer noch nicht glauben kann, dass Chloe Ashlee einfach ignoriert, werfe ich einen Blick neben mich und stutze. Niemand steht mehr auf dem verlassen Flur. Das erklärt natürlich Chloes normales Verhalten.
"Chloe, ich kann jetzt nicht! Ruf mich später an oder komm vorbei, aber ich muss jetzt zu Sport. Tut mir wirklich leid", entschuldige ich mich und entferne mich mit schnellen Schritten von meiner gekränkten besten Freundin.
Weit komme ich allerdings nicht, denn erneut höre ich laute Stimmen, die sich zu streiten scheinen. Nach kurzem, unfreiwilligen Lauschen, stelle ich erschrocken fest, dass es sich um Ashlee und Noah handelt.

"...gefällt mir gar nicht, Ash."
"Es ist nicht deine Entscheidung!"

Ashlee's Stimme klingt wütend, aber auch bemüht die Fassung nicht zu verlieren, während ihr großer Bruder eindringlich auf sie einredet.

"Ich sage es dir nicht noch einmal. Wir sollen Distanz wahren und das weißt du! Was du tust oder nicht ist deine Entscheidung. Ich kann dich sowieso nicht aufhalten."

Offenbar hat Ashlee etwas getan, was ihrem älteren Bruder überhaupt nicht passt und das bereitet mir Sorgen.

"Ich habe nichts verwerfliches getan. Unterstell mir nichts, das nicht der Wahrheit entspricht, Noah!"
"Das tue ich nicht. Dennoch hast du einen Einfluss auf die jetzigen Geschehnisse."
"Ich weiß."
"Dann tu das Richtige."
"Das werde ich."

Bevor mich einer der beiden noch erwischt, laufe ich schnell weiter Richtung Turnhalle und denke dabei über das gehörte Gespräch nach. Dass Ashlee Probleme mit irgendetwas hat, gefällt mir gar nicht. Aber was meint Noah mit 'Distanz'? Das einzige, was mir immer wieder schmerzlich bewusst wird, ist die unüberwindbare Distanz zu Ashlee, die ich aber trotzdem immer wieder versuche zu umgehen, auch wenn ich heftige Gewissensbisse habe. Ich kann einfach nicht anders. Keiner kann anders! Die ganze Schule steht auf sie. Jedenfalls alle Jungs. Und trotzdem fängt sie nie etwas mit einem von ihnen an. Natürlich kann niemand mit ihren Brüdern mithalten, aber es gibt durchaus hübsche junge Männer in den höheren Klassen, die sehr interessiert an Ashlee sind und einiges für einen Kuss oder sogar einer Nacht mit ihr tun würden.
Bei dem Gedanken, Ashlee mit einem dieser Typen im Bett zu erwischen, bohrt sich etwas spitzes in mein Herz und lässt mich ungewollt knurren. Vor meinem inneren Auge verschwimmt die Szene und statt dem Jungen liege ich neben diesem wunderschönen Wesen und streiche ihr zärtlich eine Strähne ihres kupferbraunen Haares zurück. In meinem Kopf bin ich es, die sie im Arm halten und liebevolle Dinge in ihr Ohr flüstern darf.
Verwirrt und erschrocken von meinen eigenen Gedanken komme ich schließlich in der Turnhalle an und ziehe mich schnell in der Lehrerkabine um. Meine Schülerinnen sind bereits da und als ich gerade einige Stationen aufbaue, schlendert das wohl schönste Mädchen der Welt in die Halle und lässt ihre tiefblauen Augen auf mir ruhen.
Im Gegensatz zu ihren Mitschülerinnen trägt Ashlee eine lockere Jogginghose die tief auf ihrer Hüfte sitzt und den Blick auf einen schmalen Streifen Haut frei gibt.
Mir fällt beinahe der Medizinball aus der Hand und meine wortlose Bewunderung hört auch nicht auf, als ich den Mädchen die Anweisungen gebe, mit dem Zirkel zu beginnen. Meine Augen ruhen pausenlos auf Ashlee die mit Leichtigkeit jede Station meistert, sich spielerisch an der Reckstange nach oben zieht und dabei stramme Muskeln unter ihrer Haut zum Vorschein bringt.
Ich bin so hingerissen von ihrem Anblick, dass ich es erst gar nicht mitbekomme, wie ein anderes Mädchen sich an den Basketballkorb klammert und lachend hin und her schaukelt.
"RUNTER DA! SOFORT!", brülle ich zornig und renne zu ihnen hinüber. Das Mädchen lässt augenblicklich los, aber da ist es schon zu spät. Die Halterung des Korbes bricht ab und mir gelingt es nur noch meine Schülerin aus dem Weg zu stoßen, dann fällt der Korb samt gläsernem Backboard auf mich.
Doch ich spüre keinen Aufprall.
Denn ein warmer Körper hat mich blitzschnell an die Wand gedrückt und schirmt meinen Körper somit von den umherfliegenden Splittern ab. Ich bin so unter Schock, dass ich erst gar nicht auf die panischen Schreie meiner Schülerinnen reagiere, sondern erst wieder klar Denken kann als eine weiche Stimme dicht vor mir erklingt.
"Sind Sie verletzt?"
Ihre Lippen sind kaum eine Handbreit von meinen entfernt und ihr süßlicher Atem nimmt mir die Fähigkeit zu sprechen. Ein zitterndes Kopfschütteln ist alles was ich zustande bringe.
Ashlee stützt sich vorsichtig links und rechts von meinem Kopf ab. Dann strömt wieder Luft zwischen unsere Körper, als sie einen Schritt zurück tritt und sich eilig von mir entfernt.
Bestürzt starre ich auf den zertrümmerten Basketballkorb vor mir auf dem Boden und dann in die geschockten Gesichter meiner Schülerinnen.
"Ihr...ihr geht euch jetzt bitte umziehen, ich kümmere mich hierum", sage ich mit zitternder Stimme. Sie nicken gehorsam und verschwinden augenblicklich in den Kabinen. Aus den Augenwinkeln nehme ich noch einmal Ashlees prüfenden Blick auf mir wahr, bevor auch sie verschwindet.
Nachdem ich den Hausmeister über den Unfall in Kenntnis gesetzt habe, ziehe auch ich wieder meine Straßenklamotten an und sehe zur Kontrolle ein letztes Mal in die Mädchenumkleide, als mich beinahe der Schlag trifft.
Vor mir steht eine oberkörperfreie Ashlee, den Blick stirnrunzelnd auf das Handy in ihrer Hand gerichtet. Außer ihr ist niemand mehr da.
Mein Mund klappt auf und ich muss ein Keuchen unterdrücken, während ich deutlich ein Ziehen in der Leistengegend spüren kann.
Ich weiß gar nicht wo ich zuerst hinschauen soll. Auf ihren muskulösen und fein definierten Bauch oder auf ihre Brüste die einfach nur perfekt sind.
Zum Glück besitze ich genügend Anstand meine Augen zu bedecken und mich laut zu räuspern.
"Schon gut. Nichts, was Sie nicht auch hätten", antwortet eine gelassene Stimme und ich spähe durch meine Finger.
Ashlee hat sich einen BH angezogen und wirft sich gerade ihr T-Shirt über.
"Ich...ich wollte mich für vorhin bedanken", bringe ich stotternd heraus und werde prompt rot. Ihr unglaublicher Anblick hat in mir etwas zum durchdrehen gebracht.
"Ich höre eben nicht gerne auf meine Brüder", flüstert Ashlee und streicht mir einmal zart mit den Fingern über die heiße Wange. Dann nimmt sie ihre Sporttasche und lässt mich perplex stehen.

With you everything changedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt