Marc

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Ashlee
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Ich sehe Liz noch nach, als sie über den dunklen Rasen zurück zum Haus läuft und sich zu ihren Freunden ans Feuer setzt. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen kehre ich dem Geschehen den Rücken zu und verlasse das Grundstück. Zu Fuß mache ich mich auf den Rückweg in die Stadt und brauche dafür nicht einmal fünf Minuten, was aber daran liegt, dass ich den größten Teil der Strecke in vollkommener Dunkelheit zurücklegen kann und deswegen erst am Rande der Stadt langsam in eine normale Geschwindigkeit wechseln muss.
An der vielbefahrenen Hauptstraße laufe ich schließlich gemütlich den Bürgersteig entlang und ziehe mein Handy hervor um meinen Brüdern zu schreiben, dass ich erst in ein paar Stunden nachhause kommen werde. Die Antwort erhalte ich prompt.
"Ohoh, die wievielte Frau ist das denn für diese Nacht? Oder ist es ein Kerl?"
Ich muss über meinen Zwillingsbruder schmunzeln und bleibe kurz stehen um zurückzuschreiben.
"Ich habe aufgehört zu zählen, Rob. Aber wenn ein Typ dabei gewesen wäre, wüsste ich das."
Die Lüge geht mir leichter von der Hand, als sie sollte aber diesmal will ich dass niemand etwas von Liz und mir erfährt. Zu ihrem Schutz. Denn auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass unsere Forschungen schon bald den Durchbruch erlangen werden, haben wir noch immer mit den Revec zu kämpfen und vor allem mit Collin. Seit ich wieder in Liz' Stadt bin, habe ich ihn zweimal in meiner Nähe gesehen, doch ich habe stets darauf geachtet, dass weder er noch seine Kumpel dabei waren, als ich mich mit Liz getroffen habe. Aber solange diese Gefahr besteht lasse ich meine Brüder in dem Glauben, ich würde mit unzähligen Frauen die Nacht verbringen, wenn ich fort bin um bei Liz zu sein.
"Lass mich einfach in Ruhe und verschwinde aus meinem Leben! Ich bin fertig mit dir!"
Ich hebe den Blick und sehe eine junge Frau in knappen Kleid zügig auf mich zukommen, der ein gleichaltriger Mann mit wehender Krawatte folgt und sich verzweifelt die Haare rauft.
"Ich habe dir schon hundertmal gesagt, dass ich nur zu meiner Schwester will!", versucht er sie aufzuhalten, doch da landet bereits ihre Hand in seinem Gesicht und ich sehe genauso verblüff wie der geschockte Mann dabei zu, wie seine aufgebrachte Freundin in ihr Auto steigt und davon fährt.
"Streit?", wende ich mich mitfühlend an ihn und er sieht mich nur traurig an. Das braune kurze Haar sieht ziemlich durcheinander aus und in seinen grünen Augen schimmert es verdächtig. Mir kommen diese Augen seltsam vertraut vor.
"Wohl der letzte. Ich glaube nicht, dass ich sie noch einmal wieder sehe", antwortet er mit rauer Stimme und steckt seine Hände in die Taschen seiner Anzughose.
"Das tut mir leid für euch. Vielleicht kannst du ihr ja doch noch klar machen, dass das ganze nur ein Missverständnis war?"
Er zuckt mit den Schultern und erneut blickt er mich mit diesen seltsamen Augen an.
"Essy ist seit ich sie kenne krankhaft eifersüchtig. Und nur weil ich morgen meine Schwester besuchen wollte ohne dass sie mitkommt, ist sie vollkommen ausgerastet."
Er schüttelt den Kopf, dreht sich dann langsam um und beginnt sich von mir zu entfernen.
"Na ja, ich muss jetzt nur zusehen, ob ich ihr Essen irgendwie zurück in die Küche schicken kann."
Ich nicke und will ebenfalls in die entgegengesetzte Richtung verschwinden, da höre ich erneut seine Stimme.
"Hey! Möchtest du vielleicht...? Ich meine, hast du noch etwas vor oder...?"
Als ich mich umdrehe, lächelt er mich verlegen an und zuckt mit den Schultern.
"Solange das kein Date wird...", beginne ich, doch er hebt sofort abwehrend die Hände.
"Nein, Nein natürlich nicht, mir ist ja eben grade die Freundin weggelaufen, es wäre nur schade um das Essen und du wirkst sympathisch auf mich, also..."
Er verstummt unsicher und richtet den Knoten seiner Krawatte während ich schnell überlege.
Wäre das in Ordnung für Liz? Immerhin gehört sie jetzt praktisch fest zu mir und ich will auf keinen Fall, dass sie denkt ich wäre ihr schon am ersten Abend nicht treu. Andererseits macht der junge Mann wirklich einen geknickten Eindruck und scheint nur seinen Abend retten zu wollen. Oder die Nacht. Es ist bereits 0:45 Uhr.
"Ich bin Ashlee."
Er ergreift meine ausgestreckte Hand und schüttelt sie leicht. Sein Händedruck ist angenehm.
"Marc. Schön dich kennenzulernen."
Wir lächeln uns an und er deutet mit dem Arm den Bürgersteig entlang.
"Und die Frau die vorhin dort aus dem Restaurant geflüchtet ist, ist meine Freundin Essy. Oder war sie zumindest."
Bei seinen letzten Worten wird seine Stimme rau und ich sehe wie er einmal heftig schlucken muss, bevor er weiterredet. Marc scheint wirklich nicht daran interessiert zu sein gleich eine neue Frau abzuschleppen. Offenbar ist er die Sorte von Mann, die ich wirklich gut leiden kann, wenn ich mich schon nicht in sie verliebe.
"Wie lange seid ihr denn schon zusammen?", frage ich während wir gemeinsam in die Richtung gehen, in die er zuvor gezeigt hat.
"Drei Jahre. Ich habe sie während meines Studiums kennengelernt und später als ich dann gearbeitet habe, hat es schließlich irgendwann gefunkt."
Ich nicke verständnisvoll und Marc hält mir die Tür auf, als wir kurz darauf das Restaurant betreten.
"Hier hinten."
Er führt mich zu einem hübschen Tisch und wir setzen uns, während der Kellner uns das bestellte Essen bringt, wobei er Marc mit einem tadelndem Blick bedacht.
"Er denkt offenbar ich hätte eine größere Auswahl an Frauen, läuft die eine weg rufe ich die nächste an, dabei habe ich mich nicht einmal getraut Essy damals auf ein Date einzuladen", flüstert Marc mir zu, nachdem der Kellner uns den Rücken zugedreht hat und ich muss unweigerlich grinsen. Auf mich wirkt Marc wie Anfang dreißig und dass er sich trotz seines Alters nicht traut eine Frau einzuladen, macht ihn unweigerlich noch eine Spur sympathischer.
"Frauen können es einem aber auch manchmal schwer machen", erwidere ich schmunzelnd und muss sofort an Liz und unsere verzwickte Beziehung zueinander denken. Obwohl das Wort Beziehung ein freudiges Klopfen meines Herzens auslöst und ich die Berührung ihrer Lippen immer noch auf meinen spüre.
"Die einzige Frau die ich kenne und die nicht kompliziert ist, ist meine kleine Schwester", lächelt Marc und nimmt einen Schluck von seinem Wein.
"Sie ist süß, witzig, immer gut drauf und unglaublich liebevoll. Sie ist auch der Grund warum ich hierher zurückgekommen bin. Ich vermisse sie einfach so sehr, wir hatten immer eine sehr enge Beziehung zueinander."
"Na so wie sich das anhört, scheint sie ja wirklich Konkurrenz für Essy zu sein", scherze ich und er lacht.
"Das denkt Essy wahrscheinlich wirklich. Sie hat mir auch schon hunderte Nachrichten geschrieben, schau!"
Marc zieht sein Handy hervor und hält mir den Sperrbildschirm hin.
Ich nicke während ich die Nachrichten überfliege.
"Anscheinend denkt sie, dass du ihr fremdgehen wolltest", schlussfolgere ich, während Marc genervt aufstöhnt.
"Und dabei ist meine Schwester gar nicht mein Typ."
Er hält mir erneut sein Handy hin und ich starre wie gebannt auf den Bildschirm.
Eine junge Frau lächelt mich an. Und ich komme nicht umhin festzustellen, dass dieses Foto wohl das schönste Foto ist, dass ich je von ihr gesehen habe.
"Das ist meine Schwester, Liz."

With you everything changedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt