Hinterhalt

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Ashlee
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Ich stehe neben der Liege in der Mitte des Labors und betrachte nachdenklich den jungen Mann, der friedlich schlafend darauf liegt. Seine Atmung ist ruhig und seine rötlichen Haare fallen ihm leicht in die Stirn. Die Elektroden auf seinem nackten Oberkörper sind durch Kabel mit verschiedenen Monitoren verbunden und geben Auskunft über seinen derzeitigen Zustand.
"Das ist der 235. Mensch, den wir untersuchen und noch immer fehlt ein Teil des Puzzles", grummelt Arthur und tippt frustriert einige Daten in den Pc ein. Dabei schüttelt er den Kopf und seufzt anschließend tief.
"Merkmale?", frage ich und lehne mich mit verschränkten Armen gegen die Wand hinter mir.
"Überdurchschnittliche Intelligenz, allerdings hat er kaum Geruch an sich. Timon hätte ihn beinahe nicht hier her gebracht."
Ich nicke, während Arthur eine Spritze aufzieht und den Inhalt durch eine Infusion langsam in den Körper des Mannes tropfen lässt.
"Stimmen seine Werte mit den Werten der anderen in seiner Kategorie überein?"
Der ältere Mann vor mit streicht über seine grauen und schon lichteren Haare und rückt seine Brille zurecht, bevor er antwortet.
"Nun ja, er ist wirklich sehr intelligent und im Grunde ist sein Gehirn unserem sehr ähnlich, aber es unterscheidet sich in vielen Dingen dann doch zu sehr, um eindeutig einen einzigen Wirkstoff bestimmen zu können, der die Veränderungen bei uns ausgelöst haben könnte. Es muss ja immerhin der gleiche Stoff sein, der zum Beispiel auch in unseren Muskeln steckt und sie so von besonders schnellen Menschen unterscheidet. Wir suchen einzig und alleine diesen einen Unterschied aber bis jetzt haben wir noch keinen Wirkstoff gefunden der all diese Mutationen bei uns gleichzeitig ausgelöst haben könnte! Das ist sehr frustrierend, glaub mir!"
Nun ist es an mir zu seufzen und ich stoße mich resigniert von der Wand ab und klopfe unserem Arzt freundschaftlich auf die Schulter.
"Wir finden schon noch heraus was das für ein Wirkstoff ist. Vielleicht ist die Spur, die drei unserer Sucher gerade nachgehen, ein Treffer. Und wenn wir eine kleine Menge davon haben, dann wissen wir endlich, wie wir die Revec ein für alle Mal unschädlich machen können."
"Ich frage mich nur wie psychisch instabil man sein muss, um Säuglingen dieses Mittel zu indizieren und sie anschließend als Kämpfer aufeinander loszulassen, sobald sie ein gewisses Alter erreicht haben. Es ist nichts anderes als ein Wettkampf für ihre Erschaffer gewesen, ein bloßes Kräftemessen und die Gier nach Macht, um solche Mutanten zu erschaffen, damit ihr Leben zu zerstören und danach nicht einmal im Stande zu sein, sie ohne Ausnahme wieder beseitigen zu können-"
Wütend schlägt Arthur mit der Faust auf den metallenen OP-Tisch und ich unterbreche ihn schnell, bevor er sich noch weiter in Rage redet.
"Die Mutanten brachen aus, mischten sich unter Menschen und pflanzten sich mit ihnen fort. So sind die nachfolgenden Generationen entstanden, das weiß ich mittlerweile alles auswendig."
"Ich weiß, Ashlee, ich weiß. Ich habe dir diese Geschichte hundert Mal erzählen müssen, als du noch ein kleines Mädchen warst."
Der ältere Mann vor mir schmunzelt.
Ich lächle zurück.
"Der Erschaffer der Revec setzte auf eine möglichst große Anzahl an Kämpfern, also bekam jeder von ihnen einen geringeren Anteil des Wirkstoffes, als es bei unseren  Vorfahren der Fall war. Sie waren zwar weniger, wurden aber mit mehr Wirkstoff vollgepumpt. Der Grund weswegen wir jetzt stärker, aber die Revec dafür umso mehr sind. Siehst du, ich habe mir alles gemerkt."
Ich grinse und Arthur reckt den Daumen in die Höhe, so wie jedes Mal wenn ich ihm unsere Herkunftsgeschichte ohne Fehler wiedergeben konnte.
"Bravo."
"Danke, danke. Allerdings muss ich langsam los, ich habe noch etwas zu erledigen", entschuldige ich mich und bin schon bei der Tür, als er mich aufhält.
"Kannst du diesen Jungen noch zurück bringen? Er wird in zwanzig Minuten aufwachen."
In Windeseile hat Arthur den jungen Mann auf der Liege von allen Fremdkörpern auf und unter seiner Haut befreit und ihm seine Jacke übergezogen. Mit bittendem Blick hält er mir den schlafenden Körper hin.
Ich seufze ergeben und lege mir die Last vorsichtig auf die Schulter.
"Danke dir."
"Keine Ursache."
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"Ich hoffe, du findest von hier wieder nachhause", murmle ich, als ich den jungen Mann vorsichtig auf einer Bank im dunklen Stadtpark ablege. Die Flasche mit Whisky, die ich neben ihn lege, soll ihm seinen Gedächtnisverlust erklären, der eigentlich von unseren Medikamenten herrührt. Ich hoffe wirklich, dass er es für eine plausible Erklärung hält.
Ein paar Augenblicke betrachte ich noch mein Werk, dann drehe ich auf dem Absatz  um und verschwinde in der Dunkelheit.
Meine Beine tragen mich wie von selbst in die Richtung von Liz' Wohnung, als plötzlich ein schwarzer Schatten über die Straße huscht und vor mir im Gebüsch verschwindet. Sofort steigt mir der markante Geruch der Revec in die Nase und ich balle die Hände zu Fäusten, die Alarmglocken schrillen in meinem Kopf.
Urplötzlich trifft mich ein heftiger Stoß in den Rücken und ich taumle nach vorne, fange mich aber sofort wieder und knurre wütend auf, während ich blitzschnell herumfahre.
Was ich sehe ist nicht gut. Gar nicht gut. Um mich herum stehen 12 dunkle Gestalten und kommen Schritt für Schritt näher. 12 Revec. Das sind zu viele für mich.
Im selben Moment sehe ich im Augenwinkel eine der Gestalten auf mich zu stürmen und kann gerade noch ausweichen, doch dafür landet die Faust eines zweiten Revecs direkt in meinem Gesicht.
"Was zur Hölle!"
Ich taumle zwei Schritte zurück und spüre, dass über meiner Stirn eine Wunde klafft, denn das Blut tropft auf meine Wange hinunter. Meine Verwirrtheit nutzt ein weiterer Revec und will sich auf mich stürzen, doch diesmal bin ich schneller. Ich ducke mich und schlage ihm mit voller Kraft in den Magen. Stöhnend sackt er zusammen und ich ergreife meine Chance für den Moment, um ihn mit einem wütenden Tritt von mir wegzustoßen. Mein Triumph währt allerdings nicht lange, als sich ein Fuß in meine Kniekehlen rammt und ich unsanft zu Boden falle. Grobe Hände zerren meinen Oberkörper nach oben und als ich mich losreißen will, trifft mich ein weiterer Fuß voll in die Seite. Ich krümme mich vor Schmerzen, will mich wehren, doch meine Hände werden von einer unglaublichen Kraft festgehalten.
"Was wollt ihr von mir, verdammt!", knurre ich und versuche auszuweichen, als eine Faust auf meinen Oberkörper zu rast,  jedoch vergeblich.
Ich spucke Blut und mein ganzer Körper beugt sich unter den Schlägen, doch ich bitte sie nicht aufzuhören. Diese Genugtuung gebe ich ihnen nicht.
"Genug! Das reicht fürs Erste!", höre ich gerade noch eine bekannte Stimme sagen, doch da trifft mich ein weiterer Schlag an der Schläfe und ich verliere das Bewusstsein.

With you everything changedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt