Verrat?

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Ashlee
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Es ist kaum zehn Minuten her seit der hitzigen Auseinandersetzung mit Noah und ich bin bereits in meinem Zimmer und packe stillschweigend ein paar Sachen zusammen. Beobachtet werde ich dabei von Rob und Emily die mit sorgenvoller Miene im Türrahmen stehen und jeden meiner Schritte mit den Augen verfolgen.
"Hast du dir das wirklich gut überlegt, Ash?", fragt mein Bruder zweifelnd und verschränkt hilflos die Arme vor der Brust. Er weiß genau, dass er mich nicht aufhalten kann. Niemand kann das.
"Ich habe mir gar nichts überlegt, Rob", gebe ich kälter zurück als ich beabsichtigt hatte und versuche gleich darauf, als ich erneut den Mund öffne, die Schärfe aus meinen Worten zu nehmen," ich weiß nur, dass das der einzige Weg ist um Liz zu retten. Würdest du nicht genau dasselbe tun wenn es um Emily gehen würde?"
Rob wirft seiner Freundin einen unglücklichen Blick zu und legt dann einen Arm um sie.
"Ich verstehe dich."
Seine Augen drücken die Ehrlichkeit seiner Worte aus und auch Emily nickt zustimmend, auch wenn sie mehr als traurig aussieht.
"Danke."
Ich lächle ihnen schief zu und lasse das Bild auf mich wirken, wie mein Zwillingsbruder beschützend an der Seite seiner Freundin steht. Und gleichzeitig wandern meine Gedanken zu Liz und wie gerne ich ihr diese Art von Schutz bieten würde. Mit mir an ihrer Seite und der Sicherheit, dass es ihr gut geht. Aber ich kann es nicht.
Wenn ich ihr ein sorgenfreies Leben, ja wenigstens ein Leben ermöglich möchte, dann werde ich sie nie wieder sehen können. Und das zerreißt mich. Mit jeder Sekunde die verstreicht und mit jedem Gedanken an sie. Jedes Mal scheint sich etwas spitzes, glühendes in meine Brust zu graben und zwar genau an der Stelle, an der mein Herz schlägt. Aber irgendwie finde ich die Kraft nicht weinend auf meinem Bett zusammenzubrechen. Irgendwie muss ich weitermachen. Immer weiter.
"Wo wirst du hingehen?", fragt Emily schließlich mit leiser Stimme während ich dabei bin meine Jacke über die Schultern zu ziehen.
"Weg. Dorthin wo mich niemand finden wird."
Ich schließe meinen Schrank und wende mich noch einmal zu meinem Bett um, auf dem mein Rucksack steht. Vor nicht einmal ein paar Stunden saß Liz noch dort und sah mich geschockt an, als ich sie fragte ob ich sie meine Frau nennen darf. Und genau in diesem Moment frage ich mich wie lange es wohl dauern wird, bis jemand anderes sie das fragen wird. Und erneut erfüllt mich dieser stechende Schmerz in meiner Brust.
"Gibt es nicht noch eine andere Lösung?"
Robs Stimme klingt verzweifelt. Denn ich verlasse nicht nur Liz, was auch ihm ohne Zweifel klar ist. Ich kann auch nie mehr zu meiner Familie zurückkehren. Ich kann nicht riskieren, dass auch sie ausgestoßen werden oder fliehen müssen.
"Wenn ich sie nicht zu meiner Partnerin wähle, dann wird sie den Revec übergeben. Also werde ich es tun und lieber den Rest meines Lebens auf der Flucht sein, anstatt zuzulassen dass Liz unter Folter stirbt. Auch wenn das heißt, euch und sie vermutlich nie wieder zu sehen. Ich weiß, dass ihr mich trotzdem lieb habt."
Ich lächle ein kurzes Lächeln und breite zögernd die Arme aus, als Emily auch schon mit wenigen Schritten bei mir ist und mich in eine feste Umarmung zieht. Ich schließe die Augen und drücke sie sanft an mich, während sie sich einfach nur an mich klammert.
"Pass gut auf dich auf, ja? Und vergiss uns nicht, okay?"
In ihren Augen schimmern Tränen und es tut mir in der Seele weh, dass ich wohl nie erleben werde, wie diese Augen vor Glück strahlen werden wenn Emily ihr erstes Kind bekommt oder wenn sie den Mann ihrer Träume heiratet.
"Niemals", antworte ich ihr und küsse sie sanft auf die Wange, bevor auch schon Rob an meiner Seite ist und mich in eine etwas rauere Umarmung zieht.
"Ich versuche auf sie aufzupassen. Ich verspreche es dir", sagt er mit brüchiger Stimme und auch ich spüre den Kummer der durch meinen Körper jagt als mir die schmerzliche Nähe meines Zwillingsbruders nur allzu bewusst wird. Diese spezielle Bindung zu ihm wird nie ganz kaputt gehen aber sie wird schwächer werden je länger wir uns nicht mehr sehen. Und irgendwann wird sie keiner mehr von uns spüren. Genau vor dieser Leere fürchten wir uns beide.
"Ich hab dich lieb, kleiner Bruder", flüstere ich ihm ins Ohr und er nickt nur.
"Ich dich auch, kleine Schwester."
Wir lösen uns voneinander und ich atme tief durch um nicht die Fassung zu verlieren. Es tut weh, höllisch weh sich jetzt zu verabschieden aber es wird besser werden. Zeit heilt alle Wunden. Hoffentlich auch diese.
"Wo ist Noah?", frage ich so gefasst wie möglich, als plötzlich eine tiefe und volle Stimme hinter mir erklingt.
"Er hat mich gerufen."

With you everything changedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt