Jagd

4.8K 311 25
                                    

Ashlee
________________
Nachdem Liz überstürzt die Küche verlassen hatte, warte ich sicherheitshalber noch ein paar Minuten bis auch ich wieder ins Freie trete. Von meiner Lehrerin fehlt jede Spur, dafür kann mir Emily sagen, dass sie in ihr Auto gesprungen und weggefahren ist. Rob hat sich bereits an ihre Fersen geheftet und so bleiben mir, Emily, Kate und Noah nichts anderes übrig, als den Abend zu beenden. Kate verschwindet in die Wohnung ihrer Tochter, wobei sie mir noch einen nachdenklichen Blick zuwirft, den ich aber nicht wirklich deuten kann.
Auch Noah und ich machen uns auf den Weg nachhause und nur wenige Minute später bin ich dann alleine in meinem Zimmer in unserem Haus und laufe ruhelos auf und ab.
Meine Gedanken kreisen ohne Pause um das Gespräch mit Liz. Um ihre Stimme, als sie es mir sagte, ihre Augen, das Zittern ihres Körpers.
Ich liebe dich.
Sie wollte es mir nicht sagen, aber es ist ihr einfach so rausgerutscht, das habe ich gespürt. Und sie bereut es, auch dessen bin ich mir sicher.
Ich liebe dich.
Wie lange schon? War es Liebe auf den ersten Blick? Oder ist es nur eine Schwärmerei wie bei allen anderen?
...es wäre absurd zu glauben, dass du auf Frauen stehst und dann auch noch auf mich...
Ja, verdammt, ich stehe auf Frauen und zum Teufel, ich finde Liz wahnsinnig attraktiv.
Ihr das nicht sagen zu können und stattdessen mitansehen zu müssen wie ihr meine Worte das Herz brachen, lies auch in mir etwas zerbrechen.
Aber ich darf mich nicht auf sie einlassen. Sie darf nicht herausfinden wer ich bin, wer Collin ist und vor allem darf Liz nicht wissen, wer sie selbst ist. Jedenfalls noch nicht. Und ich glaube nicht, dass ich es vor ihr geheim halten könnte, wenn ich Tag und Nacht bei ihr wäre.
Es dient also nur ihrem eigenen Schutz, auch wenn die Zeit knapp wird. Bis jetzt zeigt Liz nämlich nicht die nötigen Eigenschaften, um in unser Schema hineinzupassen. Vielleicht haben Rob, Noah und ich uns einfach geirrt. Vielleicht handelt es sich bei Liz um einen normalen Menschen, nicht um eine Auserwählte. Obwohl es unter denen natürlich auch Blindgänger gibt. Das würde zumindest ihren Geruch erklären, der sie eindeutig als Auserwählte identifiziert.
Nur eins noch. Bitte geh nicht zu Collin zurück. Versprich es mir!
Nach Ablauf der Zeit müssen wir Liz Harold aushändigen und soweit ich weiß, wird er ein Tauschgeschäft mit den Revec abschließen. Und dabei wird Liz' Leben quasi in Collins Hände gelegt.
Bei dem Gedanken daran, ballen sich meine Hände zu Fäusten und ich fletsche die Zähne.
Ich werde Liz nicht Collin übergeben. Niemals!
Erschrocken über meine eigenen Gedanken, reiße ich die Augen auf und mein Gehirn arbeitet auf Hochtouren.
Ich hatte nie ein Problem damit, Ausgewählte auszuliefern. Warum jetzt? Warum habe ich das Bedürfnis Liz zu beschützen, nicht nur vor Collin sondern auch vor meiner eigenen Fraktion? Vor meinen Freunden und Lehrmeistern dort, die mir bedingungslos vertrauen. Vor Harold, der mich und meine Brüder auswählte, als einer der jüngsten Sucher und der immer ein offenes Ohr für mich hatte.
Resigniert lasse ich mich auf das Doppelbett fallen und vergrabe mein Gesicht in den Händen. Ich stecke in der Klemme und schuld daran ist eine unerklärliche Zuneigung für jemanden, dessen Zukunft in meiner Hand liegt. Aber woher kommen diese Gefühle plötzlich?
Noch nie zuvor habe ich sie gespürt, aber wenn Liz mich verlegen anlächelt oder unauffällig meine Nähe sucht, dann breitet sich eine Wärme in meinem Bauch aus, die bis zu meinem Herzen hinaufreicht.
Ich kann mir die Reaktionen meines Körpers nicht erklären, weder das Verlangen Liz glücklich zu machen, noch die unglaubliche Wut wenn Collin in ihrer Nähe ist. Aber ich schätze, dass ich es herausfinden werde. Jedenfalls hoffe ich das, denn so kann es nicht weitergehen.
Das Klingeln meines Handys lässt mich zusammenfahren. Blitzschnell greife ich danach und hebe ab.
"Rob?"
"Jap", erwidert mein Bruder und die schnellen Schritte im Hintergrund verraten mir, dass er rennt.
"Was ist passiert?"
"Nicht sonderlich viel, Liz ist zum Strand gefahren und hat sich dort auf die Felsen gesetzt. Nach einer halben Stunde ist sie aufgestanden und zurück zu ihrem Auto gegangen. Momentan befindet sie sich in ihrer Wohnung und sitzt auf der Couch. Emily passt kurz auf und ich bin auf dem Weg zu Collin. Ich meine ihn vorhin in der Dunkelheit erkannt zu haben."
"Das heißt, er verfolgt sie auch. Verdammt, das ist nicht gut. War er alleine?", frage ich besorgt und bin ziemlich froh, dass mein Bruder bei Liz war, auch wenn ich lieber an ihrer Seite gewesen wäre.
"Ein Kumpel war bei ihm, sicherlich auch ein Revec. Die Jagd ist also offiziell eröffnet", brummt Rob und ich knurre tief.
"Sie dürfen sie nicht kriegen!"
"Ja, ich weiß das, Ash! Aber sie weiß es nicht, deswegen müssen jetzt umso besser auf Liz aufpassen, es geht um ihre Zukunft!", drängt mein Zwillingsbruder.
"Der Meinung bin ich auch. Und darum werde ich mich jetzt gleich zu ihr begeben und Emily unterstützen. Denn wenn Collin und seine Kumpanen bei Liz anrücken, hat Emily keine Chance gegen sie", sage ich und bin schon auf dem Weg nach unten.
"Danke, auf dich ist immer Verlass!", antwortet Rob und legt dann auf. Verständlicherweise ist er auch um Emily besorgt, immerhin sind beide so gut wie zusammen.
Da Noah gerade ein Telefongespräch mit Harold führt, stelle ich nur kurz Augenkontakt mit ihm her, bevor ich aus der Tür trete und im Laufschritt Richtung Emily laufe.
Nun, für einen normalen Menschen sähe es so aus, als würde ich die Straßen entlang hetzen, aber ich bin nicht einmal außer Atem, als ich ankomme.
"Es ist alles ruhig", begrüßt mich Emily flüsternd, nachdem sie das Fenster ihrer Erdgeschosswohnung geöffnet hat,"aber Liz sah völlig fertig aus, als sie hier ankam. Was ist in der Küche denn zwischen euch vorgefallen?"
"Es wäre nicht fair ihr gegenüber, diese Frage zu beantworten", sage ich entschuldigend und Emily nickt verständnisvoll.
"Okay, dann wünsch ich dir eine gute Nacht. Pass auf dich auf."
Sie umarmt mich kurz und schließt dann das Fenster wieder.
Mit zwei Sprüngen sitze ich in meiner Astgabel und lehne mich seufzend an den Stamm. Die Nacht ist dunkel, in Liz' Wohnung scheint kein Licht mehr. Und wenn der Wind nicht leise durch die Blätter rascheln würde, hätte ich vielleicht das leise Schluchzen eines gebrochenen Herzens gehört.

With you everything changedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt