27| Throwback ins Jenseits

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Leises Geflüster riss mich aus meinem Schlaf und ließ mich unsicher die Augen öffnen. Die Müdigkeit und Anstrengung der letzten Tage, in denen ich von meiner Vergangenheit verfolgt worden war, zerrten an meinen Kräften. Ich fühlte mich nicht in der Lage, mich aufrecht zu setzen und zu schauen, woher die Stimmen kamen, weil ich mich alleine in meinem abgedunkelten Zimmer befand.

Waren gestern nicht noch Nate und Nick bei mir? Das ist seltsam...

Verwundert zwang ich meine Muskeln dazu, sich der weichen Matratze zu widersetzen, sodass ich nach wenigen Minuten, in denen mich dieses Geflüster nicht in Ruhe ließ, aufrecht in meinem Bett saß. Zu meinem Leidwesen konnte ich nicht einmal verstehen, was da geflüstert wurde, weil es viel zu leise war. Bei mir kam lediglich ein Tuscheln durch.

Ich hatte bei dem ganzen hier überhaupt kein gutes Gefühl, ich fühlte mich, als wäre ich gerade in einer anderen Welt wach geworden. Und warum zum Himmel war alles so groß?

Erst jetzt fiel mir auf, dass das gar nicht mein Zimmer war. Zumindest nicht von der Dekoration. Was zum Teufel ging hier eigentlich ab?

Die Wände trugen – anstelle meines gewohnten Weißes - plötzlich ein zartes Violett und waren mit einzelnen niedlichen lilastrahlenden Blumen verziert. Es befanden sich in der einen Ecke, in der ich normalerweise meine Mannequin hatte, ein Puppenhaus mit einigen Barbies und anstatt meinem Notebook waren viele Kritzeleien auf einem violetten Tisch.

Mein altes Schlafzimmer.

Was zum... Der Schock saß tief in mir, als ich mich an den Bettrand setzte und merkte, dass meine Füße nicht einmal den Boden berührten. Die Uhr neben meinem Bett zeigte mir ein Datum. Vierzehnter Januar 2010. War ich wieder elf? Es passte alles, die seltsame Proportion, die mädchenhaften Farben, die Puppen, das Datum. Scheiße. Vierzehnter Januar. Der Tag, an dem meine Vorliebe gegenüber Gewitter verschwand.

Verwirrt sprang ich vom Bett und lief runter, nahm das Gespräch zwischen Aidan und meiner Mutter wahr. Ein Déjà-vu.

„Du gehst das Wochenende über zu Ashley rüber, okay? Aidan übernachtet heute bei Freunden und ich bin arbeiten, ich will dich nicht alleine hier lassen, vor allem, weil es gewittern soll", sprach meine Mama mich an und tippte dabei an ihrem Laptop rum.

Angst überkam mich, als mich diese Worte erreichten. Genau das hatte sie vor fünf Jahren auch zu mir gesagt. Alles in mir schrie danach, zu widersprechen, zu kontern und zu schreien, aber es war, als wäre ich passiv in meiner Vergangenheit. Als hätte ich gar nicht erst die Möglichkeit, irgendetwas zu ändern. Als wäre es mein Schicksal.

Ich vernahm meine eigene, begeisterte Stimme, wie sie zustimmte, vom Gewitter schwärmte und Pläne für den Abend schmiedete.

Nein, verdammt, du törichtes Mädchen! Mach nicht wieder den gleichen Fehler! Die Verzweiflung ließ die Tränen in mir hochkommen, doch äußerlich hatte mein erfahrendes Ich keine Auswirkungen auf das noch sorgenlose Kind.

Und mit einem Mal zogen verschiedene Situationen vor meinem inneren Auge vorbei.

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„Du bist so scheiße, du hast geschummelt!", schrie Ashley mich verärgert an und schubste mich auf den Boden, „Verschwinde!"

Im Nachhinein hatte dieser Streit nicht lange angedauert, einige Tage danach hatte sie mich solange umarmt, bis ich ihr verziehen hatte. Zum Glück waren wir Kinder, sodass sie nicht wusste, was damals mit mir los war.

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Regen prasselte mir in mein Gesicht, während ich mit meinen ungewohnt kurzen Beinen durch die Gegend rannte. Ashley und ich hatten uns gestritten und wollten nicht mehr miteinander reden. Dann fing es an, laut zu gewittern, also hatte ich ihr gesagt, dass sie eine doofe Freundin war und war rausgerannt. Ich wusste nicht wo ich war, aber das fand ich nicht schlimm. Ich mochte den Regen und das Gewitter.

Außer Atem ließ ich mein Rennen in ein bequemes Gehen überleiten und genoss es, dass mein Atem Wolken in der Luft hinterließ. Es war schließlich Mitte Winter, also herrschte eine Eiseskälte.

Meine Mama hatte immer gesagt, ich sollte niemals alleine rumlaufen, aber ich habe nie verstanden warum. „Lass mich in Ruhe!", schrie eine weibliche Stimme, woraufhin ich verwirrt um mich schaute. Was war das?

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„Du kleines, dummes Gör", fing er an, laut zu lachen, ehe ein lautes, schallendes Klatschen durch die Gasse hallen. Ich erkannte sein Gesicht nicht, sah lediglich seine schwarze Verkleidung. Die Kapuze seines Shirts war ihm tief ins Gesicht gezogen, sodass der Schatten sein Gesicht verschwinden ließ. Bitte, irgendwer sollte mich hier rausholen. Ich konnte diese tiefe, drohende Stimme nicht mehr hören.

„NEIN!", schrie ich unter Tränen, doch wurde zum Schweigen gebracht. Meine Wange brannte und ließ mich schmerzhaft zischen. „Halt deine Fresse, scheiß Kind, sonst ergeht es dir so wie ihr!"

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Das Gewitter wurde immer schlimmer, sodass man teils die Schreie nicht mehr hören konnte. Weder meine, noch ihre. Wir befanden uns mitten in der Nacht und nur zu gerne hätte ich gewusst, wie spät es war. So kam es mir vor, als seien schon Monate vergangen, und doch war es noch nachtfinster draußen, lediglich eine Straßenlaterne von der Straße um die Ecke spendete Anzeichen von Licht.

„So, wir sind fertig, Clarice. Ich schwöre dir, wenn du auch nur ein Wort an irgendwen verlierst, wirst du es bereuen. Ich behalt dich im Auge..." Er sprach noch weiter, doch im Gegensatz zu meiner eigentlichen Vergangenheit, konnte ich seine Worte nicht wahrnehmen. In meinem Unterbewusstsein hörte ich wieder dieses Geflüster. Das waren bekannte Stimmen. Mit den Gedanken und dem Gerede des Mannes wurde mir etwas gegen mein Gesicht gedrückt und ich verlor mein Bewusstsein. Mein letzter Gedanke galt dem falschen Namen, welchen er mir gegeben hatte.

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„Das ist alles deine Schuld, Clarissa! Du hast sie umgebracht, du Mörderin!"

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Ich wollte aufwachen. Von Glück konnte ich sprechen, dass ich nicht alles noch einmal erlebte, sondern nur einiges, aber dennoch reichte es mir. Ich konnte nicht mehr, wollte nicht mehr. Sie hatten alle Recht. Ich war eine skrupellose Mörderin.

In Dauerschleife wiederholte sich die Szene von neuem. Ihre Schrei, welcher mich zusammenzucken ließ, ihr Gesichtsausdruck, welcher mich anflehte, ihr zu helfen. Aber ich konnte nicht. Ich konnte sie nicht retten; ich hatte sie sogar umgebracht. Ihr Blut klebte wortwörtlich an meinen Händen. Tränen strömten schon lange nicht mehr aus meinen Augen, ich hatte mich leergeweint. Meine Augen brannten.

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Die Kälte riss mich aus meiner Bewusstlosigkeit und ausgelaugt rieb ich mir über die Augen. Mein Rücken schmerzte und mein Körper zitterte. Ich hatte die ganze Nacht auf dem Boden gelegen. Langsam öffnete ich meine Augen, als auch schon mein erschütternder Schrei den Morgen durchbrach. Doch das war mir egal, denn alles, was ich vernehmen konnte, war sie, wie mich große, leere Augen anstarrten, weitaufgerissen und leidend. Ihre schwarzen Haare lagen um ihr Gesicht herum und ihr Kleid war zerrissen, und rot.

Erst jetzt merkte ich, wie ich leicht am Boden klebte. Eine hysterische Panikattacke überfiel mich, das Atmen wurde unerträglich schwer. Ich lag im Blut, In ihrem Blut. Nein! Ich wollte das nicht, nein! Mein eigener Schrei hallte durch den Gang.

Auf einmal verschwand das Bild. Ich befand mich in Ashleys Bett, Tränen in den Augen und war von einem Traum aufgewacht. Alles nur ein Traum. Doch als ich meine kleinen Hände erblickte, war mir klar, dass ich lediglich davon träumte, dass meine Vergangenheit ein ebenso grausamer Traum gewesen war.

Mir war klar, dass ich gerade nur in meinem Traum in Ashleys Bett war und eigentlich Nate in meinem war, aber in diesem Moment wollte ich nichts, außer aufwachen, aus Angst, wieder in den Teufelskreislauf zu geraten.

Wo war Nathan, wenn ich ihn einmal wirklich brauchte und bei mir haben wollte?

Ich bin zugegebenermaßen echt verdammt unzufrieden mit diesem Kapitel, aber ich hoffe, ich konnte euch dennoch irgendwie zufriedenstellen. Jetzt habt ihr einen Einblick in ihre Vergangenheit bekommen. Schon jemand eine Vermutung, was genau passiert ist?

UND DANKE FÜR FAST 10K READS♥

Ich freue mich über Votes und Kommentare~

XX, T~♥

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