13| Körperliche Nähe

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Mit einem Mal saß ich kerzengerade im Bett und schaute ins Nichts. Ein erschreckender Schrei erfüllte den Raum und ich schaute mich panisch um. Das war nicht mein Zimmer. Wo war ich? Panik kam in mir auf und ich merkte, wie ich kurz davor war, zu kollabieren. Ich musste erstmal anfange, alles langsam zu realisieren. Das war mir definitiv zu viel für einen Tag.

Als die Tür aufgerissen wurde, schaute ich augenblicklich zu der verantwortlichen Person. Nathan.

Er stand da mit nassen Haaren und einer Jeans, während er alarmiert durch den Raum schaute, ehe sein Blick an mir hängen blieb. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihn mit großen Augen anzuschauen. Mit einem Mal zogen Bruchstücke der letzten Stunden vor meinen inneren Augen an mir vorbei. Trotz dem Fakt, dass ich bereits die Hitze in meinen Wangen spürte, konnte ich den Blick nicht lösen.

Ich erinnerte mich, dass ich zum See wollte. An das Gewitter. Meine Erinnerungen. Wie ich zusammengebrochen war, die Erinnerungen kamen und Nathan mich gerettet hatte. Doch ab dem Moment, in dem er mich in einem Auto abgelassen hatte und die Tür zugeknallt war, erinnerte ich mich an nichts mehr. Und dann, dann war da der Traum.

Noch immer lag mir der Traum tief unter meiner Haut und ich spürte, wie ich stark zitterte. Nach all den Monaten, Jahren, in denen ich dachte, irgendwie meine Ruhe gefunden haben zu können, holte mich alles erneut ein. Ich hatte gedacht, es sei endlich vorbei gewesen.

Nathan trat mit großen Schritten auf mich zu, ehe er sich auf das Bett – welches anscheinend seines war – niederließ und mich unbeholfen in den Arm nahm.

Tiefeinatmend überlegte ich, ob ich die Umarmung erwidern sollte oder nicht. Es war nicht abzustreiten, dass sie wirklich guttat und ich schätzte seinen Beistand, aber wir kannten uns nicht. Er war jemand Fremdes

Entschuldigend blickte ich in seine fesselnden Augen, dessen Farbe ich noch immer nicht definieren konnte. „Tut mir leid, aber das ist mir gerade so seltsam. Wir kennen uns nicht", krächzte ich mühevoll und distanziert. Meine Stimme zitterte, aber dennoch versuchte ich, Überzeugung hineinzulegen.

„Möchtest du etwas trinken?", lenkte er ein neues Thema ein. Höflich lächelnd nickte ich kaum merkbar.

Ich wollte mir keine Gedanken darum machen, woher er die mir entgegengestreckte Wasserflasche hatte, sondern nahm sie einfach dankend an. Seufzend setzte ich die Flasche an meine Lippen und genoss gierig das kühlende Gefühl, welches meinen Hals herabfloss. Angenehm schloss ich die Augen dabei.

Als ich die Augen wieder öffnete, fiel mir auf, dass er mich lächelnd beobachtete. „Was?", fuhr ich ihn giftiger als beabsichtigt an. Gerade, als ich noch etwas sagen wollte, schnitt er mir das Wort ab: „Nichts. Ich fand den Gedanken nur lustig, dass ich dich jetzt ohne dein Wissen in Unterwäsche gesehen habe." Begleitend mit einem harten Lächeln blickte er mir in die Augen und kurz erstarrte ich.

Dieses Lächeln war anders als das davor. Nicht mehr sorgend, aber auch nicht abwertend, eher, irgendwie, spöttisch. Aber das interessierte mich recht wenig. Alles, was ich vernahm, war, dass ich tatsächlich nicht mehr meine Sachen trug. Stattdessen zierte ein viel zu großer Pullover meinen Körper, wobei mir dieser bis zu den Knien reichte.

Ich hatte dennoch keine Kraft, großartig sauer zu sein. Ich war zu müde und das war mir in der momentanen Situation wirklich egal.

Stumm wendete ich meinen Blick ab und blickte mich oberflächlich um, ehe ich meine Kleidung fand. Schnell erhob ich mich und zog mir meinen Rock an, auch, wenn er unter dem Pullover unterging. „Danke"; sprach ich noch flüchtig lächelnd, ehe ich aus der Tür verschwand, nicht wissend, ob er es noch gehört hatte. Aber mein „Danke" war so ehrlich gemeint, wie es hätte sein können.

Aber jetzt wollte ich diesen Tag einfach so schnell wie möglich vergessen.

-Aidans Sicht-

Nach gefühlt Millionen Anrufen, die alle mit Claires Mailbox geendet waren, fing ich langsam an, vor Sorge zu sterben. Es war bereits halb 10 und normalerweise blieb sie an Schultagen nie länger weg als sechs. Und das höchstens. Selbst, wenn sie dies tat, benachrichtigte sie entweder mich oder Mum. Es entsprach nicht Claire, uns nichts über ihre Abwesenheit zu verraten. Auch hatte ich sie bisher nicht entdeckt, als ich durch die ganze Stadt gefahren bin. Und die war nicht gerade sehr groß.

Verzweifelt schaute ich in den Himmel, in dem noch immer dunkle Wolken zu sehen waren. Hoffentlich war sie okay.

Hätte ich sie abgeholt, dann wäre sie nie dem starken Unwetter ausgesetzt gewesen und ich würde nicht vor Sorge krepieren. Hoffentlich war sie nicht alleine, ich könnte mir das nicht verzeihen. Sie wollte mir noch nie verraten, warum sie genau Angst vor Gewitter hatte. Schweigsamkeit war seit fünf Jahren ein fester Teil von Claire geworden und es zerbrach mir das Herz, meine kleine Schwester so leiden zu sehen.

Ich erinnerte mich noch sehr genau an die vielen Male vor ihrem elften Lebensjahr, in denen sie zu mir gerannt kam, aufgeregt und glücklich. Sie hatte mich geschlagen, geschubst und geschmollt, wenn ich mit ihr nicht in den Garten wollte, um von der Terrasse aus das Gewitter zu betrachten.

Doch nachdem sie eine Nacht bei Ashley verbracht hatte, kam sie jedes Mal in mein Zimmer gerannt und weinte oder schrie in ihrem Zimmer wegen eines Albtraumes. Ich hasste es, meine Prinzessin so zerstört zu sehen.

Eine SMS unterbrach meine Gedanken. Als ich sah, dass sie von Claire war, klickte ich sofort drauf.

'Es ist alles okay, ich komme gleich. xx'

Beruhigen tat diese SMS mich nur minimal und als mein Versuch, sie anzurufen ein weiteres Mal scheiterte, startete ich stumm mein Auto.

Seufzend lenkte ich mein Auto wieder in unsere Einfahrt.

Wo war sie gewesen? Hatte sie irgendeinen Scheiß gebaut? Aber es handelte sich hier um Claire und Claire war meine kleine Schwester. Meine kleine Schwester war nicht so verantwortungslos, das stand mit Sicherheit fest.

Ich merkte, wie sich langsam Kopfschmerzen anschlichen. Gestresst knallte ich meine Autotür zu und betrat das Haus. Bewusst mied ich die Küche, in der meine Mutter wahrscheinlich seelenruhig Schokolade aß. Wut stieg in mir auf, weil sie sich keine Sorgen um ihre einzige Tochter machte. Vorhin hatte sie mir bereits getadelt, dass ich ihr ihren Freiraum lassen sollte.

Lächerlich, wie einige Eltern nichts von ihren eigenen Kindern wussten. Zwar war unsere Mutter im Gegensatz zu unserem Vater immer für uns körperlich da, aber dennoch wusste sie keines der Geheimnisse, der Ängste und der Gedanken, die Claire und ich uns teilten. Wir waren mehr als Geschwister. Wir waren Freunde.

Ich schaute kurz, ob sie vielleicht sogar schon wieder in ihrem Zimmer war, aber Fehlanzeige. Ich ließ mich frustriert auf ihr Bett fallen und bedeckte mein Gesicht mit meinen Händen. Wo bist du, Claire?

Ich wusste nicht, wie lange ich nun schon auf ihrem Bett lag und hoffte, dass sie jeden Moment reinkam und mich wütend anmeckerte, weil ich ungefragt in ihrem Zimmer war. Aber ein Klingeln ließ mich zusammenzucken und mich sofort aufsetzen. War das Claire?

Mit eiligen Schritten stürmte ich aus dem Raum und riss die Tür auf, nur um erleichtert Claire in die Arme zu nehmen. Ich war sauer, keine Frage, aber eher auf mich als auf sie. Trotz allem überwiegte die Erleichterung.

Ich schaute sie skeptisch an und frage sie, wo sie gewesen sei, doch keine Antwort kam. Ich sah ihren Augen an, dass sie erschöpft war und gerade nicht genau wusste, was sie denken sollte. Es hatte etwas mit ihrer Vergangenheit zu tun. In ihren Augen spiegelte sich Angst ab und kurzerhand beschloss ich, sie in Ruhe zu lassen. Zwar fand ich, dass sie es mir so langsam anvertrauen sollte, doch musste ich auch ein wenig Verständnis zeigen.

Kurz umarmte ich sie noch, um für mich selbst eine Bestätigung darin zu finden, dass sie wirklich hier war, und ihr zeitgleich ein Gefühl von Beistand zu schenken, ehe ich sie in ihr Zimmer gehen ließ.

Ich würde sie aber definitiv ansprechen, weshalb sie einen viel zu großen Pullover trug. Da würde sie nicht so einfach herauskommen.

Wie versprochen das zusätzliche Kapitel♥
Freue mich über Votes und Kommentare~xxT

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