54| Das letzte Stündlein

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*Musik angehängt* letzen Kapitel immer mit angehängter Musik

Es gibt Zeiten im Leben, in denen man sich einsam fühlt. Einsam und verlassen. Es ist, als sei man in einer Parallelwelt, jenseits des eigentlichen Alltages, an dem die Freunde für einen da sind, einen ablenken. In dem man lacht, als sei nichts. Und doch hat man immer etwas zu verbergen. Diese Zeiten sind es, an die wir zurückdachten, wenn es uns mies geht. Menschen denken sich, dass uns die miesen Erinnerungen in miesen Zeiten vor Augen führen können, wie schlecht man ist. Aber vielleicht sollte man, wenn es einem scheiße geht, einfach einmal an die guten Momente denken.

Denn diese Zeiten sind es, in denen man irgendwo im Trubel der Verdammnis Hoffnung finden muss.

Und in so einer Zeit befand ich mich. Denn ich war es, die in wenigen Minuten dort sein musste, wo alles angefangen hat. Ich war es, die nicht wusste, ob sie überhaupt lebendig wieder aus diesem Ort des Teufels herauskommen würde. Mir war bereits den ganzen Tag übel gewesen.

Alles, was sich bei mir erkennbar machte, war die pure Angst vor der Nacht. Angst davor, der Person gegenüber zu blicken. Angst davor, herauszufinden, was er von mir wollte. Die panische Angst, Adam ginge es immer schlechter oder würde jede Minute seinen letzten Atemzug atmen. Aber noch viel mehr Angst davor, heute erneut eine Grausamkeit begehen zu müssen.

Tief einatmend, um mich selbst irgendwie zu beruhigen, nahm ich die Briefe in die Hand. Einen an Adam, falls er es herausschaffen sollte, ich dafür aber mit meinem Leben büßen. Ich wusste nicht, inwiefern er in dieser Sache involviert war, aber ich zweifelte nicht an seiner Unschuld. Er ist in der Gewalt des Killers, sonst hätte er mir kein Bild schicken können. Kein Bild davon, wie Adam am Boden lag, erneut in einer Blutlache, doch diesmal viel größer als zuvor.

Schluckend schüttelte ich den Kopf, um das Bild irgendwie aus meinem Kopf zu kriegen. Doch vergeblich. Es rückte lediglich in den Hintergrund. Meine Hand zitterte, als ich drei weitere Briefe in die Hand nahm. Für Aidan, Ashley und Dean. Sie alle drei hatten es verdient, von mir persönlich gesagt zu bekommen, wie sehr ich sie eigentlich liebte. Doch würde ich dies nun tun, so würden sie Verdacht schöpfen. Mich aufhalten wollen. Und dadurch würde ich sie gefährden. Auch an meine Eltern hatte ich einen Brief geschrieben. So waren sie mir - trotz schlechter Beziehung zu ihnen - wichtig, weil sie mich großgezogen hatten. Irgendwie zumindest.

Ich wollte es nicht, wollte stark sein, doch konnte ich die Tränen nicht davon abhalten, auf das Blatt zu tropfen. Schniefend rieb ich mir grob über die Augen. Stark sein war gefordert.

Mein letzter Brief war für Nathan. Ihm hatte ich zurzeit am meisten zu danken. Er war es, der mir aufgeholfen hatte. Mir direkt gesagt hatte, was Sache war. Stets war er objektiv geblieben und dafür war ich ihm durchaus dankbar. Und dennoch hatte ich mich nicht getraut, auch nur ein Wort bezüglich meiner Gefühle zu nennen. Es sollte ein Geheimnis bleiben, welches ich mit in den Grab nehmen würde, wenn heute meine letzte Stunde schlagen sollte.

Zumindest schloss das mein Inneres Ich daraus, dass das Treffen erst um 23 Uhr war.

Leise erhob ich mich von meinem Bett und legte die Briefe auf meinen Schreibtisch, wo sie sofort zu sehen wären. Ich blickte aus dem Fenster. Direkt gegenüber von meinem war das von Jason und ich betrachtete, wie er auf dem Bett saß und Musik hörte. Als würde er spüren, dass ich zu ihm blicke, schaut auch er hinauf. Ein Lächeln aufgesetzt winkte ich ihm zu, drehte mich jedoch schnell um und verließ das Zimmer. Noch eine halbe Stunde hatte ich. Ich hörte leise Musik aus dem Zimmer von Aidan. Eine Träne floss mir herab, als ich an unsere gescheiterte Geschwisterbindung der letzten Wochen dachte.

Gott, ich hasste es, in dieser Ungewissheit zu leben.

Möglichst still lief ich die Treppen im Dunkeln hinunter. Lediglich das Handy spendete mir ein wenig Licht, sodass ich mir sicher sein konnte, von niemandem direkt in einem Radius von fünf Metern beobachtet zu werden. Hoffte ich. Ich zog mir meine Schuhe und meine Jacke an, wobei ich darauf achtete, den Hausschlüssel zuvor rausgenommen zu haben. Es wäre zu riskant, wenn mir etwas geschehen sollte und er mir den Schlüssel nehmen würde. Somit hätte er nämlich freie Bahn, meiner Familie etwas anzutun.

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