Es gab Momente im Leben, da passierte etwas Gutes. Doch sie ließen uns nicht gut fühlen, nein. Man fühlte sich nur noch schlechter, obwohl man vor Erleichterung hätte lachen sollen. Warum? Dies war mir unklar. Vielleicht, weil man nicht das Recht hatte, glücklich zu sein. Weil man wusste, dass man das unschuldige Leben anderer gefährdete.
Er hatte mich nach wenigen stillen Momenten aus dem Raum geführt und damit vom Mittelpunkt der Aufmerksamkeit weggebracht. Ich fühlte mich erbärmlich, weil ich merkte, wie ich die Marionette eines mir fremden Mannes wurde, welcher mich wahrscheinlich die ganze Zeit beobachtete. Die Angst ließ meine Knochen zittern, meine Sinne benebeln, mich selbst schwächen.
„Claire, alles gut, ich bin doch da", murmelte er, während er mich noch enger an sich drückte. Ich schluchzte jedoch nur noch lauter auf, als ich seine Nähe so sehr an mir spürte. Presste mich mehr an ihn, um mich auch zu vergewissern, dass er nun hier war. Bei mir. Dass er mich nicht mehr abwies.
Ich hatte ihn so verdammt vermisst.
Während der Umarmung strich er mir beruhigend über die Haare, was mich jedoch weniger beruhigte, als es das sonst immer tat. Denn es war nicht alles gut. Im Gegenteil. Nichts war gut.
Wie konnten Menschen so leichtfertig behaupten, alles würde gut sein, wenn sie nichts wussten? Wenn sie nicht wussten, wie es war, mit jedem Atemzug mehr Kraft zu verlieren. Mit jeder Tat die Hoffnung zu verlieren. Die Lebenslust.
Was war es für ein Leben, wenn man jede Minute um dessen Existenz und die Existenz seiner Umgebung zu fürchten hatte. Jede Sekunde mit der Angst leben zu müssen, beobachtet zu werden, leiden zu müssen, bedroht zu werden.
„Was ist los?" Der Nachdruck in seiner Stimme ließ mich zusammenzucken. Er klang streng und mir war augenblicklich klar, dass ich diesmal nicht so einfach davonkommen würde. Wenn ich wieder schweigen sollte, musste ich es auf das Spiel setzen, seine Wut auf mich zu ziehen.
Dennoch konnte ich nicht so selbstsüchtig sein und ihn noch weiter in diese Gefahr führen, die ihn überwältigen und gefährden würde. Niemals konnte ich es riskieren, ihn zu verlieren, nur, um mental weniger zu leiden.
Sollte er doch anfangen mich zu hassen; solange ihm dadurch nichts passierte, so war es mir recht. Meinetwegen sollte keiner verletzt werden. Zumindest nicht so, dass sie bleibende physische Schäden davontragen mussten.
„Du kannst es mir sagen, mir vertrauen!", betonte er und drückte mich dabei so fest an sich, dass ich mich leicht unter den Schmerzen verkrampfte.
Warum war er so angespannt? War es wegen mir? Litt er so sehr darunter, dass ich es ihm nicht erzählen konnte? Nein, das konnte nicht sein. So war es schließlich nur zu seinem Besten.
„Ich kann nicht", hauchte ich lautlos. Überrascht zuckte ich zurück, als er seine Arme nach unten fallen ließ und sich von mir entfernte. Die Flammen loderten in seinen Augen. Angst mischte sich unter meine Gefühle.
Noch nie zuvor war es bisher vorgekommen, aber in diesem Moment hatte ich wirklich Angst, dass er mir gegenüber handgreiflich werden würde. Dies urteilte ich zumindest an seiner angespannten Haltung, dass selbst seine Adern an der Stirn mehr als nur deutlich heraustraten, und an seinen zusammengeballten Fäusten.
„Claire", presste er gereizt heraus und versuchte dabei angestrengt, Sorge mit hineinzubringen. Doch ich entschlüsselte nichts als reiner Wut aus seiner Stimme.
„Ich kann dir Hilfe holen."
Ein Schnauben entkam mir.
Hilfe holen? Was brachte es mir, mit einer Person zu reden, die nicht annähernd das erlebt hatte, was ich jeden Tag zu spüren und fühlen bekam? Das war lächerlich! Es würde nichts bringen, weil mir keiner helfen konnte.
Weil mich noch nicht einmal jemand verstehen konnte. Wie sollte es also dann möglich sein, dass jemand Fremdes mit mir darüber redete und ich danach wieder kerngesund war? Das einzige, was daraus resultieren würde, wären die versuchten abtuenden Gesten und Aussagen, alles sei nun doch vorbei. Der Mann wäre hinfort.
Doch das stimmte nicht. Ich würde jeden in Gefahr bringen, wenn ich ein weiteres Wort darüber verlor. Und wer versicherte mir, dass mir eine Psychologin helfen würde? Wer versicherte mir, dass man mich darauf nicht verurteilte?
Wütend schubste ich ihn nun endgültig von mir. Er verstand nichts. Einfach gar nichts.
„Nein! Niemand kann mir helfen verdammt. Hast du mich gehört? Du verstehst mich nicht, also halt' bitte einfach deine Fresse, Aidan. Ich bin deine Schwester, vertrau mir doch einfach, dass ich weiß, was ich tue! Seit diesem gottverdammten Tag bin ich eine wandelnde Psychopatin und lieber bleibe ich das unbemerkt, als irgendwann erfolglos aus einer Therapie zu kommen und von allen als gestörte, hoffnungslose Kranke bezeichnet zu werden, die Schuld am Tod eines Mädchens und damit an tausenden weiteren seelischen Toden ist. Du hast kein Recht, mich zu verurteilen. Kein Recht, über mich bestimmen zu dürfen. Lass es einfach, dich geht mein Leben nichts an!"
„Willst du mich verarschen?", schrie er frustriert und trat näher an mich heran. „Willst du mich eigentlich wirklich verarschen, Clarissa?", spuckte er meinen Namen abfällig aus.
Beängstigt lief ich zurück, doch er folgte mir. Klischeehaft wie das Leben manchmal war, stieß ich gegen die Wand und würde ich nicht in der jetzigen Situation sein, würde ich lachen.
Stattdessen liefen mir noch immer Tränen die Wange hinab und meine Knie schlotterten noch vor Angst. „Unbemerkt? Du bist nicht unbemerkt eine Psychopatin, momentan bist du einfach nur krank, okay? Jeder sieht dir an, dass du eine gottverdammte Psychopatin ist, die nicht einmal versteht, dass ihre eigene Familie und ihre Freunde ihr helfen wollen! Du spielst dich so auf, als seist du die Einzige auf der Welt, die leidet; die einzige mit Problemen, das bist du aber nicht, okay? Hör auf, nur an dich zu denken und uns wie deine Handlanger zu behandeln, verdammt!"
Ich fuhr zusammen, als er wütend gegen die Wand neben mir schlug. Mein Herz zog sich zusammen, als er mich eine Psychopathin nannte. Doch ich hatte es zuvor selbst behauptet. Es von anderen zu hören war jedoch eine andere Situation. Mit einem Mal kam es mir so real vor. Psychopathin also.
Stark hörte ich mein eigenes Herz pochen in einem viel zu schnellen Tempo und erneut traten die schwarzen Punkte vor mir auf, als ich den Luftzug seines Schlages meine Haut schneiden spürte.
„Denkst du, uns wäre das alles egal? Hm? Denkst du, uns interessiert dein Befinden nicht? Wirklich, mit dir zu reden ist manchmal so dumm, haha! Jeder hat seine Narben, okay? Du, ich, Mama, Papa, jeder. Dinge geschehen, Ängste entstehen, keine Ahnung, aber das gibt dir nicht das Recht, uns alle so zu behandeln, als seien wir unwichtig und würden nicht auch mit dir leiden. Denkst du, uns tut es nicht weh, mitansehen zu müssen, wie du leidest, jede Nacht weinst, dich aber keinem anvertraust?
Denkst du ernsthaft, dass ich, dein großer Bruder, dir nicht ansieht, wie du jeden Tag überfordert mit dir selbst bist? Dass ich nicht sehe, wie du mit dir selbst kämpfst? Aber dann schweigst du, wendest dich von uns ab, meidest uns und tust so, als hättest du das größte Problem auf der Welt.
Gottverdammte fünf Jahre, bald sind es sogar sechs, und alles, was du getan hast, war, dich zu zerstören und meine Hilfe abzuschlagen. Ich musste mitansehen, wie du kaputt bist, okay? Meine Fresse, wenn du dich schon so aufspielst, dann tu' zumindest nicht so, als könntest du nichts dagegen machen, denn das kannst du. Du bist einfach nur zu feige."
Und diese Worte von meinem großen Bruder, meinem Vorbild mit der Kombination, alleingelassen und verloren in dem Gang zu stehen, waren es, die mir meine Kraft nahmen.
Ich wollte heulen, schreien, alles beenden. Einfach diesem Albtraum ein Ende setzen.
In meinem Augenwinkel bewegte sich etwas. Mein Blick glitt zur Glastür. Ein in schwarz gekleideter Mann stand dort. Breite Schultern, Kapuze über dem Kopf.
Seine Hand bewegte sich zuseinem Kopf. Er symbolisierte mir das Zeichen des Schweigens.
Wie versprochen, das nächste Kapitel~
Wie findet ihr es, dass Aidan jetzt ehrlich seine Meinung gesagt hat? Und was haltet ihr von ihr?
Freue mich über Votes und Kommentare, xxT~
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Please, not again ✔
Misterio / Suspenso„Weil du es nicht verdient hast, glücklich zu sein! Ich habe gemerkt, wie du immer sorgloser leben konntest. Ich musste etwas tun, um dir zu zeigen, dass dein Leben nichts wert ist." ~*~ Claire ist ein Mädchen wie jedes anderes. Zu...