Offene Karten

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Legolas
Wieder war ein Tag vergangen und wieder hatte ich nichts in den Büchern der Bibliothek gefunden. Stundenlang saß ich dort und durchsuchte die Bücher zum Thema Heilung nach einem Mittel gegen Blindheit. Oftmals sogar bis tief in die Nacht, wie heute wieder. Als ich mein Gemach endlich erreicht hatte, zog ich mir eine Hose aus weichem Stoff und eine Tunika aus demselben Stoff an. Gerade, als ich zu meinem Bett gehen wollte, klopfte es an der Tür. Ich zögerte kurz. Sollte ich wirklich öffnen? Doch da hörte ich Gimlis tiefe Stimme, die fragend meinen Name flüsterte. Ich öffnete die Tür. ,,Na also, ich wusste, dass du noch wach bist", sagte der Zwerg und trat ohne Aufforderung ein. Ich schloss die Tür wieder. ,,Warum besuchst du mich jetzt noch?", fragte ich, ,,Es ist ziemlich spät." ,,Ich will, dass du mir endlich sagst, was hier wirklich los ist", forderte Gimli, ,,Seit drei Tagen sitzt du fast ununterbrochen in der Bibliothek und deinen Vater habe ich auch noch nicht gesehen. Nicht, dass ich ihn zwingend sehen müsste, aber er ist schließlich ein König..." Ich hatte mich mittlerweile auf mein Bett gesetzt. Noch zögerte ich mit der Antwort. Zwar war Gimli mein engster Vertrauter geworden, man könnte sogar sagen, er war mein Seelenbruder, aber dennoch wusste ich nicht recht, ob ich ihm wirklich davon erzählen sollte. ,,Und glaube ja nicht, ich hätte nicht bemerkt, dass du gestresst und angespannt bist", fügte Gimli noch hinzu, ,,Das letzte Mal, als du dich so verhalten hast, war in Helms Klamm, nach Aragorns vermeintlichem Tod. Also machst du dir jetzt auch Sorgen um jemanden." Jetzt wusste ich, dass ich ihn nicht mehr anlügen konnte. Dazu war der Zwerg viel zu schlau. Also entschloss ich mich dazu, mit offenen Karten zu spielen und schüttete mein Herz aus. Ich erzählte vom Tag meiner Ankunft bis zum jetzigen Zeitpunkt. Es tat gut, mir jemandem darüber zu sprechen. ,,Das erklärte so einiges", murmelte Gimli, als ich meine Erzählungen beendet hatte, ,,Warum hast du nichts gesagt? Ich könnte dir helfen." ,,Ich will nicht, dass du meinetwegen deine Reise verschiebst. Deine Verwandten erwarten dich doch sicher", sagte ich. ,,Es soll ein Überraschungsbesuch werden, was bedeutet, dass sie mich nicht erwarten. Theoretisch könnte ich ein Jahr oder länger hier bleiben und keiner würde mich vermissen", erklärte Gimli, ,,Und jetzt würde ich vorschlagen, dass du dich mal ausruhst, denn du siehst ziemlich müde aus." ,,Wie gern würde ich mich ausruhen, Gimli, aber die Gedanken und Sorgen um meinen Vater lassen mich auch nachts nicht los und halten mich wach", sagte ich, ,,Ich will nicht sagen, dass er schuld daran ist, aber...Es zerstört nicht nur ihn sondern auch mich. Ich leide mit ihm, nur begreift er das nicht. Und er versteht nicht, wie sehr es mir wehtut, ihn leiden zu sehen." Ich konnte nicht verhindern, dass eine Träne über meine Wange lief. Gimli schwieg eine Weile. ,,Habe ich dir schon davon erzählt, was meine Kumpanen und ich in den Höhlen von Helms Klamm gefunden entdeckt haben?", fragte er dann. Ich schüttelte den Kopf, etwas verwirrt über den plötzlichen Themawechsel. ,,Dann wird es höchste Zeit, dass ich dir davon erzähle", meinte Gimli und begann zu erzählen. Er beschrieb die Höhlen und alles, was die Zwerge dort getan und entdeckt hatten. Irgendwann hatte ich ein lebhaftes Bild von Gimlis Erzählungen vor Augen und bemerkte gar nicht, wie ich langsam aber sicher in den Schlaf driftete.
Am nächsten Tag wurde ich von einem Geräusch geweckt, dass sich wie das laute Schnarchen eines Zwerges anhörte. Verwirrt setzte ich mich auf und sah mich um. Ich entdeckte tatsächlich Gimli, der auf dem Boden saß, den Rücken an mein Bett gelehnt hatte und schlief. Leise, um Gimli nicht zu wecken, stand ich auf, suchte mir neue Kleidung aus dem Schrank und verschwand im angrenzenden Badezimmer. Als ich wieder herauskam, war Gimli offenbar gerade am Aufwachen. Der Zwerg murrte irgendetwas, offenbar auf zwergisch, vor sich hin, was sich nicht gerade sehr freundlich anhörte. ,,War dem werten Herr das Nachtlager nicht genehm?", fragte ich amüsiert. Gimli fuhr erschrocken herum. ,,Warum müsst ihr Elben euch immer anschleichen?", fragte er. ,,Es liegt nunmal in unserer Natur, uns lautlos zu bewegen. Ebenso wie es in der Natur der Zwerge liegt, untertage zu arbeiten", sagte ich. Das erste Mal seit Wochen war ich wieder komplett wach und auch dementsprechend gut gelaunt. Ich hatte meinen Vater und seine schwierige Lage nicht vergessen, doch ich wollte nicht wieder sofort von Sorgen überrollt werden. ,,Ist ja gut", meinte Gimli und rappelte sich auf, , ,,Du hast hier nicht zufällig was zu Essen? Ich brauche dringend etwas zwischen die Zähne." Das Zwerge auch immer nur ans Essen dachten. Naja, Hobbits waren in diesem Fall wahrscheinlich noch schlimmer, soweit ich von Aragorn erfahren hatte. (Wie war das mit dem 2. Frühstück?😂) Aber ich musste gestehen, dass auch ich ein wenig Hunger verspürte. ,,Hier nicht", antwortete ich auf Gimlis Frage, ,,Aber, da das Frühstück schon längst vorbei ist, werden wir in der Küche wohl etwas finden müssen." ,,Warum stehn wir dann noch hier?", fragte Gimli. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen und ging zur Tür. Dann lief ich durch die Gänge des Palastes zur Küche. ,,He Legolas, warum rennst du denn so?", hörte ich Gimli schwer atmend rufen, als ich vor der Küchentür stehenblieb. Tatsächlich war der Zwerg noch einige Meter von der Küchentür entfernt und stützte sich keuchend an eine Säule, als wäre er einen Marathon gelaufen. ,,Ich werde auch nicht jünger", meinte Gimli, als er schließlich neben mir stand. ,,Und ich werde auch nicht älter", entgegnete ich, ,,Zumindest äußerlich." ,,Witzig", sagte Gimli, doch einen Moment später lachte er kurz auf. ,,Und wo ist das Essen?", fragte er dann und sah erwartungsvoll zu mir. ,,Hier, Herr Zwerg", sagte ich nur und öffnete die Küchentür. Der Geruch von Obst, Gemüse und frisch gebackenem Brot strömte uns entgegen, als wir die Küche betraten. Als die geschäftigen Elben mich erkannten, ließen sie alles stehen und liegen und verbeugten sich höflich. ,,Lasst euch von uns nicht stören", sagte ich, ,,Wir wollen nur unser Frühstück nachholen." Die Elben nickten und widmeten sich wieder ihrer Arbeit. Einige warfen Gimli komische Blicke zu. Der Zwerg ließ sich davon aber nicht einschüchtern, sondern folgte mir erhobenen Hauptes.
Es wurde ein, für mich, beinahe sorgenfreier Tag. Nur wenig dachte ich an meine Sorgen, da ich viel zu sehr von Gimlis Übermut und seinen Sprüchen abgelenkt war. Ich spürte, dass er mich aufbaute, mir Halt gab. Eben das, was ein Freund und Seelenbruder tun sollte, wenn man Sorgen hatte. Am Abend erzählte der Zwerg Geschichten über den Bergbau und, wie bereits am Abend zuvor, schlief ich noch während er erzählte, ein. Endlich hatte ich wieder einen unbeschwerten Tag verleben dürfen. Doch wie ein Sprichwort sagt: Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, wusste ich noch nicht, ob dieser Tag auch wirklich unbeschwert enden würde...

Hurt by Fire ⚜A Middleearth Story| Book 1⚜Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt