Thranduil
Wieder war ein Tag vorübergegangen und Ruhe war in den Palast eingekehrt. Ich lag, wie so oft in letzter Zeit, mit offenen Augen auf meinem Bett. Und wieder dachte ich über diese eine Sache nach. Schon oft hatte ich in letzter Zeit darüber nachgedacht und inzwischen füllte diese eine Sache einen Großteil meiner Gedanken. Diese eine Sache. Dieser eine Gedanke, sich einfach ans Fenster zu stellen und sich hinaus in die kühle, ruhige Nachtluft fallen zu lassen. Sich so zu fühlen, als könnte man fliegen, bis man auf etwas hartem aufschlug und mit dem brennenden Schmerz, der unvermeidlich war nach diesem Aufprall, all seine Schmerzen für immer zu vergessen und in Mandos Hallen zu treten. Immer wieder hatte ich Nacht für Nacht darüber nachgedacht, eben das zu tun, doch eine Sache hinderte mich immer daran: Legolas. Ich konnte und wollte ihn einfach nicht alleine lassen, wo er doch das Einzige war, was ich hier noch hatte. Aber heute war alles anders. Legolas war nicht zu mir gekommen, noch nicht einmal in die Nähe meiner Tür. Und gestern hatten wir uns wieder einmal gestritten. Doch es war heftiger denn je gewesen. Anfangs war alles ruhig zwischen uns, doch als irgendwann und irgendwie das Gesprächsthema auf Legolas' Mutter, meine über alles geliebte Frau, fiel, artete das Gespräch in einen Streit aus. Legolas meinte, ich sei gefühllos und kalt, hätte mich nie für ihn interessiert, sondern immer nur arrogant auf meinem Thron gesessen, die Sinne vom Wein benebelt. Er verstehe nichts, hatte ich ihm daraufhin vorgeworfen, Er wisse nicht, wie es ist, eine geliebte Person für immer zu verlieren. Er könne seine Mutter nicht vermissen, da er sie kaum gekannt hatte, ich aber hatte sie Jahrhunderte lang gekannt und unendlich geliebt. Wir wurden immer lauter, warfen uns alle möglichen Vorwürfe an den Kopf, bis Legolas etwas sagte, was alles veränderte: ,,Ich wünschte, ich wäre damals an ihrer Stelle gestorben. Dann wärst du jetzt glücklich. Und zudem brauchst du mich ja überhaupt nicht. Du kommst auch ohne mich perfekt zurecht. Ich frage mich wirklich, warum du mich überhaupt bei dir behalten hast, denn du warst nie ein guter Vater. Du warst noch nicht einmal ein richtiger Vater. Und welcher Sohn braucht schon einen solchen 'Vater'? Ich jedenfalls nicht. Wenn du mich nicht brauchst, dann sei es so, aber dann kannst du nicht erwarten, dass ich jemals wieder diesen Raum betrete, um dich zu sehen!" Dann stürmte er nach draußen und ich ließ mich verzweifelt und mit Tränen in den blinden Augen auf mein Bett fallen, wo ich bis jetzt lag. Wenn Legolas, mein eigener Sohn, mich nicht mehr brauchte, dann brauchte mich niemand mehr. Ich war ein blindes, nutzloses, verzweifeltes und hilfloses Häufchen Elend. Zudem wurde ich jeden Tag schwächer, bedingt durch den Nahrungsmangel, doch das machte mir am wenigsten aus. Wenn mich niemand mehr brauchte, dann konnte ich gehen. Für immer. Langsam stand ich auf und lief zum Fenster. Vorsichtig kletterte ich auf den Fenstersims, hielt mich mit einer Hand aber noch am Fensterrahmen fest. Tränen liefen in Strömen über meine Wangen. Wind strich ununterbrochen über meine Haut und durch mein langes Haar. Ich schloss die Augen. Gleich war es so weit und ich würde von all diesem Leid erlöst sein. Doch da öffnete jemand plötzlich leise die Tür und schloss sie wieder. Einen Augenblick herrschte Stille. ,,Ada, was tust du!?", hörte ich Legolas geschockte Stimme. Langsam und vorsichtig drehte ich mich um. ,,Ich gehe", sagte ich knapp und mit zitternder Stimme. ,,Nein, bitte tu das nicht", flehte Legolas und ich hörte seine Schritte, die sich mir näherten. ,,Bleib wo du bist", sagte ich, doch er blieb nicht stehen. ,,Du kannst doch jetzt nicht einfach... gehen!?", sagte er. ,,Bleib wo du bist!", wiederholte ich mit Nachdruck, doch noch immer blieb er nicht stehen. Ich sah keinen anderen Ausweg mehr, sonst würde er mich aufhalten. Aber das konnte er nicht. Nicht mehr. Langsam löste ich meine Hand vom Fensterrahmen. ,,Vater!", flehte Legolas. ,,Nun beginnt deine Zeit, mein Sohn", sagte ich unter Tränen und ließ mich nach hinten fallen. Alles schien plötzlich wie in Zeitlupe. Ich hörte und spürte nichts mehr, nur den Wind um mich herum. Bis sich plötzlich eine starke Hand um meine schloss und ein Ruck meinen linken Arm durchfuhr. Ein schmerzvolles Keuchen entwich mir, da ein Schmerz auf den Ruck folgte. Ich wusste nicht, was danach genau geschah, da der Schmerz mich betäubt hatte. Erst als ich spürte, dass ich über den Fenstersims gezogen wurde und schließlich halbwegs sanft auf dem Fußboden aufkam, wurde mir bewusst, dass Legolas mich an dem geplanten Sturz aus dem Fenster gehindert und in das Zimmer zurück gezogen hatte. Ich befand mich also, halb sitzend, halb liegend, auf dem Boden und lehnte mich erschöpft an Legolas' Brust. Jetzt spürte ich den Schlaf, der mir seit Wochen fehlte, ebenso wie nagenden Hunger. ,,Vater?", hörte ich Legolas fragen. Seine Stimme war kaum mehr als ein Hauchen und ich konnte deutlich den Schock heraushören, den er erlitten haben musste, als er mein Gemach betrat. Die Stimme meines Sohnes zu hören und seine Nähe zu spüren, ließ die Gedanken an den Sturz aus dem Fenster, alle dunklen Gedanken an Selbstmord, augenblicklich verblassen und ich realisierte alles, was ich in letzter Zeit getan hatte. Was ich mit mir getan hatte. Ich hatte mich der Verzweiflung hingegeben und mich dadurch fast zerstört, umgebracht. Und Legolas hatte das alles mit ansehen müssen, all dieses Leid und noch dazu hatten wir uns fast jeden Tag gestritten, nur weil ich zu stolz gewesen war, um mir helfen zu lassen. Still begann ich wieder zu weinen. Ich konnte es einfach nicht verhindern. ,,Ada", sagte Legolas leise und ich spürte seine Hände an meinen Oberarmen. Es tat so gut, zu wissen, dass er hier war. Wie sehr ich mir doch wünschte, ihn ansehen zu können, die Schwärze in meiner Sicht einfach für immer zu vertreiben. Doch es war unmöglich. Leider. Immer stärker spürte ich, wie schwach ich geworden war, was durch meine Tränen noch verstärkt wurde und zudem schmerzte meine linke Schulter. In meinem Kopf wurde es immer nebliger und ich bemerkte, dass ich in eine Ohnmacht driftete. Ich hob langsam meine immer schwerer werdenden Arme und klammerte mich an Legolas' Arme, die immernoch an meinen Schultern lagen. Jetzt wurde es mir endgültig klar: Ich konnte es nicht mehr ohne Hilfe schaffen, ich brauchte jemanden an meiner Seite, dem ich vertrauen konnte und der mir half, diese schwierige Situation zu meistern. Ich wollte etwas sagen, doch brachte zunächst keinen Ton heraus. Schließlich brachte ich einen kleinen Satz hervor. Meine Stimme war nicht mehr wie ein Hauchen. Niemals zuvor hätte ich diesen Satz gesagt, doch jetzt wusste ich, dass ich untergehen würde, wenn ich den Anschein von Stärke weiterhin wahrte. Doch dies war nur ein Grund, warum ich diesen Satz sagte. Der andere Grund war die Person, die mich vor dem Sturz aus dem Fenster bewahrt hatte und an die ich mich nun klammerte: Mein Fleisch und Blut. Mein Sohn. Legolas. Meine Lippen fühlten sich an, als würden sie aus Blei bestehen, so schwer viel es mir momentan, zu sprechen, obwohl es nur zwei Wörter waren, die ich schwach und flehend flüsterte: ,,Hilf mir..."
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Hurt by Fire ⚜A Middleearth Story| Book 1⚜
Fantasi,,Ihr seid erblindet!" Dieser Satz lässt Thranduil verzweifeln. Was soll er jetzt, als blinder Elb und noch schlimmer als blinder König, tun? Selbstzweifel lassen ihn Tag und Nacht nicht mehr los und schließlich läuft es sogar darauf hinaus, dass er...