Kapitel 16 - Hochkönig Peter

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Die Tage vergingen. Die Riesen zogen von Norden nach Süden, gen Archenland, wo sie sich mit den Truppen der Archenländer trafen, wie die Späher Narnias berichteten. Alle Dörfer auf ihrem Weg waren zuvor geräumt worden, so dass kein Riese auf einen Narnianen gestoßen war - es gab keine Toten.
Helena hatte die meiste Zeit in ihrem Zimmer verbracht. Ab und an hatte sie es zum Essen verlassen. Lorion war des Öfteren bei ihr gewesen. Sie hatten in Büchern über Narnias Geschichte gelesen. Auch wenn es keine seltsamen Vorfälle gegeben hatte, wollten sie sich über die vergangenen Kriege informieren. Es waren einige, in vielen hatte Helenas Familie gekämpft. Sie war so viel anders als ihre Mutter, die bereits in ihrem Alter eine Armee angeführt hatte.
Seit dem letzten Zusammenstoß auf Violett hatte Helena nicht mehr mit ihr gesprochen. Die Prinzessin war nicht mehr aus ihrem Lager gekommen und die Königin fand es allmählich merkwürdig, doch machte sie auch keine Anstalten, ins Lager zu gehen und nach dem Rechten zu sehen.
"Deine Mutter ist in der ersten Schlacht von Beruna gestorben", bemerkte Lorion beeindruckt, der seinen Blick auf die Seite des Buches über die Könige und Königinnen der alten Zeit gerichtet hatte. "Sie war fünfzehn. Der Erzähler berichtet von einem hellen Licht, dann stand sie, als ob nichts geschehen wäre, vor deinem Vater." Lorion blickte auf und sah Helena an. "Ihre Kraft hat sie zurück ins Leben gerufen."
"Das war mehr ein Zufall, denke ich", gab Helena zurück. "Wir wissen nicht, wie sehr meine Mutter ihre Kraft damals unter Kontrolle hatte."
Lorion schwieg und sah sich noch einmal die gelben Pergamentseiten an, die mit kunstvoller Schrift beschrieben waren. "Wer waren eigentlich ihre Eltern? Woher kam sie? Wenn sie mit fünfzehn schon regiert hat -"
"Sie wusste es selbst nicht. Eines Tages fand Aslan sie in Narnia. Es ist wie ein Rätsel. Was war zuerst da - die Henne oder das Ei? Sie ist vielleicht von Aslan erschaffen worden. Ich weiß es nicht."
Lorion wollte etwas erwidern, doch das Klopfen an der Tür ließ ihn nicht zu Wort kommen. Helena bat um Eintritt und ein Diener betrat das Zimmer.
"Eurer Gnaden, Prinz. Hochkönig Peter von Narnia befindet sich auf dem Weg hierher. Er wird bald eintreffen. König Kaspian wies an, dass sich alle im Thronsaal versammeln sollten."
"Ich danke dir für die Nachricht", sagte Helena.
Der Mann verbeugte sich leicht und verließ das Zimmer. Helena spürte Lorions Blick auf ihr liegen. Sie sah ihn nicht an, schlug nur das Buch zu und erhob sich.
"Dein Vater. Wie wirst du ihm gegenübertreten?", fragte Lorion vorsichtig.
"Wie eine Königin", sagte Helena und straffte ihre Haltung.

Helena stand neben Kaspian vor seinem Thron. Die Lords Telmar waren anwesend, ebenso wie Lucy, Edmund, Eustachius, Lorion, Violett und einige andere am Hofe angesehenen Leute.
Die Tür wurde aufgestoßen, ein Mann trat ein - jedoch war es nicht der Hochkönig. Es schien ein Berater zu sein, wie man anhand der Kleidung erkennen konnte.
"Hochkönig Peter der Prächtige von Aslans Gnaden, Herr von Cair Paravel und Kaiser der Einsamen Inseln!", rief er und trat zur Seite.
In diesem Moment betrat der König Narnias den Saal. Helena stockte der Atem. Ihr Vater hatte längere Haare als sonst und trug einen Bart. Sein Gesicht war ernst und ausdruckslos. Seine Wangen waren eingefallen, die Wangenknochen härter, und die Tränensäcke waren deutlich unterhalb seiner Augen zu erkennen. Er trug ein dunkles Gewand, geschmückt mit goldenen Verzierungen. Ihr Vater hatte sich verändert, sehr sogar, und anhand der Blicke ihrer Verwandten neben ihr, wusste sie, dass auch sie so dachten.
"Peter", sagte Kaspian, als er sich aus seiner Starre gerissen hatte.
Er lief mit ausgebreiteten Armen auf den Mann zu und umarmte ihn schließlich. Peter erwiderte sie knapp, sein Blick war starr nach vorn gerichtet - er sah ins Nichts, so schien es.
"Peter", sagte auch Edmund, doch im Gegensatz zu Kaspian rührte er sich nicht. "Was ist der Grund für deine Anwesenheit?"
"Die Riesen haben sich im alten Camp von Aslan niedergelassen. Sie planen einen Angriff auf Cair Paravel, so wirkt es. Deswegen bin ich hier. Ich will mit euch persönlich über unser Problem sprechen", erklärte der Mann, ohne jegliche Anzeichen von Gefühlen in der Stimme.
"Du verlässt Cair Paravel, während nicht wenige Stunden von dir entfernt Riesen sitzen?", wiederholte Edmund verständnislos.
"Sonst wär' ich nicht hier, oder, Bruder?", gab Peter mit einem provokanten Ton zurück.
Fassungslos schüttelte Edmund den Kopf. "Cair Paravel ist nur ein Schloss. Es ist keine Burg oder geschützt."
"Wenn du etwas sagen möchtest, dann tu's jetzt. Ich habe keine Zeit, mir deine Vorwürfe anzuhören. Reite nach Cair Paravel und pass' selbst auf das Schloss auf, wenn du dir solche Sorgen darum machst."
Edmund schüttelte wieder den Kopf. Er konnte nicht glauben, was sein Bruder soeben zu ihm gesagt hatte. Der Mann straffte seine Haltung und lief los, in Richtung Ausgang. Kurz blieb er neben Peter stehen und ohne ihn anzusehen, sagte er: "Du hast wirklich jede Art von Menschlichkeit verloren, Bruder." Mit diesen Worten ging er davon. Das laute Rumpeln der schweren Tür ließ Helena zusammenzucken, und als langes Echo hallte es durch den Saal.
Kaspian räusperte sich. "Nun, denn. Ich denke, du willst dich erst frisch machen. Wir können nachher weitersprechen."
Kaspian verließ ebenso die Halle und somit war der Empfang beendet. Die Lords erhoben sich und verschwanden, Lorion, Violett und die anderen ebenfalls. Lucy warf Helena noch ein leichtes Lächeln zu, bevor sie Eustachius nach draußen folgte. Nun befanden sich nur Helena und Peter in dem Saal. Helena stand auf der Erhebung des Thrones, ihr Vater einige Meter von ihr entfernt. Er sah sie an, weiterhin ausdrucklos, und Helena spürte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete.
"Du hast meinen Befehl missachtet", meinte Peter nur.
Seine Tochter starrte ihn an, fassungslos. "Das ist alles? Das ist alles, was du nach sechs Monaten zu sagen hast?", fragte sie. Sie lachte, Bitterkeit lag in ihrer Stimme. "Ich bin die Königin. Deine Befehle tragen kein Gewicht."
"Ich bin dein Vater!", donnerte Peter, so dass Helena zusammenzuckte. Er trat einen Schritt auf sie zu, den Finger erhoben. "Was ich sage, hast du zu beachten, sonst sehe ich mich gezwungen, Gewalt anzuwenden."
"Drohst du mir etwa? Wie, hast du geglaubt, sollte ich auf dich reagieren, Vater? Du hast mich hier zurückgelassen, ohne jegliche Erklärungen. Ich muss mit allem hier allein zurechtkommen. Du hast dich nicht gemeldet; ein, zwei Briefe hab' ich von dir bekommen, nicht mehr. Glaubst du, ich akpzeptiere dich? Glaubst du, ich sehe dich als Vater? Dann hast du falsch gedacht. Du bist für mich nichts mehr als ein Untertane. Du bist nur ein Soldat, der auf meinen Befehl hin marschiert, denn ich bin deine Königin. Du hast deine Tochter schon lange verloren."
Helena raffte ihren Rock und schritt die Stufen hinunter. Sie würdigte dem blonden Mann keinen Blick, und hastig schritt sie aus dem Saal.

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Die Chroniken von Narnia - The Enemy of my Enemy || Band 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt