Helena führte den Trupp zusammen mit Lorion an. Sie hatten den Weg durch die südlichen Ödlande genommen, ein Umweg; sie würden von Süden nach Kalormen gehen, nicht von Norden wie beim letzten Mal.
Chiron und Violett bildeten das Ende des Zuges. Einige telmarische Soldaten begleiteten die Königin Narnias; ihre Familienmitglieder hatte sie im Lager zurückgelassen, falls sie noch einmal angegriffen werden sollten.
Helena hatte mit Lorion noch kein Wort über das Vergangene gesprochen. Deswegen empfand sie die Stimmung am Anfang des Trupps grauenvoll, diese angespannte Stimmung. Sie hatten seit dem Anbruch ihrer Reise über nichts gesprochen; es gab nichts, worüber sie sprechen konnten.
Sie machten Rast. Helena ließ ihr Pferd Wasser von dem Tümpel trinken, etwas abseits von den anderen. Lorion kam herüber zu ihr, langsam und ruhig.
"Wir sollten reden ...", begann er.
"Worüber?", gab Helena zurück. Sie sah ihn nicht an, sie wollte ihm nicht in die blauen Augen sehen.
"Du weißt, worüber."
Nun hob sie doch den Kopf, wenn auch widerwillig. "Lorion, hör zu, ich bin eine Königin, du ein Prinz. Wir können nicht zusammensein. Das würde mich erniedrigen."
"Aber ich werde bald König sein", erwiderte Lorion. "Wenn mein Vater erst einmal tot ist, gehört mir die kalormenische Krone."
"Du sprichst davon, dass dein Vater tot ist", meinte Helena verständnislos.
"Er ist ein Tyrann. Er hat Verrat an der Krone begannen."
"Aber er ist dein Vater", entgegnete das Mädchen. "Nur weil Violetts Vater die Seiten gewechselt hat, hat sie nicht aufgehört, ihn zu lieben."
"Ihr Vater wurde doch Magie böse, meiner war es seit seiner Geburt - das ist ein Unterschied."
Helena reckte das Kinn. "Dennoch ändert das nichts an den Umständen."
"Also weist du mich ab?"
"Ja."
"Ist es seinetwegen?" Lorion nickte Chiron zu, der mit einem der Soldaten sprach. "Er ist auch nur ein Prinz, von einem Land, welches nicht einmal mehr existiert."
"Nein, es ist nicht seinetwegen", erwiderte Helena. "Ich hege keine Gefühle für ihn." Lorion öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch die Königin kam ihm zuvor. "Ich denke das Gespräch ist hiermit beendet." Sie ergriff die Zügel ihres Pferdes und zog es zu den anderen.Tashbaan erschien vor ihnen. Der Wall war mit Wachen postiert, die ihre Ankunft wahrscheinlich schon dem König berichtet hatten. Sie hielten auf dem Hügel. Helena hatte den Blick auf die Burg gerichtet, die Männer auf der Mauer starrten unaufhörlich zu dem Trupp herüber. Die Zugbrücke wurde hinuntergelassen und eine Schar Reiter kam heraus. Sie hielten kurz vor dem Tor, sie warteten.
"Ich werd' mit ihnen sprechen", verkündete Helena.
"Nein, auf keinen Fall", sagte Lorion sogleich.
Wütend funkelte das Mädchen ihn an. "Das waren die Worte einer Königin, Prinz Lorion. Wollt Ihr Euch etwa mir in den Weg stellen?"
"Nein, Euer Gnaden", sagte der Mann und ließ den Kopf sinken.
Helena gab ihrem Pferd die Sporen und galoppierte der Burg entgegen. Die Reiter machten ihr platz und sie brachte ihr Tier vor dem Tor zum Stehen.
"König Titanos wird Euch nicht empfangen", sagte einer der Reiter.
"Ich will nicht empfangen werden", meinte Helena. "Ich werde hier draußen auf ihn warten, bis er sich mir stellt, er und die Hexe. Dort drinnen, hinter den Mauern ist sein Revier, doch hier, vor dem Gestein, liegt die Macht bei mir. Bringt die beiden zu mir und euch wird kein Leid erteilt."
"Welche Macht könnet Ihr schon besitzen, um mich in die Knie zu zwingen?", erklang eine Stimme in Helenas Rücken. Sie wandte sich um und erkannte Titanos, der von den Zinnen auf sie hinabblickte.
"Kommt herunter und Ihr werdet es selbst spüren", sagte das Mädchen. "Bleibt dort oben und Ihr werdet Eure Stadt brennen sehen."
Titanos lautes Lachen schallte über die Ebene. "Mit einer handvoll Männer? Ihr habt nicht einmal genug, um meine Soldaten vor der Festung zu überwinden."
Ein Lächeln huschte über Helenas Lippen. "Ich glaube, Ihr wisst, wer meine Mutter war und was sie konnte, nicht?"
"Eure Mutter ist tot. Wen interessiert eine Tote?"
"Sagt Ihr es mir. Interessiert es Euch, was sie konnte? Nun, wenn nicht, werdet Ihr Euch sicher für das interessieren, was folgen wird." Helena wendete ihr Pferd. "Möget Ihr die Macht spüren." Das Mädchen gab dem Tier die Sporen und preschte davon.
"Und?", wollte Lorion sogleich wissen, als sie ihn erreicht hat. "Was hat er gesagt?"
"Er nimmt den blutigen Weg", erklärte Helena. Ihr Blick fiel auf Chiron und dieser nickte. Die beiden stiegen beinahe zeitgleich ab und langsam liefen sie auf die Burg zu.
"Hast du Angst?", fragte Chiron sie.
"Ich wäre eine Närrin, wenn nicht", gab das Mädchen zurück.
"Es könnte schiefgehen. Wir könnten sterben."
"Hätten wir den anderen Weg genommen, wären wir ebenso tot", erwiderte Helena. "Es ist meine Pflicht, mein Königreich zu schützen, und wenn es nur diese Möglichkeit gibt, dann muss ich sie ergreifen. Entweder gehe ich mit meinem Volk unter oder wir alle überleben."
"Du bist eine gute Königin", meinte der Prinz. "Deine Mutter wäre stolz auf dich."
Helena sah ihn an. Sie musterte schweigend sein Gesicht, dann wandte sich ab. "Wir können nicht wissen, was sie empfunden hätte und was nicht."
Auf einmal ergriff Chiron ihre Hand und erschrocken blickte Helena die verschlungenden Finger an.
"Es ist soweit", sagte der Prinz nur und sah nach vorn. Auch Helena hob den Blick. Sie waren stehengeblieben, einige Meter vom Tor entfernt. Die Reiter standen immer noch davor und fragend und verwundert sahen sie sie an.
Chiron schloss die Augen und entspannte sich, Helena tat es ihm nach kurzem Zögern gleich. Sie spürte das Kribbeln, welches durch ihre Finger verlief und immer weiter nach oben wanderte. Eine strahlende Kugel aus reiner Magie bildete sich um sie herum. Sie erstreckte sich, wurde immer größer, bis plötzlich ein Schrei das Ritual unterbrach.
"Nein! Hört auf! Was tut ihr da?"
Chiron und Helena öffneten ihre Augen. Die Weiße Hexe stand einige Meter von ihnen entfernt, das Gesicht blasser als sonst.
"Ihr verspracht, mich auf dieser Welt verweilen zu lassen, wenn ich euch helfe."
"Das war, bevor Ihr uns verraten habt", meinte Helena.
"Ihr werdet uns alle töten", zischte Jadis. "Ihr werdet keine Kontrolle über diese imense Kraft haben."
"Oh, glaub mir, liebste Tante, das werden wir", sagte Chiron. Er drückte Helenas Hand fester; das Zeichen dafür, dass die Magie bereit war. "Jetzt!"
Mit einem Mal ließen die beiden die Kraft frei. Sie schoss über die Ebene, auf das Schloss zu. Die trockenen Grashalme bogen sich unter dieser, das Gestein der Mauer bebte. Jadis schrie auf, die Arme ausgebreitet. Titanos, der weiterhin auf dem Wall stand. Die Welle erreichte ihn. Auch er begann zu schreien und unter Schmerzen fiel er auf die Knie. Jadis hielt länger Stand als er. Nach einigen Lidschlägen, nachdem er zu schwarzer Asche zerfallen war, löste auch sie sich in Rauch und Staub auf, der vom Wind davongetragen wurde.1127 Wörter
Das letzte Kapitel. Jetzt kommt nur noch ein Epilog.
DU LIEST GERADE
Die Chroniken von Narnia - The Enemy of my Enemy || Band 6
Fiksi PenggemarBuch 6 Wie weit würdest du gehen, um dein Königreich zu schützen? Würdest du dich mit deinem ärgsten Feind zusammenschließen? Ein Sturm zieht auf - einige Länder stimmen nicht mit der Politik der neuen Herrscherin überein, sie zweifeln. Die Königsh...