Kapitel 24 - Zwei Männer, eine Königin

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Kaspian lief über das zerstrampelte Gras und die aufgewühlte Erde. Er suchte nach Überlebenden, doch bisher hatte er kein Glück. Der König blieb stehen und beobachtete die Gruppe von Menschen, die ebenfalls über das Feld und die Leichen schritten. Edmund trat neben ihn und nickte in die Richtung der Leute.
"Ich weiß nicht, ob ich das gutheißen soll", sagte er.
"Ich auch nicht", stimmte Kaspian zu.
Helena und ihre Begleiter erreichten die beiden. Sie trug ledernde Hosen und ein weißes Hemd - sie war in eine Seemannskluft gekleidet; die anderen ebenfalls.
"Onkel", sagte Helena und nickte den beiden Männern zu.
"Helena", gab Kaspian zurück. "Du bist wohl auf, und wie ich sehe, bist du nicht allein."
Edmund starrte herüber zur Weißen Hexe, die mit dem Kommandanten ihrer Armee sprach. Er kniff die Augen zusammen und wandte sich an Helena. "Wie konntest du das nur tun?", verlangte er aufgebracht zu wissen.
"Es war die einzige Möglichkeit, den Krieg aufzuhalten", meinte das Mädchen.
"Den Krieg aufhalten? Mit ihr?" Edmund blickte wieder zu Jadis und verzog vor Abscheu das Gesicht. "Sie bringt Krieg, aufhalten tut sie ihn nicht."
"Glück für dich, dass ich nicht auf dich höre, sonst würdest du wahrscheinlich auf der Erde liegen und nicht die hier." Helena warf den Toten zu ihren Füßen einen Blick zu.
Ein spitzer Schrei hielt Edmund davon ab, zu antworten. Die archenländische Prinzessin rannte über die aufgequollende Erde und ließ sich dann neben eine Leiche auf die Knie fallen. Sie nahm den Toten in den Arm. Sie hörten Violett weinen. Sie wiegte ihn hin und her, und langsam näherte Helena sich ihr.
"Er war mein Vater!", schrie Violett ihr ins Gesicht. "Er war mein Vater! Er hat nichts verbrochen. Er war immer loyal! Das ist Titanos' Schuld. Bringt ihn zurück. Bitte!"
"Tut mir leid", flüsterte Helena. "Das kann ich nicht. Das liegt nicht in meiner Macht."
"Er war mein Vater", schluchzte Violett leise, während sie den Mann gegen ihre Brust drückte. Tränen rannen ihre Wangen hinunter und fielen schwer auf die Erde.
Helena sah zu Lorion, der die Prinzessin beklommen musterte. Selbst Chiron war bedrückt.
"Er wird in Aslans Land einen rechtmäßigen Platz erreichen", sagte Kaspian. "Möge er in Frieden ruhen."

Edmund saß am Abend alleine in seinem Zelt. Er musterte die Karte Narnias und ging Ereignisse noch einmal durch; er versuchte es, doch waren seine Gedanken bereits mit der Weißen Hexe belegt. Es konnte nur schlecht sein, dass sie zurück war. Nach all der Zeit wäre es ein Wunder, wenn sie auf ihrer Seite war.
Sie hatten sich an der Stelle von Aslans altem Lager niedergelassen. Viele Narnianen und Telmarer waren gestorben, doch dank der Hexe war das ganze feindliche Heer vernichtet.
Auf einmal wurde der Zeltvorhang zur Seite geschoben. Edmund blickte auf und sein Herz setzte kurz aus. Jadis, in einem weißen Kleid gekleidet wie jenes, welches sie bei ihrer ersten Begegnung getragen hatte, stand vor ihm - ein Lächeln war in ihr Gesicht gezeichnet.
"Edmund", sagte sie. Sie fuhr mit ihren Händen über die Gegenstände, welche auf der Kommode standen. "So viele Jahre ..."
"Was willst du?", zischte der Hochkönig.
"Mit dir über alte Zeiten plaudern." Sie hob den Kopf. "Wir hatten doch viel Spaß, du und ich, oder etwa nicht?"
"Ich denke, du verwechselst da etwas", meinte Edmund trocken.
Ein weiteres Mal wurde der Zeltvorhang zur Seite geschoben und eine Wache trat ein. "Ich hatte aufgebrachte Stimmen vernommen, Euer Gnaden. Ich dachte, Ihr seid in Schwierigkeit-"
Er konnte nicht weitersprechen, denn da hatte Jadis bereits ihren Stab gezückt und den Mann zu Stein verwandelt.
"Auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit", sagte sie mit einem süffisanten Lächeln, bevor sie Edmunds Zelt verließ.

Helena goss etwas Wein in zwei Becher und reichte Lorion einen davon.
"Ich glaube, wir haben einen Fehler begannen", sagte sie.
"Ohne Jadis wären deine Onkel sowie deine Tante und dein Großcousin tot", meinte Lorion, während er am Wein nippte.
"Unschuldige sind gestorben. Violetts Vater ..."
"Wir hätten es nicht verhindern können", entgegnete der Prinz.
"Doch hätten wir. Wir hätten einen anderen Weg ergreifen können, einen Weg, der nicht so blutig geendet wäre."
Lorion stellte den Becher ab und erhob sich. Langsam lief er auf die Königin zu. Er ergriff ihren Wein und stellte ihn auf den Tisch. Dann nahm er behutsam ihre Hände in die seine.
"Wir können die Vergangenheit nicht ändern, Helena. Wichtig ist die Gegenwart und das, was uns bevorsteht", sagte er.
Helena blickte auf ihre Hände. Sie rang nach Worten, doch wollten keine ihre Lippen verlassen. Als sie aufblickte und gerade etwas sagen wollte, küsste er sie auf einmal. Sie legte ihre Hände in seinen Nacken und zog ihn zu sich hinunter. Der Kuss wurde verlangender und leidenschaftlicher.
Sie bewegten sich auf das Bett zu. Helenas Finger versuchten, wenn auch etwas ungeschickt, Lorions Wams zu öffnen. Der Prinz küsste ihren Hals, während er die Schnüre ihres Kleides öffnete. Langsam ließ sie sich rücklings auf das Bett sinken. Lorion beugte sich über sie. Gerade als er ihr das Kleid hinunterziehen wollte, betrat jemand das Zelt. Erschrocken wichen die beiden auseinander, Helena presste den Stoff ihres Kleides an ihre Brust.
"Oh, Verzeihung. Ich wollte euch beide nicht stören", sagte Chiron. Ein Lächeln zierte seine Lippen, doch als er zu Helena blickte, verschwand es.
Sie starrte ihn an; ihr Blick sollte sagen, dass er nichts von dem erzählen sollte, was damals im Schloss der Weißen Hexe geschehen war.
"Was wollt Ihr?", fragte Lorion genervt.
Chiron sah ihn an. "Ich wollte eigentlich zur Königin", gab er zurück.
"Sie ist beschäftigt."
"Das sehe ich."
"Dann könnt Ihr ja wieder gehen", meinte Lorion.
"Wir sollten einen neuen Plan ausarbeiten", sagte Chiron.
"Das hat auch bis morgen Zeit." Lorions Stimme war nur noch ein Knurren.
"Violett ist allein in ihrem Zelt und weint sich die Augen aus dem Kopf."
"Dann leistet ihr doch Gesellschaft", gab der kalormenische Prinz zurück.
"Tu du es doch", giftete Chiron.
"Es reicht!" Helena, die sich bei dem Streit der beiden wieder angezogen hatte, erhob sich und funkelte die Männer wütend an. "Verlasst augenblicklich mein Zelt."
"Euer Gnaden ...", setzte Lorion an, doch das Mädchen unterbrach ihn mit einer Handbewegung.
"Ich sagte, verschwindet!"
Die Männer sahen sich an, dann gingen sie. Helena ließ sich auf die Bettkante sinken und fuhr sich verzweifelt durch die Haare. Was hatte sie sich da nur eingebrockt?

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Die Chroniken von Narnia - The Enemy of my Enemy || Band 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt