Kapitel 20 - Der Ausweg

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Das Klappern des Tellers und des Bestecks hallte durch den Saal. Lorion und Helena saßen Chiron gegenüber, der weiterhin mit angeketteten Füßen und Händen schmatzend das Essen hinunterschlang.
"Ich sage euch, nach sechs Monaten aufgeweichtem Brot und schmutzigem Wasser, ist das hier wie das Paradies", meinte der Prinz und kippte sich den Wein die Kehle hinunter.
Lorion und Helena sahen ihm angewidert dabei zu, sagten jedoch nichts.
"Und Aslans kann euch nicht helfen?", fragte der Mann, der sich vor dem Essen gebadet und rasiert hatte, so dass die blonden Locken wieder in voller Pracht erstrahlten.
"Als ob Ihr Euch je für Aslan interessiert habt", gab Lorion zurück.
"Er ist sehr unfreundlich." Chiron sah Helena an und deutete mit der Gabel auf den Mann zu ihrer Linken.
"Wie meintet Ihr das, dass Ihr nicht der Letzte Eures Reiches seid?", fragte die Königin, ohne auf die Aussage einzugehen.
Chiron aß weiter. "So, wie ich es gesagt habe."
"Charn ist vernichtet, Eure Mutter sowie Eure Tante tot", meinte Lorion.
"Glaubt Ihr, Jadis war die einzige Hexe, die vor Jahrtausenden freigelassen wurde?"
Helena zog verwundert die Stirn in Falten. "Wir hätten doch was von anderen Hexen gehört, wenn sie hier irgendwo in Narnia herumstreifen."
Der Prinz unterbrach sein Essen. Er legte das Besteckt beseite, stellte die Ellenbogen auf und verschloss die Finger ineinander. "Als Jadis zurück kam, wurden wenige Hexen von Charn freigesetzt. Sie waren viel schwächer als die Weiße Hexe und daher konnte Aslan sie zu Stein verwandeln und sie fern von allen anderen verschließen. Niemand weiß, wo sie sich befinden, aber falls die Geschichten wahr sind -"
"Falls", betonte Helena. "Es ist nur ein großes Falls. Es ist nur eine Geschichte."
"Wo, glaubt Ihr, haben meine Mutter und ich gelebt? Charn war zerstört. Meine Mutter schaffte es ebenfalls, freizukommen, damals, als der Professor aus der anderen Welt Jadis aus Versehen befreit hatte. Sie tauchte unter, Jahrtausende hatte man sie nicht gefunden, bis sich vor Monaten die Gelegenheit ergab."
"Ich will wahrscheinlich nicht wissen, wer Euer Vater ist", murmelte Lorion.
Chiron grinste ihn verschwörerisch an, dann blickte er wieder zu Helena. "Aslan hat es nicht geschafft, uns zu finden. Er wusste nicht einmal, dass wir existieren. In dem Glauben, dass er alle Hexen verbannt hatte, konnten wir friedlich unsere Rachepläne schmieden, dafür, dass Charn zerstört und meine Tante getötet wurde. Natürlich haben wir versucht, die verbannten Hexen zu finden, doch fehlte es uns an Kraft. Meine Mutter war weitaus schwächer als ihre Schwester, und ich hatte aus diesem Grund ebenfalls nicht die nötige Kraft. Jetzt haben wir sie."
Ungläubig starrte Lorion den blonden Mann an. "Ihr wollt Hexen befreien?"
"Ja", gab Chiron knapp zurück, während er sich ein Stück Fleisch zwischen die Zähne schob.
"Wieso haben wir jetzt die Kraft?", wollte Helena wissen.
"Deine Mutter war stark. Sie hat dir die Magie vererbt. Also besitzt du ebenfalls so viel Magie. Das könnte uns helfen."
"Und wie wollen wir die Hexen finden?", fragte Lorion.
"Oh, ich weiß, wo sie sind", sagte Chiron und zwinkerte den beiden vor sich zu.

"Kann man ihm wirklich vertrauen?", fragte Lorion, als Helena die notwendigsten Sachen zusammenpackte.
"Uns bleibt keine andere Wahl, schätze ich", gab die Königin zurück und verschloss die Satteltaschen.
"Ich kann euch hören", bemerkte Chiron, der einige Meter von ihnen entfernt stand.
Lorion verdrehte genervt die Augen und wandte sich wieder dem Mädchen zu.
"Hast du den Vogel geschickt?", fragte es.
"Ja. Es kam nur noch keine Antwort zurück."
"Es wird auch keine zurückkommen. Das ist nicht ihre Art." Helena reichte Lorion die Taschen. "Bist du bereit?"
"Nein. Nicht mal annähernd."
"Gut. Ich nämlich auch nicht."
Lorion warf sich die Taschen über die Schultern und packte dann Chiron, den er neben sich herzog. Helena schlich vor ihnen durch die Korridore. Falls sie auf jemanden treffen würde, könnte sie Lorion ein Zeichen geben, so dass er und Chiron stehenblieben und sie auf den Jemand einreden konnte, bis er verschwunden war.
Das Glück war auf ihrer Seite. Sie nahmen Wege, auf welchen keine Wachen postiert waren und es kam ihnen auch keine entgegen, so dass sie ohne Probleme nach draußen zu den Ställen gelangen konnten. Es war dunkel, nur Fakeln spendeten ein wenig Licht. Hastig sattelten sie drei Pferde und beluden diese dann mit ihren Sachen.
"Wenn ich reiten soll, müsst ihr mir die Ketten abnehmen", meinte Chiron und hob die Hände hoch.
"Auf keinen Fall", erwiderte Lorion sofort. "Wenn wir das machen, wirst du versuchen zu fliehen."
Chiron legte verständnislos den Kopf schief. "Wenn wir hier wirklich herauskommen sollten, dann werden wir gejagt. Ich werde gejagt, und wenn ich nicht bei euch bleibe, bin ich geliefert."
"Nein", wiederholte der Prinz Kalormens ernst.
Chiron seufzte genervt und widerwillig lief er auf sein Pferd zu. Unbeholfen zog er sich hinauf, während Lorion und Helena ihn keines Blickes würdigten. Als er endlich halbwegs ordentlich im Sattel saß, gaben die drei ihren Tieren die Sporen und ritten kurz darauf durch die engen Gassen, hinaus zum Tor. Es dauerte nicht lange und die lauten Alarmglocken erklangen.
Helena sah nicht zurück. Sie hatte damit gerechnet, bemerkt zu werden - und solange alles nach Plan verlief, würde nichts geschehen. Hinter ihnen erklang Hufgetrappel und erst jetzt wagte die Königin einen Blick nach hinten. Sie wurden von der Garde verfolgt, die immer weiter aufzuholen drohte.
Vor ihnen tauchte das Tor auf und Helenas Hoffnung auf eine Flucht sank.
"Wir werden es nicht schaffen", rief das Mädchen gegen den Wind.
"Zügelt nicht euer Tempo", wies Lorion an, der vor dem Mädchen ritt.
Verwundert blickte Helena kurz zu dem Prinzen. "Wenn wir das machen -"
"Vertrau mir."
Helena atmete tief durch und sah wieder nach vorn. Sie bemerkte den Ruck, der durch das Eisengitter des Tores lief. Sie spürte Erleichterung in sich auf kommen, als es sich öffnete.
"Kopf runter!", rief Lorion, und im nächsten Moment ritten sie unter dem noch nicht einmal vollkommen geöffnetem Tor hindurch. Kaum hatten sie es passiert, raste das Gitter mit einem lauten Rumpeln hinunter. Die Zugbrücke war heruntergelassen, so dass sie ohne Probleme dem Lager der Archenländer entgegenreiten konnten. Helena vernahm die Mechanik der Brücke, die wieder hochgefahren wurde, und sie wusste - sie hatten den ersten Teil erfolgreich geschafft.
Drei Reiter ritten ihnen entgegen. Chiron, Helena und Lorion hielten auf der Hälfte des Weges und auch die anderen drei Reiter blieben vor ihnen stehen. Mit ernster Miene ließ sie ihre Blicke über die Geflohenen schweifen. Kurz blieb sie an Chiron hängen, der mit zitternden Händen sich im Sattel zu halten versuchte.
Violett atmete tief durch und wandte sich an Helena. "Wir sollten keine Zeit verlieren."
Helena nickte. "Wie viele Männer schickst du mit?"
"Alle", sagte Violett, ohne mit der Wimper zu zucken. "Sie gehören zu mir und ich gehöre zu ihnen."
"Und die, die uns bei der Flucht verholfen haben?", wollte Lorion wissen.
"Bestochene Telmarer", erklärte die archenländische Prinzessin knapp. Sie hob die Hand und hinter ihr setzten sich Reiter in Bewegung. "Wir sollten aufbrechen."
Wieder nickte Helena. Sie gab ihrem Pferd die Sporen und im Jagdgalopp preschte sie die Ebene entlang, gefolgt von Lorion, Chiron, der von Soldaten eskotiert wurde, Violett und deren Männern.

Der Große Fluss tauchte vor ihnen auf. Es regnete in Strömen. Die Sicht des Trupps war verschwommen, die Kleidung durchtränkt. Die Rüstungen quietschten bei jeder Bewegung, doch war dies kaum zu hören, da der Regen und das Toben des Sturms zu laut waren.
Sie hatten die telmarischen Soldaten im Wald abhängen können. Der Regen war rechtzeitig zur Hilfe geeilt, doch nun war er zum Verhängnis geworden. Der Trupp hielt vor dem Fluss. Die Pferde tänzelten unruhig umher, und Helena fuhr sich mit der Hand über die Stirn, um die Tropfen zu vertreiben.
"Der Wasserspiegel ist angestiegen", bemerkte Lorion.
"Wir können das Flussbett nicht überqueren", meinte Helena.
"Uns bleibt keine andere Wahl", sagte Violett und trieb sofort ihr Pferd an.
Unsicher blickte Helena zu Lorion, doch dieser nickte nur und folgte der archenländischen Prinzessin. Auch deren Soldaten und Chiron setzten sich in Bewegung, und nach einem Zögern trieb auch Helena ihr Pferd ins Flussbett.
Die Wogen umschlossen sie, das Tier kämpfte mit aller Kraft dagegen an. Helena klammerte sich an den Sattel, sie drohte zu stürzen. Knapp schaffte sie das Flussbett zu überqueren. Schwach ritt das Mädchen dem Trupp hinterher. Irgendwann wandte Lorion sich um und als er erkannte, dass es ihr nicht gut ging, wandte er sein Pferd und ritt ihr entgegen.
"Wir sollten eine Pause machen", sagte er und trieb sein Tier neben ihr her.
"Nein. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Wir müssen den Krieg verhindern", erwiderte Helena.
"Wir haben nichts davon, wenn du mitten auf der Reise stirbst."
"Wir dürfen keine Zeit verlieren", wiederholte die Königin mit Strenge in der Stimme.
"Hey!", rief Lorion nach vorn. "Wir halten und schlagen hier unser Lager auf."
Violett hob die Hand und der Zug blieb stehen. Sie wandte ihr Pferd und holte zu den beiden auf.
"Wir werden nicht halten", erwiderte sie.
"Die Königin benötigt eine Pause", meinte Lorion ernst.
Violett blickte kurz mit einem finsteren Ausdruck zu Helena, dann nickte sie und die Soldaten begannen ein Lager aufzuschlagen. Sie hatten nicht viele Zelte dabei, so dass die meisten Männer draußen schlafen mussten.
Helena zog sich in ihrem eigenen kleinen Zelt trockene Sachen an. Danach suchte sie Lorions Zelt - es hatte bereits aufgehört zu regnen - und als sie es fand, sah sie Lorion und Violett über eine Karte gebeugt und leise miteinander tuschelnd.
"Tut weh, oder?", erklang auf einmal Chirons Stimme neben Helena, die vor dem Zelteingang stehengeblieben war.
Die Königin sah ihn kurz an. Ihr Blick fiel auf die Handschellen und verwundert runzelte sie die Stirn. "Wo sind Eure Wachen?", fragte sie.
"Sie schlafen wahrscheinlich", gab Chiron achselzuckend zurück. "Glaubst du wirklich, dass die dich im Kampf unterstützen werden? Das sind Söldner. Sie werden bei der ersten stärkeren Gefahr davonrennen. Ihnen ist ihr Leben wichtiger als alles andere."
Helena antwortete nicht, sondern wandte ihren Blick nur ab. Normalerweise hätte sie die Wachen gerufen, aber sie hatte keine Kraft und keine Lust dazu.
"Du hast ein Auge auf den kalormenischen Prinzen geworfen, und er wirft gerade ein Auge auf die archenländische Prinzessin", raunte Chiron ihr ins Ohr. Helena erwiderte nichts, sondern starrte nur nach vorn zu Lorion und Violett. "Ich kann es verstehen. Sie ist älter, reifer. Du wirst niemals so sein wie sie, und deswegen wird er dich auch nie lieben. Er sieht dich als Schwester, als mehr aber nicht."
Helena riss sich von ihm los und funkelte ihn wütend an. "Fahrt zur Hölle!", zischte sie, bevor sie großen Schrittes davoneilte.

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Heute kommt wieder ein Kapi. Ich habe grad sowas wie 'ne Projektwoche. Wir üben für einen Auftritt/Musical, das alle Elften machen. Mega anstregend.

Die Chroniken von Narnia - The Enemy of my Enemy || Band 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt