Schmerz

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Wenn ich Nachts nicht einschlafen kann, liegt das nicht daran, dass ich zu viel Kaffee getrunken habe. Sondern daran das mein Kopf nicht schlafen will. Mein Körper ist müde. Mein Kopf hellwach. Er kann nicht schlafen er muss sich um andere Probleme kümmern. Deshalb nehme ich es meinem Kopf auch nicht übel das ich jeden Morgen tiefe Augenringe habe und kaum noch stehen kann. Außerdem ist es gut wenn ich Nachts wach bin und nicht Tagsüber. Nachts kann mir nichts passieren. Ich liege im dunkeln und alleine auf meinem Bett. Ich höre nur meinen Kopf. Mehr nicht. Sonst ist alles still. Am Tag wenn es hell ist, höre ich alles. Die lallende, betrunkene Stimme meines Dads. Die Stimmen der Menschen auf der Straße. Die quietschenden Reifen eines LKWs, kreischende Kinder, wütende Väter, meine Lehrerin, meine Mitschüler. Ich sitze alleine in meinem Zimmer und traue mich nicht das Fenster zu öffnen, weil ich Angst vor den Geräuschen draußen habe. Ich habe Angst das mein Kopf noch trauriger wird. Das es ihm zu viel wird. Das einzige Geräusch vor dem ich keine Angst habe ist das kratzen von meinem Stift auf Papier.

Ich weiß nicht genau wann das alles angefangen hat. Das mit der Angst. An dem Tag an dem meine Mutter gestorben ist. An dem Tag, an dem Dad das erste mal betrunken nach hause gekommen ist. Als er mich das erste mal geschlagen hat oder an dem Tag, als ich angefangen habe mich von der Welt draußen abzuschotten? An dem Tag, an dem mich jeder in der Klasse ignoriert hat, weil niemand was mit dem kranken, kleinen Mädchen zu tun haben wollte, das jeden Tag mit einem neuen blauen Fleck oder Bluterguss in die Schule kommt? Irgendwann da hat alles angefangen.

Ich sitze auf meinem Bett und versuche alles auszublenden. Ich will nicht daran denken wie schlecht ich es habe, es gibt immer einen Menschen auf dieser Welt, dem es schlechter geht als dir selbst.

 Es ist Sonntag und ich sehe alle anderen 17 jährigen auf irgendwelche Partys gehen, wenn ich aus meinem Fenster gucke. Deshalb mache ich die Jalousie runter.

Am Sonntag kommt mein Dad immer erst um ca. 04:00 Uhr nach hause. Ich habe also noch Zeit alleine zu sein und nicht diese Angst zu spüren.

Um 03:54 höre ich die Tür zufallen. Dad ist da.

"May, bist du da?", rief er. Man konnte hören das er betrunken war.

Ich wusste das es unnötig war so zu tun als würde ich schlafen, dann wird er nur noch wütender. Also ging ich runter.

"May!?", er hatte ein Flasche Wodka in der Hand und musste sich an der Kommode festhalten.

"Ja Dad?", fragte ich leise, was auch immer er jetzt machen wird, es wird nicht schön werden.

"Hälst du mal?", er drückte mir die Wodkaflasche in die Hand. Dann nahm er sich den nächst besten Gegenstand der nicht zu schwer war in die Hand. Es war ein kleine Stehlampe von meiner Oma, zu der ich keine wirkliche Bindung habe, deshalb versuchte ich gar nicht erst ihm die Lampe aus der Hand zu reißen. Er fing an auf die Bilder der Kommode einzuschlagen. Es waren Bilder von ihm und mir. Ich hielt ihn nicht auf. Was wird das bringen außer blauen Flecken?

Doch dann lief er ins Wohnzimmer. Zu dem Tisch den ich für meine Mutter aufgebaut hatte. Er schlug alles Kaputt. Das Bild von Mum. Die Muschel aus unserem letzten gemeinsamen Urlaub. Der Duftbaum der in unserem Auto hing, in dem sie gestorben ist. Der kleine Roboter aus Alufolie den wir zusammen gebastelt hatten. Ich stürmte auf Dad zu und schrie ihn an das er aufhören sollte. Mir liefen Tränen übers Gesicht. Mein Dad war früher mal so normal. So glücklich. Und Jetzt?

Statt die Sachen auf dem Tisch zu zerschlagen, schlug er auf mich ein. Ab heute habe ich wohl auch Angst vor Lampen. Vielleicht sollte ich alle Lampen aus unserem Haus entfernen. Damit er mich nicht mehr damit schlagen kann.

Irgendwann nahm er seine halbleere Wodkaflasche und verschwand. Ich weiß nicht wie lange er weg bleibt. Manchmal zwei Tage, Manchmal zwei Wochen. Ich sitze zitternd in der Ecke neben den Überresten und den Scherben von Mum. Ich fange an immer mehr zu weinen. Und versuche irgendwas zu retten. Irgendwas, was nicht kaputt ist. Ich schneide meine Hände an den Scherben auf. Doch das ist mir egal. Die Blutergüsse und blaue Flecken an meinen Armen und Nacken schmerzen viel mehr. Doch am meisten weh tut mein Leben. Es tut so weh wenn ich denke, wenn ich mich bewege und wenn ich versuche Glücklich zu sein. Es tut so weh das ich all das aufgehört habe. Aufgehört habe zu denken , mich zu bewegen und aufgehört habe glücklich zu sein und zu Leben.

Ich betrachte den Bluterguss an meinem Arm der immer dunkler wird.

Und sie werden mich morgen wieder anstarren. Sie werden sich fragen wer ich bin. Das Mädchen ist, das nicht lacht und spricht.

Und ich gehe mit schmerzen ins Bett.

Und niemand sagt was danach passiertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt