Kapitel 9

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Cooper 19:17 Uhr

Wir schweigen während unsere Skizzen immer aufwendiger werden. Plötzlich durchbricht sie die Stille.

 ,,Danke nochmal. Für heute Nachmittag. Das war echt cool" 

sie sieht mich kurz an, dann lächel ich.

 ,,Nicht dafür.  Auf jeden Fall müssen wir das wiederholen" 

Sie hebt langsam ihren Kopf, der schon wieder auf das Papier gerichtet war. Ihr Mund steht leicht offen, was sie aber augenblicklich ändert, indem sie anfängt sich auf die Lippe zu beißen.

 Das erzielt bei uns Jungs immer so einen Drang, das Mädchen küssen zu wollen. Sie wirken dann so unschuldig, aber das ist nicht Fay. 

Ihre Augen fangen an zu glänzen und nun wird deutlich sichtbar, dass sie sich auf die Lippe beißt, weil diese zu zittern anfängt.

 ,,Hey, was ist los? Tut dir noch was weh?"

 Frage ich besorgt. Ich kann ja nicht ahnen was wirklich mit ihr los ist.

 ,,Ne alles gut." 

Ihre Stimme klingt brüchig und dünn.

 ,,Fay" 

ermahne ich sie.

 ,,Weißt du. Wir kennen uns seit heute. Seit heute. Und ich hab das Gefühl, dich trotzdem schon ewig zu kennen. Ich weiß nicht, das klingt halt irgendwie komisch.... Aber das Sprayen vorhin... Jetzt sagtest du, du würdest das gerne wiederholen. Das erinnert mich einfach an eine Familie die ich nie hatte. Meine Eltern haben nie gesagt, dass wir alle in den Zoo gehen und das ,,wiederholen" müssen, weil es so viel Spaß gemacht hat. Mein Bruder hat nie wirklich Zeit mit mir verbracht. Meine Eltern haben sich scheiden lassen. Ich wäre liebend gerne zu meinem Vater gezogen, aber nein, meine Mutter hat darauf bestanden, dass ich hier bleibe. Hier wo ich ganz allein bin. Meine Freunde kennen nicht mein wahres Gesicht. Sie kennen nur die Fay, die immer Farbe an den Händen hat, nächtelang durch malt, Augenringe bis zum Boden hat und sich ständig mit irgendwem anlegt und Sprüche klopft. Du bist tatsächlich der erste, der diese Geschichte hört und ich weiß auch nicht wie es dazu kommt, dass ausgerechnet DU der erste bist. Es fühlt sich an, als würde ich zu etwas Großem dazu gehören, wenn ich daran denke, dass wir in Zukunft sprayen werden. Zusammen. Du... Du... Man ich weiß doch auch nicht. Es fühlt sich so an, als wärst du die Familie die ich nie hatte und das obwohl wir uns seit heute morgen kennen. Du hast dich sofort für mich interessiert, auch wenns nur an meinem Hobby liegt. Aber so viel Interesse wie du heute an mir gezeigt hast, hat noch keiner, wirklich keiner-nicht mal mein Bruder-gezeigt. Und ich glaube das ist der Grund, weshalb ich dich jetzt so volltexte. Es tut mir leid"

 Und das wars. 

Eine Träne nach der anderen läuft Ihr über das Gesicht. Sie zieht die Beine an den Körper und schlingt ihre Arme dadrum. Dann lässt sie ihren Kopf hängen und man hört nur noch gedämpft ihr Schluchzen. 

,,Fay nein. Dir muss nichts leid tun. Ich wusste nicht... Das tut mir leid..." 

,,Ich brauch dein Mitleid nicht. Jetzt weißt du wie ich mich fühle!" 

Schreit sie und lässt den Kopf wieder hängen. 

,,Ich weiß nicht was mit mir los ist. Es tut mir leid Motor."

 Ich verstehe sie durch den Stoff kaum, als sie meinen Namen sagt werde ich allerdings erst recht hellhörig.

 ,,Cooper"

 ,,Wie bitte?" 

Sie hebt den Kopf und sieht mich fragend an.

 ,,Ich heiße Cooper." 

,,Cooper... Schöner Name" 

sie schluchzt nun nicht mehr ganz so dolle. Ich möchte sie trösten. Ich will nicht das sie weint.

 ,,Hey. Pass auf. Ich rede mit Oliver und meinen anderen Jungs, du bist halt wirklich gut und ich hätte dich gerne bei uns in der Crew. Wir sagen dir morgen in der Schule Bescheid okay? Wo wollen wir uns treffen?" 

,,Wer ist Oliver?" 

,,Da$h" 

,,Okay. Ich weiß nicht was... Ich sagen soll. Du hättest mich gerne bei euch dabei?"

 Ich nicke. Und das war nicht mal gelogen. Ich will sie aufmuntern, ja. Aber ich will sie auch dabei haben. 

Sie ist gut, sie ist schlau und ich glaube sie lässt sich nicht so schnell fangen. Also von der Polizei oder von anderen Crews.

 ,,In der Sauferecke. In der ersten Pause."

 Ich hab zwar keine Ahnung wo das ist, aber das finde ich schon noch raus. 

,,Okay. Ich spreche mit den anderen. Die wirst du dann auch kennenlernen. Bags und Ekset. Vielleicht hast du von denen auch schon was gesehen. Matti und JP sind cool drauf, keine Angst"

Sie lächelt. Gott sei dank. 

Ich lege das Skizzenbuch beiseite und sehe sie an. Fay sieht auf die Ärmel meines Pullovers. 

Nach einer Weile hebt sie ihren Blick und unsere Augen treffen sich mal wieder. Doch dieses Mal ist es anders. Mein Herz schlägt schneller und ich rutsche etwas näher an Fay ran.

 Dann hebe ich langsam meine Hand, ihre Augen folgen meiner Bewegung. Meine Hand berührt ihre Wange, mit dem Daumen streiche ich eine der Tränen weg, die ihr noch auf der Haut klebt. 

Ist es möglich, sich innerhalb von einem Tag in einen Menschen zu verlieben? Ich hab tatsächlich nie an die Liebe auf den ersten Blick geglaubt, aber ich glaube, dass hat sich soeben geändert. 

Meine Hand rutscht auf ihren Hals und mit dem Daumen fahre ich die Form ihrer Lippen nach. Sie öffnet dabei leicht den Mund und ich spüre ihren Atem auf meiner Haut. 

Ihre grünen Augen bohren sich in meine und als meine Hand weiter in ihren Nacken rutscht, beißt sie sich wieder auf die Lippe. Oh Gott, ich will dieses Mädchen küssen, obwohl ich sie erst seit heute kenne. 

Ich hab Angst das es ihr zu schnell geht, vielleicht will sie auch gar nichts von mir. Aber dann hätte sich mich schon abgewiesen, oder? 

Sie lächelt plötzlich. Das ist ein gutes Zeichen. Hoffe ich zumindest. Ich beuge mich zu ihr rüber, mein Gesicht ist unmittelbar vor ihrem. 

Doch dann dreht sie ihr Gesicht weg und lehnt sich gegen meine Brust. Meine Hand in ihrem Nacken drückt sie an mich. Meinen anderen Arm lege ich um ihren Rücken. 

,,Tut mir leid" 

flüstert sie. 

,,Alles gut" 

flüstere ich ebenso leise zurück. 

Dann ziehe ich sie ganz auf meinen Schoß. Sie sitzt auf meinem Oberschenkel, in meinem Pullover, in meinen Armen. 

Ihr Körper fängt an zu zittern und ich schiebe sie etwas von mir weg. Das Gesicht verbirgt sie hinter den Händen.

 ,,Nicht weinen" 

ich hab die Tränen gesehen, die erneut ihr Gesicht runter rinnen. 

,,Ich hatte noch nie jemanden, der sich so um mich gekümmert hat. Oh Gott. Ich hab schon 'ne ziemlich verkorkste Kindheit"

 ich drücke sie wieder an mich. 

Dann lehne ich mich immer weiter nach hinten, bis ich mit meinen Schultern die Wand berühre. Fay kauert immer noch zusammengerollt neben mir, ihr Gesicht an meine Brust gedrückt.

 Ich nehme vorsichtig meine Hände weg und fummel das Haargummi aus ihren Haaren. Ihre welligen Haare fallen über ihre Schultern und ich schließe wieder meine Arme um sie.

 Dann fange ich an, mit einer Haarsträhne zu spielen. So lange, bis ich ein gleichmäßiges Atmen von Fay höre.

 Ich will dieses Mädchen haben. Aber vielleicht geht das alles wirklich ein bisschen schnell.

 Aber ich meine sie hat mir ihre dunkelsten Geheimnisse anvertraut. Egal, dann muss ich halt versuchen, sie so schnell wie möglich von mir zu überzeugen. 

Und damit werde ich direkt morgen anfangen...

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