Kapitel 8

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Cooper 16:34 Uhr

Es ist einfach nur widerlich zuzusehen, wie Oliver sich an Fay ranmacht. Gott sei dank ist Fay schon draußen und stratzt durch den Garten.

Beachtlich. Gerade hat sie eine komplett volle Kiste mit Dosen auf den Schädel bekommen und in die Rippen noch dazu und sie läuft wie 'ne Eins. Ächzend stellt sie die Kiste neben eine Backsteinmauer.

,,Joa und hier spray ich dann immer"

zufrieden grinst sie uns breit an. Sie schnappt sich ihre Maske und setzt sie direkt auf.

Ihr unordentlicher Zopf hängt ihr an einer Gesichtshälfte runter und wenn sie jetzt die Dose in die Hand nimmt, ist sie tatsächlich die perfekte Sprayerin.

,,Lasst mal so 'nen Überraschungsmoment machen. Ich nehm die Rückseite und ihr teilt euch hier die Vorderseite. So sieht niemand wie die jeweils anderen sprayen"

man versteht sie nur gedämpft, da die Maske nicht nur Gase sondern auch den Ton verschluckt. Allerdings entgeht mir nicht ihr schelmisches Grinsen. Challenge accepted.

,,Okay, auf die Plätze, fertig, los!"

Brülle ich. Fay verschwindet auf der anderen Seite der Mauer.

Gleichmäßiges Klackern der Mischkugeln, regelmäßiges Sprühgeräusch. Mehr hört man von Saiz auch nicht mehr.

Ich öffne meinen Rucksack, ziehe zwei MTN Dosen heraus, stecke eine Standardcap drauf und zeichne die Umrisse. O macht es mir nach.

Es gehen gefühlte Stunden um, als Fay ihren Kopf über die Mauer streckt. Wie hat sie es nur da hoch geschafft.

,,Fertig?"

Fragt sie, die Maske baumelt ihr um den Hals.

,,Warte"

ich spraye meinen Tagg mit schwarz neben mein Piece. Fay kommt von der Mauer und stellt sich zwischen Oliver und mich.

,,Oha. Das ist krass."

Mehr sagt sie nicht. Ich bin gespannt was sie so kreiert hat.

,,So dann lass mal sehen wie unsere Prinzessin Sprühdose vorangekommen ist"

,,oOh Nö. Das ist echt nicht sehenswert."

,,Rausreden ist nicht Prinzessin"

ich marschiere einfach los und sehe mir die andere Seite der Mauer an. Man sieht das sie noch am Anfang ist, aber das was ich sehe, gefällt mir extrem gut.

Ein sauberer pinker Farbverlauf mit krasser schwarzer Outline.

,,Ist doch gar nicht so schlecht"

,,Aber euers ist deutlich krasser"

,,Wir sind auch schon länger dabei"

,,Stimmt auch wieder"

ich weiß das ich recht habe. Wir fangen an zu erzählen.

Und nebenbei zeigen wir Fay noch ein paar Tricks. Wir merken gar nicht wie die Zeit verfliegt. Als es anfängt zu dämmern, klingelt O's Handy.

Seine Mom holt ihn jetzt sofort ab. Er hat vergessen das Bad zu putzen und den Müll rauszubringen. Bei Oliver hat sowas IMMER Konsequenzen. Schnell räumen wir seine Sachen zusammen und bringen ihn noch zum Gartenzaun.

Fay und ich gehen alleine wieder in den Garten zurück.

Nach diesem Nachmittag habe ich das Gefühl, sie schon ewig zu kennen und ich bin mir sicher, dass es ihr genauso geht.

,,Lass uns rein gehen. Wird langsam kalt"

,,Lch nein ist dem Prinzesschen kalt?"

Ich liebe es mich über sie lustig zu machen. Sie kann wenigstens über sich selber lachen.

,,Ja und? Problem damit"

,,Ka eigentlich schon. Wollte dir noch 'ne ganz tolle Technik zeigen. Fadings. Schon mal gehört?"

,,Logo. Aber mir ist echt kalt."

Als ob sie es geplant hätte, fängt sie an zu zittern. Ihr zähne klappern laut aufeinander.

Ich hocke mich auf den Boden zu meinem Rucksack, wühle ein bisschen und fummel den Pullover raus, der immer für Notfälle ganz unten verstaut ist. Dann werfe ich ihr den bunten Pulli vor die Füße.

Sie streift ihn sich über, und versinkt bis zu den Oberschenkeln im Stoff. Ihre Fingerspitzen gucken nur ein kleines Stück aus den Ärmeln raus.

Alles in allem sieht das schon ein bisschen bescheuert aus.

,,Danke"

sie zieht schnell den Kragen des Pullis etwas höher damit ich nicht sehe, wie sie rot wird. Aber ich hab es gesehen. Das lässt sie total kindlich und zerbrechlich wirken.

Und das nach allem was wir heute erfahren haben.

Ihre Eltern haben sich getrennt, der Lebensgefährte ihrer Mom wohnt nun bei ihnen. Doch die sind so gut wie nie da, schlafen oftmals bei ihm oder sind arbeiten. Koby hat sich auch nie um sie gekümmert. Sie hat sich sozusagen alleine großgezogen. Eigentlich ist sie echt ein starkes Mädchen und jetzt wirkt sie klein und unbeholfen.

,,Na dann. Also. Pass auf, du musst die Dose so schräg halten... Hier so..."

Vorsichtig berühre ich ihre Hand in der sie die Dose hält. Ich bringe sie in die richtige Position und gebe ihr weitere Anweisungen wann sie wie zu sprayen hat.

Dabei stehe ich die ganze Zeit direkt hinter ihr. Eigentlich schon lustig. Vorhin kannten wir uns nicht und jetzt stehen wir hier so vertraut, wie ein altes Ehepaar.

,,Das sieht doch schon ganz gut aus. Wenn du das noch übst wirst du richtig gut."

,,Jetzt rein?"

Fragt sie unschuldig. Ich nicke und lache dabei, ihr scheint wirklich kalt zu sein.

Alle Dosen sind verstaut und die Caps sind aus dem Gras aufgesammelt. Sie hebt die Kiste an und wankt Richtung Haus. Ich folge ihr.

Schleppend langsam geht sie die Treppe hoch. Im Wohnzimmer war niemand, weder ihr Bruder noch ihre ,,Familie". In ihrem Zimmer stellt sie zuerst die Kiste ab und schiebt sie unters Bett.

Dann lässt sie sich stöhnend auf das Bett sinken.

,,Geht's dir gut?"

Sie verzieht das Gesicht als sie sich streckt. Ihr Rücken knackt und plötzlich zieht sie harsch die Luft ein.

,,Meine... Rippen..."

Keucht sie und hält sich die Seite.

,,Soll ich mal gucken?"

Frage ich vorsichtig. Sie nickt nur.

Ich werfe meinen Rucksack auf den Boden und krieche zu ihr aufs Bett. Ihr Atem ist ungleichmäßig und schnell. Ich setze mich hinter sie und rutsche näher an sie ran.

Dann hebe ich ganz vorsichtig meinen Pulli an und das T-Shirt dadrunter. Zum Vorschein kommt ein riesiger Bluterguss.

Er zieht sich in dünnen Striemen bis auf den Rücken.

,,Ouh Shit, das sieht nicht gut aus."

,,So fühlt es sich auch an. Egal. Passiert."

Sie quält sich aus dem Bett, geht zum Schreibtisch und holt ihr Blackbook, einen zweiten Skizzenblock und Bleistifte, Radiergummis und einen Anspitzer. Dann setzt sie sich neben mich.

Ihr Parfüm dringt durch meinen Pullover zu mir durch. Ich atme unauffällig tief ein und aus. Ich mag ihr Parfüm.

,,Hier"

sie reicht mir das Skizzenbuch und ein paar Bleistifte. Sie schlägt ihr Blackbook auf und fängt auf einer leeren Seite an zu zeichnen.

Ich sehe ihr eine Weile dabei zu, bis ich meinen Namen erkenne. Ich verstehe ihren Plan und so fange auch ich an, ihren Namen mit dem Bleistift auf dem Papier zum Leben zu erwecken...

*Fadings: Ein Specialeffect der wie Nebelschwaden aussieht

Sprühdosen-LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt