Kapitel 7

275 31 6
                                    

7

Fay 16:15 Uhr

Ich sitze immer noch im Baum und male. Gerade lasse ich die Pinselspitze meines Touchmarkers über das Papier gleiten, als ich ein Knacken unter mir wahrnehme.

Wahrscheinlich nur ein Vogel, ich denke mir nichts dabei und fange an mit meinem Copicmarker die erste Outline zu ziehen.

Das Fill-in ist mit einem schönen pinken Farbverlauf gefüllt. Von Magenta bis zu Schweinchenrosa, wird der Farbverlauf immer heller. Die schwarze Outline bietet einen schönen Kontrast dazu.

Ich stecke die pinken Touchmarker wieder in die Tasche meines Pullis und schließe den Reißverschluss. Nur zur Sicherheit, damit nichts runterfällt. Auch mein Blackbook ist mit einem dünnen Faden am Ast festgemacht, auf welchem ich gerade sitze.

Plötzlich berührt mich etwas an der Schulter, ich drehe mich um und beim Anblick von Mator erschrecke ich mich so heftig, dass ich anfange mit den Armen zu rudern.

Das wars, denke ich. Ich sehe schon wie ich die 10 Meter in die Tiefe falle. Doch Mator packt mich an der Hüfte und hält mich in seinem eisernen Griff.

Durch den Schreck, versucht meine Lunge gerade unnatürlich viel Sauerstoff aufzunehmen. Ich fühle mich, als wäre ich gerade ein Marathon gelaufen.

Mator hält mich immer noch fest. Mein Blick wandert runter zu seiner Hand. Seine Berührung löst etwas warmes in mir aus.

Das bildest du dir nur ein, Fay. Krieg mal einen klaren Kopf, Fay. Okay Stopp, genieß den Moment, wer weiß wann das wieder passiert, Fay.

Das Denken der Gedanken ist ein gedankenloses Denken. Schönes Zitat, weiß nur nicht mehr woher ich das habe. Meine Gefühle und Gedanken sind komplett durcheinander. Dennoch kann ich nicht widerstehen.

Ich lasse meinen Blick über seinen Körper schweifen. Scheiße, der sieht verdammt gut aus. Man kann leichte Muskelzüge unter seinem Shirt erkennen. Dann finden meine Augen seine dunklen blauen Augen.

Sie sehen aus wie das Meer. Als würde jeden Moment ein Schiff darin versinken. Vielleicht bin ich auch gerade dieses Schiff.

Vom einen auf den anderen Moment zieht Mator seine Hand weg und ich bin wieder im Hier und Jetzt. Kurz muss ich meine Balance finden, um nicht wirklich vom Baum zu fallen.

,,Ähm... Wir haben dich gesucht und dein Bruder meinte wir sollen in dein Zimmer gehen. Das war doch dein Bruder oder?"

,,Ja. Das war mein Bruder. Ehm sorry, ich hab euch nicht kommen hören. Okay, Ehm, dann lass uns mal runter klettern. Da$h ist auch da?"

,,Jap. Okay warte ich klettere als erstes und dann du"

Mator braucht Ewigkeiten um den Baum runter zu klettern. Ich bin ihm dicht auf den Fersen. Als er in mein Zimmer springt, lande ich direkt neben ihm.

Ich suche nach Da$h den ich vor meiner Balkontür finde. Er zeigt auf die Mitte meines Zimmer und was dort steht, lässt mich erstarren. Meine Kiste mit meinen Cans. Mit meinen Caps. Und mit meiner Maske.

Fragend sieht mich Mator an. Ich ziehe nur den Kopf ein. Hoffentlich hassen sie mich jetzt nicht, nur weil ich sie verarscht habe.

Er geht auf die Kiste zu und hebt den Stoff an, der zum Schutz dadrüber liegt. Dann sieht er sich alles ganz genau an.

,,Was zum...?"

,,Ich wollts euch eigentlich sagen, aber ich fand das irgendwie... Lustig. Ihr dachtet das ich nichts kann und dann wie ihr mich zum Affen gemacht habt, ich wollte euch eins auswischen. Sorry"

,,Das ist jetzt scheiße für dich gelaufen. Weil jetzt musst du uns zeigen WIE gut du bist"

er nimmt meine Maske in die Hand, sieht mich an und wirft sie mir zu. Ungeschickt fange ich sie auf.

,,Musst mal wieder die Filter wechseln. Die sind total vollgerotzt. Das ist nicht gesund"

Ich weiß. Die Farbe ist schon deutlich sichtbar und ich bin froh das ich das alles nicht eingeatmet habe. Unauffällig gucke ich zu Mator. Man sieht ihm die Enttäuschung an.

Es tut mir ja leid, aber so wie sie mich bloßgestellt haben, geschieht ihnen das Recht. Ich hebe meine Kiste hoch und versuche dabei total lässig zu wirken. In Wirklichkeit ist diese Kiste verdammt schwer.

Mator und Da$h haben ihre Rucksäcke auch schon auf den Rücken und ich verlasse mein Zimmer. So elegant wie möglich versuche ich die Treppe runter zu kommen. Das gelingt mir tatsächlich sogar ganz gut.

Ich will gerade durch die Terassentür, um in den Garten zu gehen, als Koby in mich rein rauscht.

Mir fällt die schwere Holzkiste aus der Hand. Erst Koby auf den Fuß, dann begräbt mich der Inhalt komplett unter sich. Dosen, Caps und weiterer Kleinkram landet auf mir.

Ich stöhne auf, als Koby die Kiste von sich wegtritt und mir diese-mehr oder weniger beunabsichtlicht-gegen die Rippen scheppert.

,,Boah pass doch mal auf deinen Scheiß auf!!"

Kobys Gebrülle dringt nur gedämpft zu mir durch.

Ich kriege noch mit wie er wütend an mir vorbei stapft und mich auf dem Boden liegen lässt.

,,Fay? Alles gut?"

,,Woher weißt du, dass ich Fay heiße?"

Das ist tatsächlich das erste was mir in den Sinn kommt. Mator hat meinen Namen mit so viel Ehrfurcht und Respekt, aber auch gleichzeitig mit einer Sanftheit ausgesprochen...

,,Dein Bruder. Aber das ist egal. Komm ich helfe dir"

Da$h und Mator fangen an die Dosen von mir runternehmen und die Caps zurück in die kleine Papkiste zu sortieren, wo ich neben Kugelschreiber und Papier auch den restlichen Kleinkram aufbewahre.

Obwohl alle Dosen von mir runter sind, habe ich das Gefühl, jemand zerquetscht meine Lunge. Ich glaube, die Jungs bringen mir nur Unglück.

Geknickt greife ich Da$h's Hand und lasse mir auf die Beine helfen. Sofort dreht sich alles und ich falle ungehemmt nach vorne. Mator versucht noch mich festzuhalten, stattdessen Fälle ich Da$h in die Arme.

,,Na Prinzessin, gar nicht so einfach was? Aber bei einem Anblick wie meinem, würde ich auch nicht auf den Beinen bleiben können."

Verschwörerisch grinst er. Was zum... Schnell drücke ich mich von ihm weg und fange an die Dosen an ihren Platz in die Holzkiste zu sortieren.

Wenigstens haben sie nur eine der drei riesigen Kisten gefunden. Hätte ich alle nach unten schleppen müssen, wäre ich nach dieser Aktion bestimmt gestorben.

Bei jedem Atemzug knackt meine Rippe und ein Ziehen breitet sich in mir aus. Die beiden fangen nun auch an, die Dosen einzusortieren.

Nach einer gefühlten Ewigkeit ist alles wieder da wo es sein soll und ich hebe die Kiste auf. Ich unterdrücke einen Schmerzenslaut und stattdessen kommt nur ein gequältes Stöhnen.

,,Soll ich dir helfen?"

Da$h will mir gerade die Kiste abnehmen da schneidet Mator ihm ins Wort.

,,Das kann sie auch alleine. Siehst du doch. Außerdem ist das jetzt ihre Strafe, dass sie sich mit uns angelegt hat."

Danke Mator. Das hab ich gebraucht. So bewahrt er mich vor gruseligen Näherungsversuchen Da$h seits.

*Cans: Englisches Wort für ,,Dosen" (Can: Dose, Einzahl)
*Caps: Fachbegriff für die Sprühköpfe oder Aufsätze die es in allen möglichen Ausgaben gibt

Sprühdosen-LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt