10. Kapitel/Melissa/Schwanger ... wie denn?

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Gerade noch rechtzeitig schaffte ich es in das Internat. Felice wartete schon in einem schwarzen Ballettanzug und Strumpfhose am Eingang. Mit der freien Hand zupfte sie an ihrem lila Dutt und mit dem anderem drückte sie meinen Trainingsanzug an sich. Ihr Blick haftete fragend an mir, während ich die Stiegen zu ihr hinauflief. Sie gab mir schnell meinen übergroßen Trainingsanzug in die Hand, packte mich schweigend am Arm und führte mich Richtung Theatersaal. Nachdem ein Schwarm von Schülern und Lehrern an uns vorbeigegangen waren, drehte sie sich zu mir um und ließ meinen Arm los.

„Wo warst du?!", flüsterte Felice wütend. „Ich hatte Todesängste wegen dir!"

„Ich war –", begann ich, aber wurde von ihr unterbrochen.

„Wir haben nicht viel Zeit!", warnte sie mich, sah gehetzt zu Uhr und dann wieder zu mir. Ich hatte Felice noch nie so außer sich gesehen. „Ich habe Mc'Flun gesagt, dass du dich übergeben hast und später zu der Schulärztin gehst, okay." Ich nickte schnell. „Gut, die Ärztin kommt in paar Minuten. Zieh dich um, damit es so aussieht als würdest du jetzt zum Training gehen und man deine Alltagskleidung nicht sieht. Dann gehst du zur Schulärztin, lässt dir etwas gegen die Übelkeit geben – und bitte kein Schwangerschaftsstreifen." Wir beide lachten auf. Felice schüttelte ihren Kopf. „Mel du bist unglaublich! Du musst mir alles erzählen, was passiert war." Sie sah zu mir auf und umarmte mich zur Begrüßung. „Du kannst uns nach der Ärztin beim Training vom Fenster auszusehen. Merk dir die Schritte, aber komm heute nicht mehr in den Ballettunterricht." Meine Freundin ließ mich los, lief los und winkte mir ein letztes Mal zu, bevor sie im Theatersaal verschwand.

Ich lächelte traurig.

„Als würde ich tanzen.", murmelte ich und zog mir die Trainingsweste und Hose über meine Kleidung. Als ich fertig war, hielt ich inne und sah versteinert zu der Tür hinüber, in der sie verschwunden war.

Hatte sie heute überhaupt das Bridge-Piercing oben? – Hm.

Ich zuckte mit der Schulter und ging Richtung Schulärztin. Die Ärztin kam etwas verspätet, aber dennoch. Sie sperrte ihren Krankenflügel auf und fragte mich gleich aus, wie ich mich fühlte, ob ich Depressionen hätte und bestand darauf sich meine Zähne anzuschauen.

„Du weißt gar nicht wie oft Mädchen zu mir geschickt werden, weil sie kotzen.", beschwerte sich die alte Schulärztin, während sie sich mit einem Zahnarztspiegel meine Zähne betrachtete. Ich konnte wohl schwer zustimmen mit offen Mund, also schwieg ich. „Es ist beinahe erschreckend was das heutige Schönheitsideal von Mädchen abverlangt." Sie nahm ihren Spiegel heraus und legte ihn zur Seite auf ein steriles Tablett. Die Schulärztin schüttelte ihren Kopf, wobei ihr grauer Haarbommel am Hinterkopf hin und her schwankte. Dankbar schloss ich wieder den Mund und lächelte traurig. Die Ärztin sah zu mir auf und schenkte mir ein zufriedenes Lächeln. „Alles ist bei dir gut, du weist auch nicht Depressionen auf." Haben Sie eine Ahnung, dachte ich mir und spielte meine Rolle weiter.

Keiner durfte von meinem Schmerz wissen. Wenn ich es irgendjemanden erzählen würde, würde sie mir wehleidige Blicke schenken und mich jedes Mal an Alex erinnern. Ich wollte es nicht. Es war doch nur ein gebrochenes Herz, aber warum tat es so weh?

Ich atmete tief durch.

Aber half es zu schweigen ...

„Haben Sie die ärztliche Schweigepflicht?", fragte ich leise, als die Schulärztin die Befunde in ihre Unterlagen notierte. Sie hielt inne und sah mit alten Augen zu mir auf.

„Ja.", mehr sagte sie nicht.

Ich nickte stumm und schluckte schwer. Sollte ich ihr jetzt von Alex erzählen, dass ich ihn immer wieder sehe? Dass ich mir manchmal wünschte, ich wäre tot? Dass ich Angst hatte vor mir selbst?

Love to hate youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt