27.11.16; 1. Advent

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Der Abend damals mit Ryan war noch richtig witzig geworden. Er verstand es, den richtigen Grad zwischen Witz und Ernst zu finden und wir hatten uns noch bis tief in die Nacht hinein unterhalten.

Seitdem hatte ich ihn allerdings nur noch flüchtig auf dem Flur getroffen. Einmal als er Mrs. Dunken einen besonders aufwendigen Obstkorb überreichte, den die ältere Dame mit geröteten Wangen entgegennahm, und mir der alte Weiberheld ein verschmitztes Zwinkern zuwarf. Und einige andere Male, als er anscheinend erst von einer langen Nacht nach Hause zurückkehrte, während ich schon zur Arbeit losdüste.

Mir machte es nichts aus, dass er anscheinend ein richtiger Partyhengst war, so oft wie ich abends noch seine Tür zu fallen hörte. Und auch Frauenstimmen waren immer Mal wieder zu hören, bevor sie in seine Wohnung verschwanden. Zu wissen, dass es doch noch jemanden in meinem Alter gab, naja er war drei Jahre älter, der es bevorzugte alleine zu wohnen anstatt in einer WG, machte ihn mir sympathisch genug, um ihn als meinen neuen Lieblingsnachbar auszuerkoren.

Inzwischen war es Sonntag. Allerdings nicht irgendein Sonntag - über den hätte ich mich nämlich sicherlich gefreut, immerhin war es ein Tag, an dem ich nur mir selbst Kaffee kochen musste - sondern der erste Advent.

Meine Laune befand sich schon am Nullpunkt, als ich am Morgen die Augen aufschlug. Ich traute mich gar nicht, mein flauschiges Bett zu verlassen und so blieb ich unter meine Bettdecke gekuschelt liegen und starrte einfach zur Decke hoch.

Ich bemerkte bereits jetzt, wie mir Weihnachten zusetzte. Ich wollte nicht darüber nachdenken, dass ich nie wieder mit Mom Plätzchen backen würde oder über Dads grausige Weihnachtsmusik motzen konnte. Ich wollte mich nicht daran erinnern, wie Mom jedes Jahr ein riesiges Tara um die Adventskerzen gemacht hatte und ich sie am Abend immer ausblasen durfte.

Egal wer Weihnachten erfunden hatte, er hatte definitiv nicht an die armen Seelen gedacht, die ganz allein auf dieser Welt weilten. In meinem Selbstmitleid versunken wälzte ich mich auf die Seite.

Anscheinend war ich in meinen trüben Gedanken wieder eingeschlummert, denn das nächste an das ich mich erinnern konnte war, dass ein schrecklich schräger Gesang von draußen zuhören war, der die fröhliche Weihnachtszeit verkündete. Gequält stöhnte ich auf. Egal wer das war, ich würde ihm die Kehle aufschlitzen.

Völlig in meine Bettdecke verheddert ließ ich mich mit einer weiteren Drehung aus dem Bett raus plumpsen und kämpfte mich dort aus dem Gewirr heraus.

Ich störte mich nicht an meiner blau gepunkteten Schlafanzughose und dem weniger sexy Hemd, das ich trug, während ich durch die Wohnung auf meine Tür zu schlurfte.

Gott, aus der Nähe hörte sich der Gesang ja noch viel schlimmer an!

Entnervt riss ich die Tür auf und wollte schon los brüllen, als ich stutzend innehielt. Gegenüber von mir auf dem Boden saß ein gröhlender Ryan mit roter Weihnachtsmütze auf und geschlossenen Augen.

Gerade gab er die erste Strophe von 'Last Christmas' zum Besten.

"Ryan", versuchte ich es, doch anscheinend konnte er mich nicht hören. "RYAN!"

Überrascht hielt er inne und öffnete blinzelnd seine Augen. Wie süß er dabei aussah, ließ ich mit voller Absicht außeracht.

"Oh, hey Maggie! Wie geht's?"

Zweifelnd zog ich eine Augenbraue hoch. "Ich glaube das sollte ich eher dich fragen."

"Also mir geht's suuuuper! Habe ich eigentlich schon mal erwähnt, dass ich Weihnachten liebe? Es gibt keine Zeit, in der Menschen offener und großzügiger sind."

Ahhh ja ich glaube so langsam verstand ich.

"Vor allem mit dem Alkohol, was?"

Verständnislos legte er den Kopf schief. "Was?"

Ich seufzte schwer. "Nichts. Was machst du hier draußen?"

Kichernd warf er die Hände in die Luft. "Nach was sieht es denn aus? Ich erfreue die Nachbarschaft mit Weihnachtsstimmung." Und wieder fing er mit 'Last Christmas' an, bis ich nach vorne stürzte und ihm den Mund zu hielt. "Ja okay, dumme Frage. Könntest du...?"

Sein feuchter Atem schlug gegen meine Handfläche, als er versuchte zu sprechen und ich zog schnell meine Hand weg. "Wie bitte?"

"Hast du Plätzchen?" Seine Augen leuchteten, während er mich mit unschuldigem Dackelblick anstarrte.

Defensiv wich ich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. "Nein."

So betrunken wie er war, fiel ihm mein harscher Tonfall anscheinend nicht auf. "Aber du bist eine Frau! Und es ist Weihnachten! Du musst Plätzchen haben. Und du weißt ja, Plätzchen muss man teilen." Bedeutungsvoll wackelte er mit den Augenbrauen.

Ich schnaubte abfällig und drehte mich weg.

"Ich bin nun mal nicht der weihnachtliche Typ und jetzt geh in deine Wohnung, bevor Mrs. Dunken dich noch entdeckt und doch noch anfängt einen Groll gegen dich zu hegen. Wir wollen doch nicht deine ganze Mühe zu nichte machen."

Ich war schon dabei die Tür hinter mir zu zuziehen, als ein "Warte!" mich innehalten ließ.

"Hast du etwa auch keinen Weihnachtsschmuck?!"

In der Erwartung er hätte noch etwas Bedeutendes zu sagen, hatte ich mich wieder Ryan zugewandt, sodass dieser nun ohne Probleme auf allen vieren an mir vorbei krabbeln konnte, um in meine Wohnung zu spähen.

"Ryan! Das geht dich nichts an!" Ich bemühte mich ihn mit meinen Beinen wieder rauszuschieben, aber gegen diese breiten, muskulösen Schultern hatte ich keine Chance.

"Du Unmensch! Weder Deko noch Plätzchen! Daran müssen wir aber sofort etwas ändern!"

Bevor ich es verhindern konnte, hatte er sich ganz an mir vorbei gedrückt und rappelte sich mühsam in meiner Wohnung auf.

Frustriert stöhnte ich, fügte mich aber meinem Schicksal und schloss die Tür, um zumindest nicht auch noch die anderen Nachbarn zu stören.

"Ryan! Hör sofort auf meine Schränke zu durchwühlen!", meckernd eilte ich diesem hilflosen Volltrottel hinterher und schlug die Schranktür zu, bevor er völliges Chaos verursachen konnte.

"Wo hast du denn Mehl und Zucker? Wir machen Buttergebäck!"

Jetzt reichte es mir aber! Energisch packte ich dieses Energiebündel an seinen viel zu wohl geformten Oberarmen und hielt ihn an Ort und Stelle fest.

"Ich sage es jetzt ein letztes Mal! DAS GEHT DICH NICHTS AN! Könntest du jetzt bitte in deine Wohnung gehen?"

Schmollend verzog er den Mund. "Schmeißt du mich etwa raus? Ich kann nicht rübergehen."

Wo war nur Gottes Gnade! Ich wollte doch nur meine Ruhe!

"Und wieso kannst du nicht rüber?"

Ein bubenhaftes Lächeln verzog seine Lippen.

"Weil mein Wohnungsschlüssel im Auto liegt und wo mein Auto gerade steht, weiß ich nicht so ganz genau."

Ungläubig starrte ich ihn an. Das war jetzt nicht sein ernst.

Ich sollte ihn einfach vor die Tür setzen. Vielleicht brachte ja jemand anderes die Geduld auf, sich um ihn zu kümmern.

"Gott verdammt ich fasse es nicht, dass ich das tun muss! Los, geh in die Küche! Wir backen jetzt, ich hoffe das beschäftigt dich lange genug, um dich weitgenug auszunüchtern, bis du dich wieder erinnerst wo du geparkt hast!"

Augenblicklich stand Ryan am Kühlschrank und suchte die Butter. "Butterplätzchen sind meine Lieblingsplätzchen! Unsere werden bestimmt ganz besonders lecker..."

Mit gesenktem Kopf schlurfte ich ihm hinterher. Das Stechen in meiner Brust bestmöglich ignorierend. "Jaja..."


Weihnachtsglück nebenanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt