06.12.16; Nikolaus

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Ich hasste es, wenn mein Wecker genau im schönsten Moment meines Traumes klingelte. Vor allem seitdem schöne Träume nicht mehr selbstverständlich waren.
Aber so war das nun mal. Man musste aufstehen, man musste arbeiten, man musste vorangehen.
Stöhnend schmiss ich mein Kissen auf den nervenden Wecker und wälzte mich gezwungenermaßen aus dem kuscheligen Bett, um ins Bad zu tappsen. Ich brauchte einfach eine kalte Dusche, um morgens in die Pötte zu kommen.
Vielleicht zehn Minuten später kam ich, in einen flauschigen Bademantel eingemummelt in meine Küche, um mir mein tägliches Müsli zuzubereiten.
Allerdings schien Gott mir unmissverständlich klar machen zu wollen, dass ich mal wieder etwas auf meine Essgewohnheiten achten sollte oder wollte mich zumindest heute nicht zum Essen kommen lassen, denn gerade als ich die Milch aus dem Kühlschrank geholt hatte, klopfte es so energisch an der Tür, das ich mit einem erschrocken Schrei zusammenfuhr und die Milchpackung im hohen Bogen durch die Küche flog.
Als könnte ich sie per Macht meines Willens davon hab halten auf den Boden aufzuschlagen und damit eine riesige Sauerei zu verursachen, streckte ich meine Hand aus und flehte die Dunklen Mächte an, aber als die Packung mit einem Platschen aufkam und platzte, musste ich schlussendlich doch geschlagen meine Augen schließen. Meine Jedikräfte waren wohl nicht allzu ausgereift.
Aber vielleicht, wenn ich sie  gleich wieder öffnete, stellte sich der bisherige Morgen einfach nur als ein sehr realistischer Traum heraus und ich läge immer noch eingekuschelt in meinem Bett?
Das penetrante Klopfen setzte wieder ein.
Mit einem Stöhnen schlug ich die Augen auf und stieg vorsichtig über die sich ausbreitende Milchlache, um die Wohnungstür zu öffnen. Wer in Gottes Namen belästigte mich um halb acht morgens?!
Mit einer guten Portion Wut riss ich die Tür energisch auf und war schon drauf und dran loszubrüllen, als mich ein roter Nikolausschuh im Gesicht davon abhielt.
"Frohen Nikolaustag!", trällerte ein fröhlicher Ryan und ließ den prallgefüllten Beutel in meine perplex ausgestreckten Hände fallen, während ich einem Goldfisch ähnlich den Mund an einer Tour öffnete und wieder schloss, unentschlossen, ob ich weiterhin sauer sein sollte oder nicht.
Das war schon... eine ziemlich süße Geste.
Und dann noch dieser Welpenblick. Da konnte man einfach nicht standhalten.
Ein dämlich breites Grinsen unterdrückend murmelte ich 'danke' und trat dann zurück, um ihn in die Wohnung zu lassen, auch wenn er mich wahrscheinlich im Notfall einfach umgerannt hätte.
Wie konnte man morgens nur so energiegeladen sein?
Als würden wir uns schon seit Jahren kennen, dirigierte Ryan sofort meinen Kühlschrank an und umging dabei den Tatort meines heutigen Missgeschicks, als hätte sich gerade nicht ein Liter Milch über meinen Boden ergossen.
Da mir momentan ebenfalls der Nerv fehlte, die Sauerei aufzuwischen, sondierte ich lieber den Inhalt meines Nikolausschuh und zog freudig Strahlend einen Lebkuchen daraus hervor. Vielleicht wollte Gott mich doch nicht auf Diät setzen.
"Ah perfekt, ich hatte keine Bananen mehr."
In einer fragenden Geste hielt mein Nachbar mir eine Banane entgegen und da ich nicht wusste was dagegen sprechen sollte zumindest zusätzlich etwas gesundes zu essen, zuckte ich mit den Schultern, sodass die glebe Frucht mir im nächsten Moment entgegenflog.
Beide kauend setzten wir uns also an meinen kleinen Küchentisch und ließen die Stille zwischen uns weilen, bis wir beide fertig gegessen hatten.
Danach... Naja blieb es weiter still und mit jeder Sekunde baute sich mehr Spannung in mir auf, bis ich in lautes Gelächter ausbrach.
"Danke für das Nikolauspresent. Hätte ich das gewusst, hätte ich dir..."
"Ah, sprich es nicht aus!"
Als wäre ich noch vier und hätte beinahe ein böses Wort verwendet, hielt mir Ryan seinen ausgestreckten Zeigefinger vor die Nase, sein breites Grinsen behielt er jedoch bei.
"Hättest du es gewusst, würdest du jetzt nicht in meiner Schuld stehen und das alles wäre um sonst gewesen."
Meine Augenbrauen schossen nach oben. "Oho, dreiste Aussage, mein Lieber!"
Um nicht weiter starr sitzenbleiben zu müssen, schnappte ich Ryan die Bananenschale aus der Hand und lief zum Mülleimer, wobei ich jedoch immer wieder einen Blick über die Schulter zurück zu ihm warf. Wie kam es eigentlich, dass es völlig normal wirkte, wie er da in meiner Küche saß?
"So würde ich das nicht sagen. Ich spiele nur mit offenen Karten."
Dafür hatte er aber gerade ein ziemliches Pokerface aufgesetzt. Ich ahnte schlimmes auf mich zu kommen.
"Ich glaube da sind wir unterschiedlicher Meinung, also rück schon raus, was willst du?"
In der Hoffnung ein wenig bedrohlich auszusehen, baute ich mich mit in die Hüften gestützten Händen vor Ryan auf und wurde mir erst jetzt darüber bewusst, dass ich noch immer nur den Bademantel anhatte. Wahrscheinlich lief ich innerhalb von Sekunden purpurrot an, aber da es mir noch peinlicher schien, darüber ein größeres Aufsehen zu machen, gab ich einfach mein bestes, mich selbst noch im mit kleinen Kätzchen bedruckten Plüschbademantel ernst zu nehmen.
Eins musste man Ryan ja lassen, sein Blick blieb stets auf mein Gesicht gerichtet.
"Du müsstest mich nur kurz wohin fahren."
Die Worte klangen einfach zu unschuldig.
"Wo hinfahren?"
Seine zuckenden Mundwinkel verrieten ihn, als er wieder ausweichend antwortete: "Zu einer Freundin."
Nein, das konnte nur böse enden. Und doch merkte ich, dass ich mich schon längst dazu entschlossen hatte, den Fahrservice für meinen neuen Nachbarn zu spielen. Daher bließ ich es bei einem theatralischen Seufzer, während ich mich umdrehte und schlussendlich nachgab.
"Na gut, aber als erstes will ich die Geschichte dazu hören! Und du machst die Sauerei in der Küche Weg!"

Weihnachtsglück nebenanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt