24.12.16; Heilig Abend

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Es war ein Uhr mittags und ich bewegte mich zum ersten Mal aus dem Bett, aber auch nur weil ich nachschauen wollte, ob noch Eis im Tiefkühlfach war. Ich brauchte Eis. Am besten Schoko mit Browniestücken. Und wenn ich schon dabei war, könnte ich auch noch Schokoladensoße dazu geben.

Allerdings zerplatzen all meine Träume, kaum dass ich das Kühlfach öffnete, in dem, von einer Bohnenpackung abgesehen, gähnende Leere herrschte.

Mit einem traurigen Seufzen schloss ich es wieder und lehnte meine Stirn gegen die Verkleidung.

Obwohl ich mich fühlte als könnte ich mich für den Rest meines Lebens unter meiner Decke verkriechen, schaffte ich es jetzt wo ich stand doch nicht mehr zurück zu meinem Bett. Ich brauchte einfach Eis um diesen Abend zu überstehen!

Mein Blick glitt über meine graue Schlafanzughose und dem weißen Oberteil mit den süßen Kätzchen darauf. Wenn ich mir eine Jacke überzog, würde das sicherlich reichen, um kurz zu einer Tankstelle zu fahren...

Unentschlossen blieb ich unbeweglich stehen und wartete auf eine göttliche Erleuchtung oder etwas Ähnliches. Aber natürlich blieb sie aus, also zwang ich mich schlussendlich selbst in Bewegung zu kommen und schlurfte kraftlos Richtung Tür.

Noch kurz in meine dicken Boots geschlüpft und den langen Parker übergezogen und ich war schon aus der Tür.

Nur kurz blieb mein Blick am gegenüberliegenden Apartment hängen und meine Mundwinkel wollten sich schon von automatisch nach oben ziehen, als würde allein der Gedanke an Ryan dafür ausreichen. Aber ich wandte mich schnell ab, um abzuschließen.

Dabei hatte ich ihn die ganze Woche über nicht gesehen.

Irgendwie... hatte es sich nicht ergeben. Vielleicht auch, weil es mir etwas unangenehm war, wie ich mich letzten Sonntag verhalten hatte. Mein Gott, er wusste ja nicht einmal von meinen Eltern. Er musste mich einfach für vollkommen verrückt halten. Oder denken, dass ich mich an ihn ranmachen wollte.

Peinlich berührt verzog ich das Gesicht und ließ meinen Kopf nach vorne an die Tür fallen, den Schlüssel in meiner Hand noch immer nicht im Schloss umgedreht.

Keine Ahnung wie lange ich so wieder dastand bis mich Geräusche hinter mir herumfahren ließen. Allerdings war ich zu überrascht, um schnell genug zu schalten und so schnell wie möglich den Gang hinunter zu verschwinden. Also stand ich mit dem Mund zu einem ertappten ‚Oh' geöffnet da, als Ryan fröhlich pfeifend aus seinem Apartment trat.

Fast hatte ich ja erwartet, dass sein Gesicht sich verfinstern würde, kaum dass er mich bemerkte, doch das wäre nicht Ryan. Stattdessen zuckte er kurz überrascht zusammen und grinste mich dann an, als wäre nie etwas passiert.

Das war... ein gutes Gefühl. Mir fiel erst jetzt auf, wie sehr ich mich vor diesem Moment gefürchtet hatte. Aber anscheinend war zwischen uns alles ganz normal.

„Hey Maggie. Brichst du schon jetzt zu deiner Familie auf?"

Das entspannte Lächeln, dass sich auf meinem Gesicht ausgebreitet hatte, gefror sofort zu einer starren Maske.

„W-Wie bitte?"

Auch Ryan drehte sich jetzt um und schloss seine Tür ab, was mich an mein Vorhaben erinnerte, sodass ich es schlussendlich auch einmal schaffte den Schlüssel im Schloss zu drehen und ihn dann wieder herauszuziehen.

„Naja, ich fahre erst gegen Abend los zu meinen Eltern, da hatte ich irgendwie erwartet, dass es bei dir genauso wäre. Auch wenn das natürlich in keinem Zusammenhang steht."

Er warf mir ein charmantes Schmunzeln zu, aber mein Gehirn war zu überlastet, um in irgendeiner Weise zu reagieren. Oh Gott, wie kam ich aus diesem Gespräch bitteschön wieder raus?

Steif wie ein Brett tigerte ich neben Ryan den Gang hinunter und zwang meinen Mund irgendwelche logischen Wörter zu formen, damit ich zumindest nicht vollkommen bescheuert dastand.

„Und wohin bist du dann jetzt unterwegs?"

Eigentlich war es wirklich entzückend, wie seine Augen anfingen zu funkeln bei meiner simplen Frage. Jedes Frauenherz würde sich bei dieser schon fast kindlichen Freude ihm entgegenschmeißen. Meines allerdings bedarf gerade einer lebensrettenden OP und war damit nicht in der Lage für solch akrobatische Aktionen.

Die Erwähnung meiner Eltern war wie Gift, selbst nach all den Monaten. Dabei hatte ich geglaubt Fortschritte gemacht zu haben.

„Ich spiele etwas Weihnachtsmann."

Ryans plötzliche Antwort ließ mich erschrocken zusammenzucken, nachdem ich mit meinen Gedanken so weit fort geglitten war. Tatsächlich brauchte ich sogar einige Sekunden, um mich überhaupt zu erinnern, was ich ihn gefragt hatte.

„Äh... Weihnachtsmann spielen?"

„Jap. Du weißt schon, meinen Freunden ihre Geschenke vorbeibringen."

Etwas verwirrt musterte ich meinen Nachbar auf der Suche nach einem Sack oder zumindest einer Kiste voller Geschenke. Aber er hatte ganz lässig seine Hände in die Jackentaschen gesteckt, in die, wenn es keine Wundertaschen waren, wohl kaum mehrere Geschenke reinpassten, und hatte auch sonst nichts dabei. Natürlich merkte Ryan meinen Blick und grinste mich sptizbübisch an.

„Die Geschenke sind schon im Auto. Und wenn du deins suchst..."

Mein Herz setzte einen Schlag aus und ich starrte ihn völlig entgeistert an. Oh Gott, er hatte doch nicht wirklich ein Geschenk für mich oder? Ich hatte nicht einmal darüber nachgedacht ihm etwas zu holen, einfach da ich dieses Jahr kein einziges Weihnachtsgeschenk gebraucht hatte.

Das wäre mir unendlich peinlich.

„... ich finde meine Anwesenheit und die tollen Plätzchen, die du nur wegen mir hast, sollten dir Geschenk genug sein."

Wäre mir nicht so eben ein riesiger Betonklotz vom Herzen gefallen, hätte ich sein aufgesetzter hochmütiger Gesichtsausdruck sicherlich zum Schmunzeln gebracht.

„Also bitte, dann war mein Geschenk an dich, dass ich dich ertragen und ausgenüchtert habe."

Kichernd stupste mich Ryan in die Seite und schaffte es damit irgendwie mir einen Teil dieser erdrückenden Last auf meiner Brust wegzunehmen. Einfach durch eine so kurze Berührung und seiner ansteckenden guten Laune.

„Hört sich für mich nach einem fairen Deal an."

Den Rest des Weges nach draußen verplemperten wir mit dummen Witzen und Smalltalk, sodass das Gespräch keines Falles mehr auf meine Eltern gelenkt werden konnte.

Da Ryan seinen Wagen einen Block weiter hatte parken müssen, begleitete er mich noch die wenigen Meter bis zu meinem Auto, vor dem wir etwas unbehaglich stehen blieben.

Wir hatten beide die Hände tief in den Taschen unserer Jacken vergraben und die Schultern hochgezogen, um Schutz vor der Kälte zu finden. Wahrscheinlich waren meine Wangen schon von der kurzen Zeit an der frischen Luft gerötet. Aber gerade deswegen überkam mich mit einem Mal ein Schwall weihnachtlicher Gefühle, sodass ich gegen das Lächeln auf meinen Lippen gar nicht ankam.

„Na dann..." Unsicher was ich damit hatte sagen wollen, lächelte ich Ryan einfach weiter an. Und als hätte er mich trotzdem verstanden, erwiderte er es.

„Na dann, frohe Weihnachten Maggie."

Und bevor ich mich versehen hatte, hatte Ryan sich schon zu mir heruntergebeugt und mir einen Kuss auf die Stirn gedrückt. Als ich mich aus den dadurch ausgelösten Schockzustand lösen konnte, hatte er sich bereits umgedreht und war zu weit weg, als dass ich ihm ebenfalls froh Weihnachten wünschen konnte, ohne mich zu blamieren.

Also starrte ich ihm einfach hinterher, bis er um die nächste Ecke verschwand und ich damit die Kontrolle über meinen Körper zurückerlangte.

Danach beeilte ich mich in mein Auto zu kommen, um der Kälte zu entkommen und vielleicht auch, um das Kribbeln in meinem Magen ignorieren zu können.

Weihnachtsglück nebenanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt