27.11.16; 1. Advent

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Meine Wohnung war nicht wieder zu erkennen. Inzwischen war es früher Abend und Ryan kicherte fast immer noch genauso betrunken, wie vor sechs Stunden, auch wenn ich mir inzwischen sicher war, dass er mich nur um den letzten Nerv bringen wollte. Wir hatten gebacken. Und zwar nicht nur die Butterplätzchen, welche inzwischen schon wieder halb aufgegessen waren. Sondern auch Kokosmakronen, Schwarz-Weiß-Gebäck und eine undefinierbare Plätzchensorte, die wir aus allem zusammengewürfelt hatten, dass wir gefunden haben und das irgendwie zusammen gepasst hat.

Wir hatten sie Maggies genannt und den Satz: "Maggies. Das sind definitiv meine Lieblingsplätzchen!", konnte ich inzwischen wirklich nicht mehr hören.

Aber... ich fühlte mich gut und das vollendete Chaos in meiner Küche waren die Plätzchen tatsächlich wert gewesen.

Ich lag kopfüber auf der Couch, sodass alles auf dem Kopf stand und beobachtete Ryan, wie er den letzten Weihnachtsmann auf der Fensterbank platzierte, der in meiner Weihnachtsdekotüte, die wir im Lauf des Tages aus dem Keller geholt hatten, gewesen war.

"So! Jetzt ist deine Wohnung für Weihnachten bereit!"

Er ließ sich neben mich fallen und ich konnte nur schmunzelnd den Kopf schütteln über den zufriedenen Ausdruck, mit dem er all die rot, weiß, gold glitzernden Sachen betrachtete, die nun meine Wohnung schmückten.

"Ja, wirklich toll, danke Ryan", meinte ich sarkastisch, musste aber bemerken, dass es gar nicht so gemeint war. Klar, es gab schöneres als auf einen betrunkenen Kerl aufpassen zu müssen, aber im Selbstmitleid versunken im Bett liegen gehörte tatsächlich nicht dazu.

Ein warmes Gefühl schlich sich in meine Brust.

Peinlich berührt von meiner plötzlichen Sentimentalität versuchte ich mich abzulenken. "Gib mir Mal noch ein Maggie."

Ryan beugte sich vor zum Couchtisch und griff in eine süße Engelsdose, in die wir unsere neue Plätzchenkombination gefüllt hatten.

Ich öffnete den Mund, damit er mir das kleine Teighäufchen hineinschieben konnte.

"Danke", brummte ich mit vollem Mund und erntete ein Lächeln von ihm.

Nachdem ich geschluckt hatte, richtete ich mich auf. "Kannst du dich inzwischen wieder erinnern, wo dein Auto steht?"

Nachdenklich verzog Ryan das Gesicht.

"Vielleicht wenn wir noch Zimtsterne gebacken haben..."

Spielerisch schlug ich ihm auf die Schultern. "Hey, dass ist unfair! Ich habe dich jetzt schon den ganzen Tag beschäftigt und du weißt genauso gut wie ich, dass ich nicht mehr genug Eier dahabe!"

Er begann schon wieder zu schmollen, als sich sein Gesicht plötzlich aufhellte. "Ich weiß wo mein Auto ist!"

Mit einem Mal war er aufgesprungen und schon halb zur Tür raus, bevor ich überhaupt erst aufstehen konnte.

"Danke für den tollen Tag Maggie!" Schon fiel die Tür hinter ihm ins Schloss und ließ mich verdattert allein zurück.

Ich brachte ein paar Sekunden um mich wieder zu fassen, bevor ich mich zurück auf die Polster plumpsen lies und den Fernseher anschielt.

Das war ja Mal interessant gewesen. Ich nahm mir noch ein Maggie, um mich von dem bedrückenden Gefühl abzulenken, ausgenutzt geworden zu sein.

Hier waren wir also wieder, allein am ersten Advent.

Gedankenverloren starrte ich auf die einsame Flamme der Kerze, die in einem Kranz mit drei weiteren roten Kerzen stand.

Im Fernseher lief nichts Gescheites, daher schaute ich nur halb aufmerksam dabei zu, wie in 'Grey's Anatomie' Mal wieder Flugzeuge abstürzten und Beziehungen auseinanderbrachen. Ich hatte diese Serie einfach zu oft gesehen.

Ich befand mich schon wieder im Halbzombie-Modus, als es plötzlich laut Polterte und kurz darauf jemand bei mir anklopfte. Mit düsterem Gesicht, aber eigentlich froh über die Ablenkung schlurfte ich zur Tür.

Kaum hatte ich die Tür geöffnet stolperte mir ein vollbeladener Ryan entgegen.

"Tolle Nachricht! Ich habe alle Zutaten gefunden die wir für Zimtsterne brauchen!"

Ich unterdrückte mein Lächeln, bevor ich ihm in die Küche folgte.

Weihnachtsglück nebenanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt