24.12.16; Heilig Abend

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Die Gans war ausgezeichnet. Sie war sogar so gut, dass am Ende kein Krümelchen mehr übrig war und wir alle aussahen, als wären wir der Weihnachtsmann höchstpersönlich.

Irgendwann gegen halb neun hatte Grace den kleinen Sam ins Bett gebracht, natürlich nach der Bescherung bei der ich mich mit leeren Händen lieber zurück gehalten hatte, und zur gleichen Zeit waren die Schnapsflaschen auf dem Tisch aufgetaucht, zusammen mit einem Deck zum Pokern. Und ja natürlich wusste ich als erwachsene Frau um was es beim Pockern ging, aber mehr dann auch schon nicht mehr. Es ist also unnötig zu erwähnen, dass ich bisher jede Runde verloren hatte oder um es anders auszudrücken eine einzige Katastrophe war in diesem Spiel.

Die meiste Zeit half ich mir über die Runde, in dem ich einfach genau das machte, was auch mein Vorgänger getan hatte, aber eine wirkliche Siegesstrategie war das nicht. Meine einzige Hoffnung, zu gewinnen, war, dass alle anderen beim Lachen ersticken würden, aber das konnte ich meinen Gastgebern natürlich nicht wünschen. Höchstens Ryan und der hätte es wirklich verdient, so wie er vor Lachen fast auf dem Boden lag.

„Wie ich sehe, Maggie, hast du wohl nicht gerade viel Erfahrung mit Pockern." So sehr ich mich auch schämte, musste ich Simons schmunzeln doch erwidern. „Ich habe keinen blassen Schimmer."

Neben mir prustete Ryan wieder von neuem los. „Zum Glück, denn mit ihren Karten könnte sie uns alle fertigmachen."

Empört schlug ich diesem Schummler gegen den Arm. „Hey! Man darf den anderen nicht in die Karten schauen!"

Aber Ryan war schon längst in einem neuen Lachanfall gefangen und lehnte sich dabei mit seinem Stuhl gefährlich weit nach hinten, um meinen Schlägen zu entgehen.

„Ryan, pass auf, sonst fä..."

Ich sah es genauso wie Grace kommen und streckte noch meine Hand aus, in der Hoffnung rechtzeitig eingreifen zu können, aber da kippte der Stuhl bereits und Ryans lachen wandelte sich in ein erschrockenes Grunzen.

In Anteilnahme verzog ich mein Gesicht, aber davon Ryan nur ein gedemütigtes Seufzen kam gefolgt von einem gemurmelten: „Das habe ich wohl verdient...", konnte es ihm ja nicht so schlimm gehen.

Joyce sprang natürlich trotzdem in mütterlicher Sorge auf, doch ihre Stirn glättete sich sobald sie ihren Sohn mit zerknirschten Lächeln sich den Hinterkopf reiben sah.

„Na, das schreit wohl nach Eis! Wir haben zur Auswahl Schokolade und Vanille."

Grace mühte sich mit ihrem runden Babybauch von dem Stuhl aufzustehen, um ihrer Mutter in die Küche zu folgen, da meldeten sich meine Manieren.

„Setz dich, setz dich! Ich helfe Joyce." Sofort glitt Grace mit einem dankbaren Lächeln zurück auf den Stuhl und ergriff wie nebenbei Joshs Hand, was mein Herz sofort wärmte. Den beiden war ihre Liebe wirklich noch anzusehen.

Gnädig gestimmt durch diese flauschigwarmen Gefühle, half ich Ryan auf die Beine, bevor ich seiner Mutter hinterhereilte, die schon fleißig am Eis verteilen war und lächelnd aufblickte, als ich die Küche betrat.

„Was willst du, meine Liebe? Die anderen nehmen jedes Jahr das gleiche."

Grinsend betrachtete ich die vier Schüsseln mit jeweils einer Vanille- und einer Schokokugel und die eine Schüssel mit nur Vanille, die zwischen den anderen völlig fehl am Platz wirkte. Ich könnte meine Hand darauf verwetten, dass diese Joshs seine war.

„Für mich nur Schokoladeneis bitte."

Joyce Lächeln verwandelte sich zu einem richtigen Grinsen. „Ich sehe schon, du ergänzt die Runde perfekt."

Nachdem auch meine Schüssel gefüllt war, trug ich das Tablett mit dem Eis raus, während mir Joyce mit Löffeln, Streuseln und Eierlikör folgte.

Ryan hatte sich inzwischen wieder normal hingesetzt und von einem hochroten Kopf und verwuschelten Haaren war nichts mehr von seinem Abenteuer zu erkennen.

Sobald alles auf dem Tisch stand schlugen wir alle zu, als wären wir nicht immer noch papsatt von der Gans und dabei schien auch niemand mit dem Likör zu sparen außer mir und natürlich Grace, was mich besorgt die Stirn runzeln ließ. Genauso war es auch schon vorhin mit dem Schnaps gewesen, dabei musste Ryan uns doch nachher noch nach Hause fahren. Oder hatte er vor mich mit seinem Auto fahren zu lassen?

„Komm Maggie, du bist noch viel zu klar! Nimm doch noch einen Schuss!"

Ryan, dessen Eis geradezu in Eierlikör schwamm, kam meiner Schüssel gefährlich nah mit der Flasche, bevor ich ihn stoppen konnte.

„Nein, warte! Wir müssen doch noch irgendwie nach Hause kommen."

Mit einem verständnislosen Blick hielt Ryan inne, während ich ihm völlig irritiert entgegenstarrte. Wie konnte er das vergessen haben?

„Ryan! Hast du Maggie etwa nicht gesagt, dass ich hier übernachten könnt?!"

Wie synchron geschaltet drehten wir beide unseren Kopf gleichzeitig zu Joyce herum, die ihren Sohn völlig entrüstet anblickte.

„Wir... übernachten hier?"

Natürlich war meine Frage völlig unnötig, immerhin hatte Joyce genau das gerade gesagt, aber mein Gehirn musste es noch einmal selbst wiederholen, bevor es die Aussage verstand.

„Natürlich, Schätzchen! An Weihnachten soll man feiern und nicht darauf achten müssen, noch fahren zu können."

Das Angebot war natürlich absolut nett und mir wäre es auch lieber, nicht noch fahren zu müssen, aber...

„Ich habe doch gar nichts zum Übernachten dabei!"

Ein weiterer finsterer Blick schoss zu Ryan. „Tja, deshalb hätte mein lieber Sohn dich darüber auch informieren sollen."

Noch immer die Eierlikörflasche in der Hand lehnte sich besagter Sohn zurück und verzog das Gesicht.

„Ja, vielleicht habe ich das vergessen zu erwähnen..."

Als Antwort darauf erhielt er nur ein empörtes Schnaufen, bevor Joyce ihren Löffel erhob. „Sobald wir das Eis gegessen haben, suchen wir dir alles Nötige zusammen, Maggie. Simon schimpft mich schließlich nicht um sonst immer dafür, alles aufzuheben."

Und so goss mir Ryan noch einen guten Schuss Eierlikör über mein Eis, bevor wir alle uns ans Naschen machten.

Danach entführte mich Joyce in die Tiefen des Hauses und kramte alte Sachen von Grace hervor, die mir passen sollten. "Zahnbürste, Abschminktücher und ähnliches findest du alles im Bad im Schrank unter dem Waschbecken und sollte noch irgendetwas fehlen, schmeißt du Ryan einfach aus dem Bett und er soll es dir holen. Etwas Bestrafung muss es für dieses Dümmerchen ja geben. Ein Wunder, dass du es mit ihm aushältst."

Ich musste mir schwer auf die Lippe beißen, um ein Kichern zu unterdrücken.

„Ach was, so schlimm ist er gar nicht."

Weihnachtsglück nebenanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt