Kapitel 5

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>Hier< Lilia reichte mir einen dampfenden Pappbecher, den ich wie in Trance ergriff. Sie setzte sich neben mich auf die kalte Parkbank und beobachtete genauso wie ich, wie die Menschen den Park verließen, sich auf den Weg nach Hause machten. Dieser Moment bei dem Grab meines Vaters hatte etwas in mir verändert. In gewisser Hinsicht wurde mir eine enorme Last von den Schultern genommen, doch nun fühlte sich alles in mir taub an, als wären meine Gefühle abgestumpft. Nicht mal an dem heißen Kakao, der mir früher immer bessere Laune beschert hatte, konnte ich mich erfreuen. Auch die Gedanken daran, dass ich für uns einen Schlafplatz für die bald hereinbrechende Nacht finden musste, schienen mir nicht wichtig genug zu sein, als ihnen auch nur einen Moment Platz in meinem Kopf zu lassen. Ich hatte das Gefühl, dass irgendetwas in mir gestorben war und nun bei meinem Vater im Grab lag, sich an den sterblichen Überresten meines Vaters klammernd.     

>Woher wusstest du eigentlich, dass dieses "Alles-heraus-schreien" helfen würde?<, fragte ich Lilia schließlich, nur damit dieses Bild von mir selbst, wie ich mich an einen verwesenden Leichnam klammerte, aus meinen Kopf verschwand.


>Weil es bei mir auch geklappt hat< Ich sah von meinem Kakao, den ich zuvor wie eine Offenbarung angestarrt hatte, hoch, blickte sie fragend an. Ein trauriges Lächeln umspielte ihre Lippen, während sie zu den kahlen Ästen des Baumes über uns empor sah. >Im letzten Frühjahr... da habe ich erfahren, wie meine Mutter wirklich gestorben ist< Sie sah erst mich an und blickte dann in den mittlerweile schon leeren Pappbecher in ihren Händen. >Meine Mutter ist kurz nach der Auswahlzeremonie für die Königin gestorben, kurz nachdem ich als Säugling dazu auserkoren wurde, die zukünftige Frau des Königs zu werden. Ich hatte immer geglaubt, dass es eine Krankheit war, ein Herzinfarkt oder ähnliches. Etwas was man selbst mit Magie nicht heilen kann< Tränen traten ihr in die Augen. Geschockt sah ich dabei zu, wie die erste Träne sich aus ihrem Auge löste und ihre kalte Wange hinunter floss. >Du bist nicht der einzige, der seine Mutter verloren hat und dafür ein Mitglied der eigenen Familie verantwortlich ist<


>Was ist passiert?<, fragte ich sie mit seltsam hauchender Stimme, als wüsste ich bereits, wohin ihre Erzählung führen würde.


>Meine Mutter, Sonia, hat in die Familie meines Vaters eingeheiratet, ursprünglich war sie eine Bley, die Cousine von Antonin. Und sie war dagegen mich für diese Auswahlzeremonie zu benutzen. Aber Christelle Florea und ich waren die einzigen Mädchen, die im Jahr des Königs geboren wurden. Du musst wissen, dass es die Pflicht der Clans ist, ihr jüngstes Mädchen für die Auswahl zur Verfügung zu Stellen, zusätzlich zu jedem Mädchen, welches im selben Jahr wie der König geboren wurde. An dem ersten Geburtstag des Königs fand die Auswahl statt, wir vierzehn Mädchen wurden allesamt von den Sehenden berührt, durchleuchtet und am Schluss entschieden sie sich für das stärkste, klügste und reinste unter ihnen. Das war ich< Sie schluckt hörbar, während sie durch den Tränenschleier schon kaum noch etwas sehen konnte. Ich schüttelte den Kopf um ihr zu symbolisieren, dass sie nicht weiterreden zu brauchte, doch entweder sah sie es nicht oder sie wollte es nicht sehen. >Meine Mutter hat sich mit Händen und Füßen dagegen gewährt. Sie wollte nicht, dass auf mir dieser Zauber angewendet werden würde, der dafür sorgt, dass sich mein Aussehen nach den Wünschen des Königs richtet und ich bis dahin vollkommen farblos wäre. Sie wollte nicht, dass ich diese strenge Erziehung erfuhr, abgeschottet von allen anderen, selbst meinen Verwandten. Mein Vater hingegen war so stolz, dass ich, seine Tochter, ausgesucht wurde, was natürlich auch seine Position und die der Familie Zura hob. Als er mitbekam, dass meine Mutter sich mit mir absetzten wollte, hat er sie kurzerhand umgebracht, damit meinem Posten niemand mehr im Weg stand< Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ob ich überhaupt was sagen sollte. Ich fühlte mich hilflos, konnte nichts tun. Unschlüssig rutschte ich etwas näher zu ihr und legte ich zögernd eine Hand auf die Schulter. Ich war so unbeholfen angesichts dieser Situation. Dennoch schenkte sie mir durch ihre Tränen hindurch ein flüchtiges, dankbares Lächeln. >Als ich das erfuhr, habe ich angefangen mich öfter draußen aufzuhalten, mich raus zu schleichen, wann immer sich die Möglichkeit dazu bot. Durch die Sonne verflüchtigt sich dieser Zauber, der dafür sorgt, dass mein Haar und meine Augen keine richtige Farbe besitzen, sodass mein Aussehen wieder so wird, wie es bei meiner Geburt war. Ich habe das Gefühl, dass ich das meiner Mutter schuldig bin, wo sie doch so sehr für diese Farben gekämpft hat< Also habe ich es mir doch nicht eingebildet ...


>Ich habe dich gesehen<, fiel mir da plötzlich ein. Lilia sah mich neugierig an, aber wenigstens wurden ihre Tränen bereits weniger. >Als ich das Bild von dem Sonnenuntergang gemalt habe. Das was in meinem Zimmer stand. Da habe ich dich draußen gesehen, du hast ihn dir auch angeguckt, nur einen Moment lang aber es reichte um dich zu erkennen< Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.


>Ich sehe mir gern die Sonne an, sie ist das einzige, was nicht künstlich verändert werden kann...< Auf ihrem Gesicht lag wieder ein trauriger Ausdruck, diesmal gepaart mit einer nachdenklichen Miene. Ich wusste nicht warum, aber ich wollte diesen Ausdruck nicht auf ihrem Gesicht sehen. Kurz entschlossen stand ich auf. >Was hast du vor?<, fragte sie mich und sah verwirrt zu mir hoch.


>Wir müssen noch zu der Friedhofsverwaltung damit die uns sagen kann, wo wir Ellen Niels finden. Und wenn wir uns nicht beeilen, dann kommen wir nicht mehr rechtzeitig dort an, bevor sie schließen< Ich reichte ihr die Hand, welche sie nahm und sich anschließend von mir auf ihre Füße ziehen ließ.


>Und das wäre schlimm weil?<, wollte sie wissen, während sie den Becher in den nebenstehenden Mülleimer schmiss.


>Ich weiß ja nicht, wie es bei dir ist, aber ich möchte nicht die Nacht draußen verbringen, erst recht nicht Ende Herbst<


>Gutes Argument. Dann lass uns gehen< Leicht glucksend angesichts ihres geschocktes Gesichtsausdrucks, als ich das mit dem draußen schlafen erwähnte, lief ich neben ihr her und überließ ihr dabei nur zu gerne meinen mittlerweile nur noch lauwarmen Kakao.


 

Tadaaa, mal etwas aus Lilia's Vergangenheit

Hoffe euch hat's gefallen;)

   

Die Magier - Der König (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt