Kapitel 16

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Die Autofahrt verlief schweigend. Lilia, die hinten auf dem Rücksitz saß, starrte durchgängig durch die Scheibe nach draußen, ich verfolgte die meiste Zeit mit meinen Augen die Bewegungen der Scheibenwischer und Reginald, der noch zu Beginn versucht hatte ein Gespräch aufzubauen, achtete nur auf den Verkehr. Wenn das Autoradio nicht gewesen wäre, wäre das Innere des Autos so still gewesen wie ein Friedhof in der Nacht. Aber es gefiel mir irgendwie. Und genau das machte mir Sorgen. 

Seit wann war ich jemand, der Stille genoss? Bisher hatte ich es nie ausstehen können, wenn man sich gegenseitig an schwieg. Ich hatte es selbst gehasst, nicht mit jemanden reden zu können. Deshalb war ich es auch gewesen, der jedes Mal die Stille zwischen meinen Freunden durchbrach, wenn diese mal aufgetaucht war. Und nun gehörte ich selbst zu der Gruppe der ruhigen Menschen. 

Irgendwann hielten wir kurz an, da Reginald tanken musste. Lilia und mir hatte er vorgeschlagen, dass wir uns doch ein wenig die Beine vertreten könnten oder, falls wir Hunger hätten, uns etwas zu essen kaufen sollten. Während ich ihn einfach nur sprachlos ansah - es war mehr als offensichtlich, was er mit dieser Aktion versuchte zu erreichen - lehnte Lilia mit einem einfachen Kopfschütteln seinen Vorschlag ab. Was ihn dazu brachte, mich intensiv anzusehen und dann auffordern in ihrer Richtung zu nicken. Fassungslos starrte ich zurück. >Na gut, ich geh dann mal tanken<, meinte er, warf mir noch bedeutungsvollen Blick zu und stieg dann aus. Ließ Lilia und mich alleine im Inneren des Autos.

Die Stille war erdrückend. Und gleichzeitig so präsent, dass ich mir einen kurzen Moment sicher war, sie anfassen zu können. Was vollkommener Unsinn war. Doch trotz dieser Geräuschlosigkeit unternahm weder Lilia noch ich den Versuch irgendetwas zu sagen. Bis sich Reginald vom Auto entfernte, vermutlich um zu bezahlen. >Wieso willst du, dass ich das Land verlasse?< 

Ich hätte nie damit gerechnet, dass mich allein die Tonlage einer Person so aus der Fassung bringen könnte. Nie. Und doch tat sie es. 

Die Enttäuschung in Lilias Stimme war so deutlich und klar, dass man schon taub hätte sein müssen, um sie zu überhören. Leider besaß ich jedoch die Fähigkeit mit meinen Ohren Geräusche wahrzunehmen. Auch wenn ich mir in dieser Situation wünschte, dass es anders wäre. Denn ihre Enttäuschung bohrte sich geradezu in meinen Körper, als wäre es ein zerbrochenes Glas, dessen Scherben auf mich nieder prasselten. >Wieso willst du mich nicht dabei haben?< Bereits beschwichtigende Worte auf der Zunge drehte ich mich mit einem unsicheren Lächeln nach hinten, nur um dann jedes Wort, das ich sagen wollte, zu vergessen und mir das Lächeln vom Gesicht wischen zu lassen. Lilia sah nicht so aus, als würde sie sich mit Ausflüchten zufrieden geben. Nein, sie sah nicht mal so aus, als würde sie mir glauben, wenn ich einfach nur das wiederholte, was ich bereits zu Ellen und Anna gesagt hatte. Ich konnte ihr den wahren Grund nicht sagen. Das sah ich ihr an. Sie hätte dagegen angeredet. Hätte mich mit allen Mitten davon zu überzeugen versucht, dass ich ihr nichts schulden würde. Dass ich keine Rücksicht auf sie nehmen müsste. Sie würde es irgendwie schaffen, mich umzustimmen. Ich wusste es, als ich ihr in die blauen Augen sah.  

>Ich will dich nicht in meiner Nähe haben<, meinte ich, während ich wieder nach vorne sah. >Versteh mich nicht falsch, Lilia. Ich bin dir dankbar, dass du mich gerettet hast. Dass du mir geholfen hast. Aber ich will nichts mehr mit euch zu tun haben. Weder mit Morgen, noch mit Lance. Und erst recht nicht mit dir< Ich hörte ihr leises "Was". Hörte ihr Unverständnis. Und bereute es bereits wieder, diesen Weg gewählt zu haben. Doch ich war nach wie vor der Meinung, dass dies die beste Entscheidung war, die ich für sie hatte treffen können. Deshalb zwang ich mich dazu weiter zu reden. >Alles, was mir passiert ist, war eine Folge davon, dass du mich gefunden hast. Dass du dafür gesorgt hast, dass ich geholt wurde. Deinetwegen ist das alles passiert. Aber damit hätte ich leben können, weißt du? Weil ich so auch mehr über meine Eltern erfahren konnte. Weil ich so doch irgendwie auf eine schräge Art und Weise eine Vergangenheit und eine Herkunft habe. Dafür bin ich dir sogar etwas schuldig. Aber du wusstest, wer ich möglicherweise bin. Ich bin mir sogar sicher, dass du mit Nora darüber geredet hast, kurz bevor ich euch in der Küche überrascht habe. Du hast es mir verschwiegen. Hast mir verschwiegen, dass ich vielleicht genau das bin, was meine Eltern vernichten wollten. Und dafür-< Komm schon, Niels. Sprich es aus. Sag es ihr. Zerstör jedes Vertrauen, das zwischen euch noch existiert. Tu es, verdammt nochmal, jetzt. >Dafür hasse ich dich, Lilia<

Kaum hatten diese wenigen Worte meinen Mund verlassen, biss ich mir gewaltsam auf meine Unterlippe, um nicht sofort zu sagen, dass ich das nicht so meinte. Nichts von dem, was ich ihr gesagt hatte. Krampfhaft umklammerte ich mit meiner Hand den Türgriff. >Aber da ich dir noch was schuldig bin, habe ich Ellen darum gebeten, dir zu helfen, das Land zu verlassen. Dann kannst du irgendwo ein schönes, neues Leben aufbauen. Weit weg von mir< Ich halte das nicht aus.

Mit einem Ruck öffnete ich die Tür, sprang hinaus und knallte sie wieder hinter mir zu. Mit schnellen Schritten lief ich auf das Gebäude mit den Toiletten zu, dabei biss ich mir weiter auf die Lippe, um jetzt ja nicht die Kontrolle zu verlieren, während sie mich noch sehen konnte. Dabei wiederholte ich meine Worte in meinen Gedanken immer wieder, bis ich vor der Tür zum Männerklo stand, diese aufriss und mich drinnen an einer der Wände hinunter rutschen zu lassen. Wütend auf mich selbst schlug ich mehrmals auf den Boden, während ich in meinem Mund bereits Blut schmecken konnte. Ich war erbärmlich und fühlte mich auch so. Doch ich hatte es verdient. Es tut mir leid, Lilia. Es tut mir so unfassbar leid.

Die Magier - Der König (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt