Kapitel 17

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Ich wusste ehrlich gesagt nicht, ob ich mit dem Anblick hätte rechnen sollen oder nicht. Jedenfalls war das Anwesen meiner Familie, das Haus in dem ich anscheinend sechs Jahre lang gelebt hatte, im wahrsten Sinne des Wortes sehr ländlich gehalten. Nicht nur das es sich irgendwo im Nirgendwo zu befinden schien, nein, es handelte sich dabei um ein stattliches Herrenhaus mit großen Grünflächen und kleineren, lang gezogenen Gebäuden, die sich als Tierställe entpuppten. Die Familie Niels besaß ganz offensichtlich ein nicht gerade kleines Landgut. 

>Überwältigend, oder? Ihr hättet mich mal sehen sollen, als ich zum ersten Mal hier war< Reginalds übermäßig fröhliche Stimme füllte bereits seit Stunden das Innere des Pkws, tatsächlich genau ab dem Moment, als er mich am Boden kauernd in der Herrentoilette der Tankstelle gefunden hatte. Ich wusste nicht wirklich, ob er mitbekommen hatte, was zwischen Lilia und mir passiert war, aber ich war mir relativ sicher, dass er etwas ahnte. Da wir jedoch beide über diesen Vorfall und auch sonst geschwiegen hatten, schien Reginald nun der Meinung zu sein, uns mit seiner Fröhlichkeit anstecken zu können. Nicht das diese auch nur im Ansatz ehrlich gewesen wäre. Doch ich musste ihm stumm Recht geben. Es war überwältigend. Besonders die Tatsache, dass anscheinend niemand dieses Landgut bisher entdeckt hatte. >Das Haus besitzt sogar in mehreren Zimmern ein Kamin, die Schornsteine sieht man von vorne allerdings nicht. Und keine Sorge, ihr müsst euch nicht um die Tiere kümmern< Letzteres war wohl eher eine Sorge, die sich die Tiere nicht machen mussten. Ich für meinen Teil hatte nämlich noch nie ein Schwein oder eine Kuh live gesehen - außer tot natürlich. In der Stadt gab es nämlich keine Farmen, die diese Viecher in viel zu engen Ställen einpferchten, um möglichst viele davon auf möglichst kleinen Platz zu stellen. Es hatte schon seine Gründe, warum Dani Vegetarierin war. 

Reginald fuhr von dem Sandweg, den wir bisher befahren hatten, auf den gepflasterten Hof und hielt direkt vor der Eingangstür. Diese war ganz altmodisch gehalten mit einer breiten Treppe, die zu zwei großen, aus dunklem Eichenholz bestehenden, Türflügeln führte, die sogar noch alte Türklopfer aufweisen konnten. Die Beete, die sich links und rechts von der Treppe befanden, waren erstaunlicher Weise äußerst penibel gepflegt, kein Zweig eines Busches war aus der Form gewachsen und keine verwelkten Blüten oder abgefallenes Laub lag auf der gelockerten Erde. Als ich das bemerkte, kroch das Misstrauen meinen Nacken hinauf wie eine behaarte Spinne. Wachsam drehte ich mich langsam um meine eigene Achse, während Reginald Lilias und mein Gepäck - Wechselkleidung und ein paar hygienische Artikel, die Ellen uns in aller Früh überreicht hatte - aus dem Kofferraum holte. Mir fiel auf, dass die Bäume zwar schon fast kahl waren, jedoch nirgends auf dem Hof auch nur ein Blatt zu sehen war. Auf der Treppe, die übrigens aus schönem Naturstein bestand, war nirgends Dreck oder Moos zu sehen. Die Fenster schienen frisch geputzt zu sein. Der Efeu, der sich an einer Ecke des Hauses hochrankte, war ordentlich geschnitten. Der Rasen war ordentlich gestutzt und auch das Grunzen und Muhen aus den Ställen klang äußerst zufrieden und lebendig, nicht halb verhungert. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht. 

Gerade als ich all meine Vorsetze über Bord werfen und Lilia in das Auto zerren wollte, um wenigstens nicht wie auf den Präsentierteller rumzustehen, kam jemand aus dem nahegelegensten Stall. Und genau das war dann wohl der Moment, wo sich meine neugewonnene Paranoia - danke, Socrate - bemerkte machte. Wie ein verschrecktes Tier, das seine Verteidigung vor einem möglichen Feind hochfuhr, streckte ich meine Hand in die Richtung der Person und war drauf und dran ihn mit einem Feuerball einzuäschern, ohne überhaupt zu wissen, wer das war oder was er dort machte. Zum Glück hielt mich Reginald ganz subtil davon ab, indem er mich einfach von hinten umarmte und mir damit meine Arme an den Körper presste. >Ganz ruhig, Will. Das ist kein Magier, erst recht keiner von Socrate<, raunte er mir zu, damit ich aufhörte mich gegen ihn zu wehren. Wieder mal kam mir in den Sinn, dass ich mich wie ein verschrecktes Tier verhielt. Insbesondere deshalb, weil Reginald auch genauso mit mir sprach.

>Wer ist das dann?<, wollte ich wissen. Dabei bemerkte ich wie sehr sich mein Atem verschnellert hatte. Ich hätte glatt hyperventilieren können.

>Das ist Richard, kurz Dick. Ellens Schwager. Vollkommen harmlos. Er kümmert sich nur um dieses Anwesen, seitdem er seinen Bauernhof und sein Zuhause verloren hat< Mühsam kämpfte ich meine Panik herunter, als ich sah wie der alte Mann mit Latzhose, kariertem Hemd und einer Schubkarre aus meinem Blickwinkel verschwand. Offensichtlich hatte er nicht das Bedürfnis uns zu begrüßen. Oder er hatte unser Ankommen schlichtweg nicht mitbekommen. >Geht's wieder?< Ich nickte, woraufhin Reginald mich langsam losließ. Als wäre nichts gewesen, schnappte er sich unsere Reisetasche, schlug den Kofferraum zu und marschierte in Richtung der Tür davon. Dabei fummelte er einen Schlüssel aus seiner hinteren Hosentasche hervor. Nach kurzem Zögern, und einen Seitenblick in meine Richtung, wie ich aus den Augenwinkeln bemerkte, folgte Lilia ihm. Noch zögerlicher tat ich es ihr gleich. 

>Weiß er, dass wir hier sind?<, fragte ich.

>Jupp< Reginald sah mich leicht grinsend über seine Schulter hinweg an, vermutlich seine Geste für "Es wird alles gut, entspannt euch". >Er mag Kinder nicht besonders. Oder Jugendliche. Eigentlich mag er niemanden, der dieselbe Sprache wie er spricht. Er kümmert sich um den Hof, um die Tiere und um seinen eigenen Kram. Solange ihr ihn nicht stört, stört er euch auch nicht. Wenn ihr sogar nett zu ihm seid, und ihm seine Ruhe lasst, kocht er euch vielleicht was. Dein Vater meinte, Richards Essen wäre zum niederknien< Vermutlich hatte er nicht vorher darüber nachgedacht, was er da von sich geben wollte. Aber, ob Absicht oder nicht, meine Laune verdüsterte sich augenblicklich. Hätte Socrate ihn nicht umgebracht, hätte Dad mir das selbst erzählen können... Reginald schien meine Gedanken ungefähr zu ahnen, weshalb er sich wieder eilig daran machte, die Tür zu aufzuschließen. Lautlos schwankte einer der Flügel ins Innere des Gebäudes. >Na kommt, ihr zwei. Ich führ euch ein bisschen rum< Innerlich tief durchatmend, um mich für alles zu wappnen, was ich möglicherweise sehen würde, ließ ich erst Lilia den Vortritt. Ich folgte ihr und schloss die Tür mit einem leichten Klicken hinter mir.

Die Magier - Der König (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt