Kapitel 21

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"Rasmus Niels starb am 8. Juni, seinem 43. Geburtstag. Er hinterlässt seinen zehnjährigen Sohn, Lucas Jeffran Niels, dessen Vormundschaft von nun an der Minister trägt. Die Schwester, Ellen Niels, wurde benachrichtigt und nimmt für eine gewisse Zeit ihren Neffen zu sich, um ihm in seiner Trauer bei zu stehen. Die Beisetzung findet am 15. Juni um 16 Uhr statt.  

Vier Sätze. Vier einfache Sätze waren alles, was das glorreiche Heim des Königs zum Tod meines Vaters zu sagen hatte. Und das nach 43 Jahren, die er hier gelebt hatte...

Die Beerdigung ist mittlerweile schon ein Jahr her. Ich wurde in den Kreis der Oberhäupter aufgenommen - ich bin damit der Jüngste, der je in dieses Amt erhoben wurde - und lebe allein. Obwohl, wenn ich so nachdenke, lebe ich nicht nur allein, sondern bin auch allein. Allein in diesem großen Haus, in dem meine Mutter mich zur Welt brachte und dabei starb. In dem mein Vater sich kurz nach meinem 10. Geburtstag erhängte. Besuch gibt es selten, nur Tante Ellen und Onkel Will kommen immer pünktlich zu meinem Geburtstag her, da ich ja das Heim nicht verlassen darf. Und Jonathan kommt hin und wieder nach dem Unterricht zu mir. Wenn sonst jemand etwas von mir möchte, was selten genug vorkommt, werde ich irgendwo in den Unterrichtspausen abgepasst. Weil es ja auch sooo schrecklich ist, zu mir nach Hause zu kommen. Als wäre Selbstmord selbst noch Jahre später ansteckend. Die können von Glück reden, dass ich weiß, wie man sich halbwegs selbst ernährt. Sonst wäre ich schon längst verhungert, so selten wie die, von Socrate für mich abgeordnete Köchin auftaucht."

Das leise Knarzen von Holz holte mich aus den Gedanken eines elfjährigen Lucas Niels, der den Tod seines eigenen Vaters definitiv besser verwunden hatte als ich selbst. Erschrocken über den plötzlichen Laut riss ich meinen Kopf nach oben, nur um erkennen zu müssen, dass lediglich die Tür beim Öffnen dieses Geräusch, welches sich in dem ansonsten völlig stillen Raum lauter anhörte als es wirklich war, von sich gegeben hatte. Ich erwartete Richard zu sehen, dem vielleicht das Licht aufgefallen war, das durch das Schlüsselloch und unter der Tür hindurch in den Flur gestrahlt haben musste. Vielleicht wollte er sicher gehen, dass ich wirklich las und nicht die Arbeit meines Vaters unbewusst oder bewusst zerstörte. Doch die Gestalt, die letztendlich ihren Körper durch den Rahmen und so in mein Sichtfeld schob, war nicht Richard. 

>Entschuldige, ich wollte dir keinen Schrecken einjagen...< Perplex starrte ich Lilia eine Weile lang nur an, da ich mit ihr nun wirklich nicht gerechnet hatte, so wie ich vorher mit ihr umgegangen war. Doch da stand sie. Offensichtlich sich nicht wohl fühlend in ihrer eigenen Haut und meinem Blick ausweichend, aber sie war da. Freiwillig. In diesem Moment wusste ich nicht einmal, was dieser Umstand mit mir anrichtete, klar war nur, es brachte mich völlig aus dem Konzept. >Ich... ich wollte dich fragen, ob du etwas zum Frühstück möchtest?<

>Frühstück?<, entsetzter hätte ich vermutlich nicht klingen können, als ihre Worte endlich mein Gehirn erreichten. Leider fiel mir erst anschließend das Licht auf, welches durch die Fenster in den Raum strahlte, die Lampen zwar noch nicht ablöste aber unterstützte. Peinlich. 

>Richard hat uns unten in die Küche etwas hingestellt< Mein Blick, der zuvor durch den Raum gewandert und dabei das leichte Sonnenlicht betrachtet hatte, glitt zurück zu Lilia, die noch immer zurückhaltend und auf eine Antwort wartend in der Tür stand. Ich bemerkte, wie sie vermied auch nur in meine Richtung zu schauen, sodass mir wieder einmal siedend einfiel, warum ich den Abstand zu ihr gesucht hatte. Warum ich sie so verletzt hatte, dass sie mich nicht einmal mehr ansehen wollte.

>Nein, danke. Ich... werde hier noch weiter lesen<, antwortete ich ihr schließlich stockend, plötzlich nicht mehr in der Lage dazu meine Augen auf sie zu fokussieren. Aus den Augenwinkel bekam ich mit wie sie nickte und sich zum Gehen wandte. Die Tür war bereits wieder halb geschlossen, als ich mich dazu durch rang, sie noch einmal zurück zu rufen. >Lilia?< Die Bewegung der Tür hielt inne.

>Ja?< Ich kam nicht drumherum ihren leichten Unterton in der Stimme der Hoffnung zuzuschreiben. Vielleicht wollte sie, dass ich mit ihr aß. Vielleicht wollte sie irgendetwas, was ihr zeigte, dass meine Worte nicht so gemeint gewesen waren. Vielleicht erhoffte sie sich eine Entschuldigung. Die Gewissheit, ihre Hoffnung mit dem nächsten Satz zu zerschmettern, ließ einen Klos in meiner Kehle entstehen, der auch nach mehrmaligem Schlucken einfach nicht verschwinden wollte. 

>Sollte ich Hunger haben, werde ich einfach nach unten gehen. Du brauchst weder auf mich zu warten noch extra hierher kommen, um mich zu holen. Du musst dich nicht um mich kümmern< Ihre Augen, die mich kurz angesehen hatten als würde ich sie von irgendetwas erlösen, füllten sich mit einer Emotion, die ich nicht genau benennen konnte. Trauer? Enttäuschung? Wut? Ich wusste es nicht.

>Okay< Mehr sagte sie dazu nicht mehr. Stattdessen zog sie die Tür schnell hinter sich zu, so als würde es ihr Schmerzen bereiten auch nur die selbe Luft wie ich zu atmen.

Als das Klicken des eingerasteten Schlosses ertönte, wandte ich mich wieder den Aufzeichnungen meines Vaters zu. Ich konnte und wollte nicht über Lilia und unseren momentanen Umgang miteinander nachdenken. Nicht mehr lange und sie wäre mich eh für immer los. Welchen Sinn hatte es, etwas nachzutrauern, das in wenigen Wochen eh für immer unmöglich sein würde und noch dazu von mir persönlich in die Wege geleitet worden war? Gar keinen, und genau deshalb konzentrierte ich mich lieber auf die Tagebücher um mich herum, die mir vielleicht Antworten geben würden. Antworten, die ich brauchte, um einerseits zu überleben und andererseits meiner Seele endlich etwas Frieden zu geben.   

Die Magier - Der König (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt