Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Einfach nur wieder runterkommen. Nicht ausrasten. Aber ich war wütend. Sehr wütend. Am liebsten hätte ich Anna meine Faust mitsamt den Flammen ins Gesicht gerammt. Doch das durfte ich nicht. Das konnte ich nicht. Nicht, wenn ich wirklich ich war: ein Waisenkind mit den besten Freunden, die man sich wünschen konnte, ein Freak, der verrückt genug war, zu glauben, dass er wirklich Magie beherrschen könnte, ein Verrückter, der sich mit jedem anlegte, egal wie wahnsinnig das auch sein konnte. >Was willst du jetzt tun? Mich bedrohen? Verstümmeln und foltern? Oder sogar umbringen?<, fragte Anna provozierend, was in mir wieder den Wunsch hochkommen ließ, sie meine Flammen spüren zu lassen. Stattdessen ballte ich meine Hände so fest zu Fäusten, dass es mich nicht gewundert hätte, wenn ich mir dadurch meine eigenen Handflächen blutig geschlitzt hätte. Anna schien es nicht zu bemerken. Oder es war ihr schlichtweg egal. >Na los. Bring es schon hinter dich<
>Warum?<, presste ich mühsam heraus, ohne gleichzeitig auf sie los zugehen. Ich hatte mich wirklich kaum noch unter Kontrolle. >Warum sagst du so etwas?< Vor allem, wenn man bedenkt, dass sie dir extra dafür gefolgt ist...
>Weil es besser ist, wenn du jetzt ausrastest. Denkst du, ich lasse eine tickende Zeitbombe in die Nähe meiner Kinder? Schlimm genug, dass diese Lilia bei uns in der Küche sitzt<
>Was hast du gegen Lilia? Sie hat weder dir noch sonst jemanden etwas getan<
>Das braucht sie auch gar nicht. Wie du sie verteidigst, sagt mir bereits, dass sie es dir angetan hat und das ist in unserer Situation tausendmal gefährlicher. Sie ist eine von denen, William. Eine von denen, die deinen Vater und deine Geschwister auf dem Gewissen haben. Und du bringst sie auch noch zu uns nach Hause!< Bevor mir die Sicherungen durchbrennen konnten, entfernte ich mich ein paar Schritte von ihr und zwang mich dazu, meine Fäuste zu öffnen und tief durchzuatmen. Was auch immer ihr Problem war, ich wollte es wenn möglich friedlich lösen. Auch wenn sie mir es nun wirklich nicht einfach machte.
>Lilia ist auf unserer Seite-< Sofort wurde ich von ihr unterbrochen.
>Das mag sie dir vielleicht vorspielen und ich gebe zu, dass sie das sehr geschickt anstellt, aber mich kann sie nicht täuschen. Ich bin nicht so blind wie meine Mutter und Lucas. Man kann den Magiern aus dem Heim des Königs nicht trauen, erst recht nicht den Sleights<
>Aber du hast doch Reginald bei euch aufgenommen! Er ist auch ein Sleight!<, schrie ich gegen sie an und warf dabei frustriert meine Arme in die Höhe. Das ganze Geschwafel von ihrer Seite aus ergab für mich keinerlei Sinn mehr. Sie schien sich nur von einem Widerspruch in den nächsten zu manövrieren.
>Ist er eben nicht< Perplex sah ich sie an. >Socrate hat ihn verstoßen, als klar wurde, dass Reginald nicht zum Magier geschaffen war. Kein Element zu besitzen, ist mittlerweile normal. Das kümmert niemanden. Aber ein adeliger Magier zu sein, der die einfachsten Beschwörungen nicht hin bekommt und bereits bei den kleinsten Aufgaben in der Schule vor Erschöpfung zusammenbricht? Reginald gilt als Schande des gesamten Sleight-Clans. Und auch deine Mutter hat das damals nicht gestört< Sie schnaubte abfällig. >Sicher, Lucas hat diese Göre geliebt. Hat sie geheiratet und sie die Mutter seiner Kinder werden lassen, aber ich habe ihm von Anfang an von dieser Beziehung abgeraten. Sie - ihr ganzes Wesen - war zu unberechenbar, zu stolz. Sie hat Lucas erst bemerkt, als dieser Socrate in aller Öffentlichkeit herausforderte und versuchte ihn abzusetzen. Erst da hat Papas Liebling Lucas bemerkt, obwohl er das Oberhaupt der Familie Niels war. Obwohl er der einzige war, der neben ihr noch das Feuer-Element beherrschte. Sie war so arrogant und wusste nur zu gut um ihre Schönheit, mit der sie jeden Mann um den Finger hätte wickeln können, wenn sie nur gewollt hätte. Denkst du wirklich, Leana könnte unter Socrates Erziehung als liebevoller, hilfsbereiter Mensch aufwachsen? Pah, das ich nicht lache. Sie hat das Leid ihres jüngeren Bruders erst wahrgenommen, als Lucas sie quasi mit der Nase darauf stießen ließ! Da erst wurde sie nett. Freundlich. Die Person, in die dein Vater sich verliebt hatte. Er war blind vor Liebe für sie. Aber ich habe ihr Schauspiel erkannt, bereits als Lucas sie das erste Mal zu einer Familienfeier mitbrachte. Ich habe ihre Augen gesehen. Habe das Feuer dahinter gesehen und wusste, dass diese Beziehung nicht gut enden konnte. Gerade, da unsere Familie seit jeher mit dem Element des Wassers gesegnet ist. Niemand hat auf mich gehört, auf meine Warnungen. Irgendwann behielt ich es einfach für mich und als Leana dann zusammen mit Jesse und Elena starb, wollte ich Lucas' Trauer nicht noch verschlimmern, in dem ich ihm den Verdacht mitteilte, dass Leana von Anfang an Bericht an ihren Vater erstattet hatte, jede kleine Einzelheit über uns und die anderen Clans außerhalb, und schlussendlich aus Neid von ihrem eigenen Bruder Arnaud umgebracht wurde< Wie vom Donner gerührt stand ich da, sah Anna direkt in die Augen und wollte ihr nicht glauben. Wollte nicht mal die Möglichkeit zulassen, dass sie vielleicht recht haben könnte. Ich wollte so sehr daran glauben, dass meine Mutter eine liebevoller Frau gewesen war, die meinen Vater, meine Geschwister und mich über alles geliebt hatte. Ich musste einfach daran glauben. Sonst wäre ich vermutlich einfach auseinander gebrochen. In winzige, kleine Scherben, die beim ersten Schneefall gänzlich verdeckt worden wären, bis sich irgendwann nicht einmal mehr jemand an meinen Namen erinnern könnte.
Anna schien mir anzusehen, wie sehr mich ihre Worte getroffen hatten. Zumindest setzte sie ihre Hetzrede über Leana nicht weiter fort, obwohl ich ihr ansehen konnte, dass sie das nur zu gern getan hätte. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie viele Worte sie in den vergangenen Jahren zurückbehalten hatte, wie viel sie von ihrer eigenen Meinung allen anderen verschwiegen hatte. Ich wollte es einfach nicht wissen. >Tut mir leid, William. Du kannst nichts dafür. Du hast dir nicht ausgesucht, wie, wann, warum oder von wem du geboren werden würdest. Es ist nicht deine Schuld, ich hätte das alles nicht sagen sollen. Gerade nicht zu dir. Vor allem, weil das alles nur Vermutungen sind...< In diesem Moment, in dem mich eine Stimme tief in meinen Gedanken dazu anstachelte, Anna auf der Stelle umzubringen, da sie das Andenken an meine Mutter so beschmutzt hatte, wurde mir plötzlich bewusst, dass ich noch viel verlorener war, als ich je in Betracht gezogen hatte. Die Familie Sleight wollte mich tot sehen. Meine eigene Familie war mir fremd und ich hatte auch nicht gerade das dringende Bedürfnis, mich besonders mit Anna näher auseinander zu setzen. Oder Ellen, der ich ja so offensichtlich in den letzten Jahren egal gewesen war. Reginald sah in mir wahrscheinlich nur die Möglichkeit, sich an meinen Vater zu revanchieren für dessen Hilfe und Unterstützung in der Vergangenheit. In das Heim des Königs konnte ich nicht mehr zurück, ich würde jeden, den ich dort zu schätzen gelernt hatte, niemals wiedersehen, ohne direkt danach umgebracht zu werden. Auch zu meinen Freunden würde ich keinen Kontakt mehr aufnehmen können, ohne mich sofort ans Messer zu liefern oder sie sogar in diese ganze Scheiße hineinzuziehen. Ich war allein. Zum ersten Mal in meinem Leben verstand ich erst, was das wirklich bedeutete. Du musst nicht alleine sein... gib einfach deinem Drang nach, räche dich an den anderen. Dann kannst du wieder zurück zu deinen Freunden. Du bist mächtiger als Socrate Sleight. Du könntest das vollenden, was dein Vater nicht geschafft hat. Ich wusste nicht, woher diese Stimme kam, ob sie schon immer ein Teil von mir gewesen oder sowas wie meine innere Stimme war, die sich nicht auf meinen Verstand stützte. Sondern nur auf Emotionen. Emotionen, denen ich von Sekunde zu Sekunde mehr nachgeben wollte.
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Die Magier - Der König (pausiert)
FantasyNachdem Lilia Will aus der Gefangenschaft Socrates befreite und zurück in die Stadt, in der er lebte, gebracht hatte, wird Will von Albträumen und Stimmen in seinem Kopf geplagt. Doch damit nicht genug, zusammen mit Lilia ist er auf der Flucht vor S...