Kapitel 27

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Das scharrende Geräusch der Tür ließ mich jäh aus meinen Gedanken auffahren und zum Eingang der Bibliothek blicken. Ich hätte mit Lilia gerechnet, die mal wieder versuchen würde, mit mir ins Gespräch zu kommen, oder vielleicht sogar Richard, der mir wortlos ein Tablett mit Essen entgegen reichen würde, eine stumme Aufforderung und Warnung endlich etwas zu mir zu nehmen. Mit was ich nicht gerechnet hatte, war, eine junge Frau dort stehen zu sehen. Die zudem noch schwanger war.

>Hallo, William. Oder soll ich dich Will nennen?< Ich war viel zu perplex, um auch nur ein Wort aus meinem Mund zu bekommen. Stumm starrte ich sie an, starrte ihr Gesicht an. 

Sie war schön. Wunderschön sogar, wie sie da stand mit einem weißen Wollkleid und brauner Leggings, mich ansehend, als wäre ich genau das, was sie seit Jahren hatte sehen wollen, während sie eine Hand auf ihrem dicken Bauch, auf ihrem Kind, liegen hatte. Sie wirkte nett, auf den ersten Blick total sympathisch. Aber vor allem war sie so jung, dass mein Hirn nicht glauben wollte, dass sie wirklich schwanger war. Sie konnte nicht mehr als fünf Jahre älter als ich selbst sein. Und ich persönlich konnte mir nicht mal vorstellen, mit dreißig Vater zu werden. 

>Du fragst dich bestimmt, wer ich bin<, meinte sie, während sie sich langsam zu Boden sinken ließ, wobei ihr die dicke Kugel merklich im Weg war. Doch bevor ich auch nur auf die Idee kam, ihr zu sagen, wir könnten auch stehen, saß sie bereits, einen tiefen Seufzer ausstoßend, auf dem Teppich. >Man bin ich froh, wenn sie endlich auf der Welt ist< 

>Es wird ein Mädchen?< Ich hatte nicht vor, etwas zu fragen. Oder überhaupt einen Laut von mir zu geben. Im Prinzip schien mein Gehirn überhaupt noch keine Kontrolle über meine Stimme zurück bekommen zu haben. Die Worte purzelten einfach aus mir heraus.

>Wenn du meinen Freund fragst, dann nein. Er glaubt, es wird ein Junge. Übrigens genau wie meine Mutter. Aber so zickig wie es jetzt schon ist, bin ich mir ziemlich sicher, dass es ein Mädchen wird< Ich konnte nach dieser Erklärung einfach nur nicken, während ich zwischen ihrem Bauch und ihren Augen, die ein unfassbar kräftiges Grün besaßen, hin und her sah. >Möchtest du ihn berühren?< Die Frage traf mich so unvermittelt, dass ich sie erst nur anstarren konnte, ohne eine Antwort zu geben. Doch sie schien meine Unsicherheit zu bemerken, schnappte sich deshalb einfach meine Hand und legte sie sanft auf ihrem Bauch.

Ganz schwach konnte ich unter meinen Fingerspitzen einen Herzschlag spüren. Ein neues Leben. Ein Lächeln breitete sich ungefragt auf meinen Lippen aus und ich konnte einfach nicht anders, als meine Fingerspitzen leicht hin und her zu bewegen.

>Ich wollte dich schon seit Jahren kennen lernen< Überrascht sah ich von meiner Hand hoch, in ihr Gesicht, doch sie sah gedankenverloren weiter auf ihren Bauch hinunter. >Als ich erfuhr, dass Grandma uns allen verschwiegen hat, dass sie deinen Aufenthaltsort kennt, war ich unfassbar wütend. Meine Mum auch. Wir konnten einfach nicht fassen, dass sie uns alle jahrelang belogen und dich allein gelassen hat. Mit einfach allem< Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. >Du weißt so wenig von uns, von deiner eigenen Familie, von deinen Eltern... Es muss schlimm gewesen sein in einem Waisenhaus groß zu werden, ohne Verwandte und ganz allein<

>Ich war nicht allein< Sie hob ihren Blick, sah mich an, während ich vorsichtig meine Hand unter ihrer weg zog und sie auf mein Bein sinken ließ. >Ich bin dort nie allein gewesen. Ich hatte Kyle, der mich von Anfang an daran gehindert hat, in ein tiefes Loch zu fallen. Und später dann noch Dani, Nora und ein paar andere. Ich hatte Freunde da. Gute Freunde. Und ich danke es ihnen, indem ich die Magier auf sie hetze, die nicht mal davor zurückschrecken, Kinder zu ermorden< Ich klang erbittert. Als wäre ich bereits weit über die achtzig hinaus und hätte nur Schlechtes in der Welt erfahren. Doch wenn ich daran dachte, und ich hatte es mir verboten das zu tun, wie sehr wohl meine Freunde, die mich versteckt gehalten und mich jahrelang davor bewahrt hatten weggesperrt zu werden, von den Magiern, von Socrates Anhänger in die Mangel genommen wurden, wurde mir ganz schlecht. Ich war ein undankbarer Bastard.

>Weißt du eigentlich wie schwer es ist, zu verstehen, wie jemand der aussieht wie ein Junge, den ich als Kind kannte und der gestorben ist, mit der Stimme seines Vaters reden zu hören?< Verwirrt sah ich sie an, verstand nicht, warum ihre Stimme zitterte, als würde sie am liebsten in Tränen ausbrechen. >Du redest wie dein Vater. Er hat es damals so oft gesagt. Dass er endlich eine eigene Familie hätte, die ihn liebt, und er es ihnen damit danken würde, sie alle in Lebensgefahr zu bringen. Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern, was damals geschehen ist, aber meine Mutter meinte, sie wüsste noch wie Grandpa Lucas deswegen einmal eine rein gehauen hätte. Weil es dumm gewesen wäre, so zu denken und alles auf die eigenen Schultern zu nehmen<

>Wer bist du eigentlich?<, fragte ich sie, denn ich wollte nichts hören, was meinen Vater betraf. Ich wollte nichts von anderen hören, ich wollte es von ihm hören. Und das konnte ich eben nur, indem ich weiter in seinen Tagebüchern las. Woran sie mich gerade hinderte. Perplex sah sie mich kurz an, bevor ihr Blick weich wurde.

>Stimmt ja, du weißt gar nicht, wer ich bin... Ich bin Liza. Dein Vater, Onkel Lucas, er wollte dich damals zu uns bringen, zu meinen Eltern, mir und meinem Bruder Adam. An dem Tag als er starb, wollte er dich zu uns bringen< 

Die Magier - Der König (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt