Das nächste Buch begann nicht mal halb so wütend, wenn nicht gar zynisch, wie das letzte geendet hatte. Nein, es schien eher eine seltsame Mischung aus Resignation und Frustration zu sein. Und aus Gründen, die ich mir nicht erklären konnte, lief mir ein kalter Schauer über den Rücken, je weiter ich las.
„Ich hätte es wissen müssen. Wie konnte ich auch nur einen Moment lang glauben, ich könnte die Magierfamilien, das Heim und vor allem diese absurde Königsverehrung hinter mir lassen? Als würde auch nur irgendjemand zulassen, dass ich mein eigenes Leben leben kann.
Auf den Weg zu Tante Ellen war ich angehalten worden. Obwohl, nein, das ist der falscher Ausdruck dafür. Ich wurde verfolgt, subtil aber nicht vollkommen unauffällig. Sie hatten es darauf abgesehen, dass ich zu ihnen kam und nicht umgekehrt. Und ich Trottel bin ihnen auch noch auf den Leim gegangen.
Ich habe ja schon immer geahnt, dass diese absurde Trennung der Magierfamilien einen Grund haben muss. Einen, der über den einfachen Fakt, dass das Heim des Königs immer noch an besagten König festhält, hinaus gehen muss. Ich meine, Meinungsverschiedenheiten gab es schon immer und sie werden nicht von heute auf morgen verschwinden. Aber, hätte der König nicht schon vor 200 Jahren etwas dagegen unternehmen können? Oder der König davor? Nein, es muss einfach einen anderen Grund geben... und diesen haben mir die „Abtrünnigen" genannt. Ich habe keine Ahnung, warum sie mich nicht einfach umgebracht haben. Ich bin das Oberhaupt meiner Familie, die restlichen Mitglieder befinden sich alle in der Welt der normalen Menschen. Es wäre ein leichtes für sie, alle, mich nun mit einbegriffen, einfach zu töten, sodass der König schlichtweg gar nicht mehr gefunden und gerettet werden könnte, da Socrate und den anderen ein dreizehntes Oberhaupt fehlen würde. Stattdessen haben sie mich jedoch nur beobachtet. Waren mir heimlich hinterher geschlichen. Haben nur darauf gewartet, dass ich das Gespräch mit ihnen suche. Und als ich das schlussendlich auch tat, waren sie mitnichten die furchtbaren Berserker, wie es erzählt wird. Nein, wenn ich es recht bedenke, benahmen sie sich sogar zivilisierter als die meisten Mitglieder im Heim.
Trotzdem habe ich ihnen ihre Geschichte nicht abgekauft. Wer hätte das auch schon? Wir waren Magier, ja. Wir beherrschten die Elemente, ja. Aber selbst unter diesen Voraussetzungen weigert sich irgendwas in mir, daran zu glauben, es gäbe so etwas wie eine Wiedergeburt. Wie soll ich so was denn auch schon glauben? Sie haben keine Beweise dafür, dass der König immer ein und dieselbe Person ist, nur in verschiedenen Reinkarnationen. Und dass dieser ach so schreckliche Magier schon vor tausenden von Jahren, zu Beginn unserer Aufzeichnungen bereits am Leben und obendrein ein Tyrann war? Also bitte, das klingt vielleicht nach einer guten Geschichte, die man verfilmen könnte, aber nach dem realen Leben? Eher nicht.
Und dennoch... ich war noch nie jemand gewesen, der solch eine Aussage einfach so im Raum hätte stehen lassen. Sie wollten, dass ich mich ihnen anschließe, zumindest bis zu dem Punkt, an dem ich leicht aus der Fassung geraten war, weil einer von ihnen in meinen persönlichen Kreis getreten und mir damit viel zu nah an mir dran stand, und sich eine kleine Flamme an meiner Hand bemerkbar gemacht hatte. Ja, dann waren sie auf die glorreiche Idee gekommen, ich könnte doch versuchen, den Magister, sprich Socrate, zu stürzen und die Ansichten der Abtrünnigen unter die „treuen Gefolgsleute des Königs" zu bringen. Bodenloser Schwachsinn. Dafür müsste ich noch das Erd-Element erlernen, und zu diesem hatte ich von jeher keine besonders gute Beziehung, ganz zu schweigen davon, dass ich dafür zurück müsste. Was ich definitiv nicht vorhabe.
Aber darüber nachdenken, nachlesen, das würde ich tun. Ein Buch mehr oder weniger würde mich schon nicht umbringen. Und sie gaben mir Zeit. Zeit zum nachdenken, die ich nun halt dafür benutzen würde, zu recherchieren. Zu recherchieren, ob ihre Geschichte auch nur irgendwie nachweisbar ist. Und wenn es dafür einen geeigneten Ort gab, dann das Anwesen meiner Familie, das immer an den Erstgeborenen weiter vererbt wird und gänzlich von den anderen Magierfamilien abgeschnitten ist. Und die große Bibliothek, die sich dort befindet, wie Tante Ellen mir gesagt hat."
Das war die erste Andeutung dessen, was Ellen und Reginald mir erzählt hatten. Der erste Hinweis zu der Forschung meines Vaters, in Laufe derer er zu einem Verräter am König wurde. Seltsamerweise wühlte mich dieser Umstand nicht halb so sehr auf wie ich es befürchtet hatte. Die schlimmsten Szenarien, wie er auf all das gekommen war, hatte ich mir ausgemalt. Die Verwirrung war groß, keine Frage. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass die anderen Adelsfamilien von sich aus auf ihn zugegangen waren. Aber ich hatte auch nicht damit gerechnet, dass er es ablehnen würde ihnen zu helfen, nur um dann selbst Nachforschungen zu betreiben. Und das mit gerade mal achtzehn, etwas mehr als drei Jahre älter, als ich es im Moment war.
Und überhaupt. Wie sollte er es bitte geschafft haben, etwas über diese Reinkarnation heraus zu finden? Wenn in den letzten Jahrhunderten niemand aus dem Heim des Königs auf Aufzeichnungen gestoßen war, die auch nur irgendwas in diese Richtung andeuteten, wie kam er ausgerechnet auf die Idee, er würde Hinweise finden können? Woher nur hatte er diese Zuversicht genommen? Wie konnte er solch ein Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten haben?
Klar war zumindest, das hatte ich definitiv nicht von ihm geerbt. Ich traute mir ja nicht einmal zu, meine eigenen Emotionen im Griff zu haben. Ganz zu schweigen davon wie ich meine magischen Kräfte unter Kontrolle halten sollte, wenn ich meine Emotionen mal wieder nicht an der kurzen Leine halten konnte. Aber dann auch noch so überzeugt davon sein, ich könnte etwas schaffen, was sonst noch nie jemand geschafft hat? Nein. Das konnte ich nicht. Ich konnte mir nicht mal vorstellen wie es wohl wäre, wenn man dieses Selbstvertrauen hatte.
Und leider war mir nur zu sehr bewusst, dass ich das wahrscheinlich auch niemals würde nachvollziehen können.
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Die Magier - Der König (pausiert)
FantasyNachdem Lilia Will aus der Gefangenschaft Socrates befreite und zurück in die Stadt, in der er lebte, gebracht hatte, wird Will von Albträumen und Stimmen in seinem Kopf geplagt. Doch damit nicht genug, zusammen mit Lilia ist er auf der Flucht vor S...