>Verpiss dich<, knurrte ich wütend. Lilias und Louis' geschockten Gesichtsausdruck bemerkte ich nur am Rande, da meine gesamte Aufmerksamkeit auf Reginald lag. Auf meinem Onkel, dem Bruder meiner Mutter, der mich angelogen hat, was sie betraf. Der einfach gegangen war. Mir nichts über unsere Verwandtschaft erzählt hatte. Der mir nichts von dem Vorwurf gegen Arnaud erzählt hatte. Nichts von meinen Geschwistern. Nichts über Ellen, ihren Kindern und offenbar auch Enkelkindern. Nichts über die Absichten meines Vaters. Kein Wort über die Gräber. Über Socrate und seiner sadistischen Ader. Der mich von vornherein absichtlich im Unklaren gelassen hatte. Über einfach alles.
>Will-<, setzte er an, doch ich weigerte mich auch nur ein Wort, das aus seinem Munde kam, zu hören.
>Nenn. Mich. Nicht. So<, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Zu diesem Zeitpunkt konnte er mehr als froh sein, dass ich nicht auf ihn losging, um ihn halbtot zu prügeln, wofür mir durchaus der Sinn stand. Aber ich wollte nicht, dass Lilia so etwas noch mal sehen musste. Und der kleine Louis brauchte es, wenn es nach mir ginge, niemals zu Gesicht bekommen, wie ich derart die Fassung verlor. >Sprich mich nicht mal an. Ich will nichts von dir hören< Er kam doch wirklich in einer versöhnlichen Geste einen Schritt auf mich zu, obwohl er ja wohl deutlich sehen musste, dass ich nichts von ihm wissen wollte. Deshalb machte ich auch einen Schritt zurück und fasste instinktiv nach Lilias Hand, um sie notfalls hier rauszerren zu können. Im Augenwinkel sah ich wie ihr Kopf zu mir herum fuhr.
>William, beruhige dich doch bitte. Ich kann dir alles erklären-<
>Ach ja?!<, nun schrie ich ihn schon an, doch es war mir egal. Ich war kurz davor wirklich rot zu sehen und hatte keine Kraft dafür über, ruhig zu reden. Ich wollte ihn anbrüllen, während ich ihm mit jedem Wort einen Schlag ins Gesicht verpasste. Nur Lilias Finger, welche sich fest um meine geschlungen hatten, hielten mich davon ab, mich komplett zu vergessen. >Du weißt gar nichts! Oder weißt du, wie es war, halb am verrecken in einem Verlies zu verrotten?! Weißt du, wie es ist, zu erfahren, dass Verwandte deine Mutter und deine Geschwister, von denen du nicht mal was wusstest, getötet haben?! Zu wissen, dass man jahrelang Verwandte hatte, die einen ja wohl offensichtlich nicht haben wollten?!< Es war mir scheißegal, dass ich wirken musste, wie ein vollkommen Verrückter, während ich Reginald immer weiter rhetorische Fragen an den Kopf knallte und Lilias Hand dabei so zerquetschte, dass sie schon kein Gefühl mehr darin gehabt haben dürfte. Aber nicht mal dafür hatte ich auch nur einen einzigen Gedanken übrig. Ich wollte um mich schlagen und da das mit den Fäusten nicht ging, tat ich es mit Worten.
>Jetzt reicht's<, meinte auf einmal Ellen mit einer so autoritären Stimme, dass ich mitten im Wort abbrach. Verblüfft darüber, dass ich sie überhaupt verstanden hatte bei meinem Geschrei, starrte ich sie an, wie sie da neben ihrer Tochter mit in die Hüften gestemmten Händen stand. >In meinem Haus wird niemand bedroht, William Niels. Und anstatt, dass du dich hier so künstlich aufregst, hältst du jetzt mal die Klappe und kommst zusammen mit Reginald und mir ins Wohnzimmer. Keine Wiederrede. Und du solltest vielleicht die Hand der Kleinen los lassen, sonst sterben ihre Finger wegen mangelnder Durchblutung noch ab< Ich bemerkte selbst, dass ich sie mit tellergroßen Augen anglotzte, während sie ins Wohnzimmer so würdevoll schritt, als wäre es der rote Teppich bei einer Filmpremiere, doch ich konnte nicht anders. So eine Ansage hatte ich schon lange nicht mehr von jemandem bekommen. Es schien fast so als wäre es wirklich ein Stück weit meine Familie. Das ist sie aber nicht. Weil sie dich lieber im Waisenhaus haben schmoren lassen..., höhnte eine leise Stimme in mir. Und obwohl ich wusste, dass diese Stimme recht hatte, konnte ich mich nicht gegen den Familie-Gedanken wehren. Als wäre es ein angeborener Reflex auf Ellens Stimme zu hören, ließ ich Lilias Hand los.
>Hab ich dir weh getan?<, fragte ich sie, beobachtete allerdings immer noch Reginald aus den Augenwinkeln. Ich hätte ihm immer noch gerne eine reingesemmelt.
>Nein. Mach dir keinen Kopf und rede mit ihnen. Ob du es willst oder nicht, sie sind deine Familie und sie haben mehr Zeit mit deinen Eltern verbracht als du. Ich würde alles dafür geben, alles über meine Mutter zu erfahren, ohne dabei angelogen zu werden. Finde heraus, wie sie wirklich waren. Ich warte solange hier<, meinte sie, woraufhin ich sie sprachlos ansah. Ich wusste nicht, ob ich sie trösten oder einfach hinter Ellen her gehen sollte. Sie tat mir leid. Ihre Mutter musste sterben, weil sie ihre Tochter beschützen wollte. Vor der Auswahl. Vor dem König. Davor in einem Leben gefangen zu sein, welches Lilia sich nicht hatte selbst aussuchen dürfen. Ich hatte keine Ahnung, wie man damit umgehen sollte, dass der Tod der eigenen Mutter vollkommen umsonst gewesen war, weil man letztendlich genauso geendet war, wie sie hatte verhindern wollen. Ich wusste nicht, ob man sich schuldig fühlte. Ob Lilia sich schuldig fühlte. Ob sie Hass gegenüber ihrem Vater empfand, da dieser ihre Mutter umgebracht hatte. Ob sie zu Hass überhaupt fähig war. >Sieh mich nicht so an, Liam<
>Was meinst du?< Sie legte ihren Kopf schief und lächelte traurig zu mir hoch. Komischerweise fiel mir erst jetzt auf, dass sie eineinhalb Köpfe kleiner als ich war.
>Du siehst aus, als würde jede einzelne deiner Zellen gerade Mitleid für mich empfinden. Und das will ich nicht. Bisher warst du der einzige, der mich vollkommen normal behandelt hat, ich will nicht, dass das durch Mitleid ersetzt wird< Ich wusste, ich sollte jetzt etwas sagen. Ich wollte etwas sagen. Aber mir fehlten die Worte, wie sie mir so oft fehlten, wenn es wirklich darauf ankam. Deshalb nickte ich nur. >Gut und jetzt beweg dich schon. Man lässt freundliche, alte Damen nicht warten< Sie zwinkerte mir zu, was mir, trotz dieser unmöglichen Situation, ein kurzes Auflachen entlockte. Freundliche, alte Dame..., dachte ich amüsiert und bewegte mich auf die Wohnzimmertür zu, neben der immer noch Reginald stand. Schweigend hatte er Lilias und mein Gespräch mitverfolgt und sah mich nun mit einem undefinierbaren Blick an.
>Lass es uns hinter uns bringen<, meinte ich, woraufhin er kurz nickte und mir dann zu Ellen Niels folgte.
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Die Magier - Der König (pausiert)
FantasyNachdem Lilia Will aus der Gefangenschaft Socrates befreite und zurück in die Stadt, in der er lebte, gebracht hatte, wird Will von Albträumen und Stimmen in seinem Kopf geplagt. Doch damit nicht genug, zusammen mit Lilia ist er auf der Flucht vor S...