20.

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Und jetzt liege ich in einem dreckigen Graben, neben Tommy und schieße auf einen anderen Graben, den ich aufgrund des aufwirbelnden Staubes nicht einmal richtig sehen kann. Seit gestern habe ich weder gegessen, noch geschlafen. Mein ganzer Körper sticht vom Muskelkater und allein die Augen offen zu halten kostet mich quasi alles an Kraft, was ich noch habe. Ich bin kurz davor einzuschlafen, als ich Tommy meinen Namen schreien höre. Sofort bin ich wieder hellwach. Seine Waffe klemmt und ein französischer Soldat ist aus dem Graben gekommen und rennt auf ihn zu. Ohne lange zu überlegen hebe ich meine Waffe an, ziele auf ihn und drücke ab.

Ich dachte immer, es wäre nur ein Klischee, doch die folgenden Sekunden sehe ich tatsächlich wie in Zeitlupe.

Wir meine Kugeln den Soldaten in den Kopf trifft. Wir er seine Augen aufreißt und mich ansieht. Wie das Blut auf der anderen Seite von seinem Kopf austritt, bevor er umfällt.
Er fällt nach hinten, seine Hand hält die Waffe, mit der er Tommy töten wollte, immernoch umfasst.

Der erste Mensch, den ich bewusst getötet habe. Es ist nicht wie auf einen Graben zu schießen. Ich habe nicht gewusst, ob oder wen ich getroffen habe. Doch dieses Mal konnte ich direkt in sein Gesicht sehen.
In meinem Kopf spielen sich Szenen ab, wie er nachhause kommt. Ein schönes Einfamilienhaus mit Garten, eine junge Frau die ihm die Tür öffnet, mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm, die ihre Arme ausbreitet und "Papa" ruft.
Die Szenen verschwimmen. Das gleiche Haus mit dem Garten, nur dass die junge Frau dieses Mal zwei Soldaten die Tür öffnet. Sie beginnt zu weinen als der Soldat ihr die Nachricht überbringt. ".. von einem Deutschen erschossen."  Das kleine Mädchen kommt zu ihr, ebenfalls weinend, fragt sie wann Papa wiederkommt.

Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn Tim dieser Mann gewesen wäre, oder Tommy. Wie groß mein Hass auf seinen Mörder gewesen wäre. Wie groß der Hass von seiner Familie, seinen Freunden jetzt auf mich sein muss.
Ich lasse meine Waffe fallen. Ich mach das nicht mehr.

Das Summen des Schusses immer noch in meinen Ohren, stehe ich weiterhin einfach nur da. Tommy kommt auf mich zu gekrochen. "John, runter !" zischt er und drückt mich nach unten, in Deckung. "Danke" flüstere ich, woraufhin er mich verdutzt ansieht. "Danke ? Ich muss dir danken, du hast mir das Leben gerettet." Er klopft mir auf dir Schulter. "Tommy ich kann das nicht. Der Mann den ich erschossen habe, er hatte bestimmt Familie. Ich kann nicht mehr töten." Er sieht mich an. "John, sieh dich mal um. Denkst du irgendjemand hier will das ? Glaubst du wir sind freiwillig hier ? Wenn du hier je wieder weg willst musst du das machen! Schieß einfach wieder auf den Graben, dann siehst du nicht ob du jemanden tötest." Er wendet sich ab und hantiert weiter an seiner Waffe. Als er bemerkt, dass ich immer noch nicht schieße, dreht er sich zu mir und ruft mir zu: "John, mach schon!" Genau in dem Moment, fallen grade überhaupt keine Schüsse und meterweit hört man, dass Tommy gerufen hat. Dadurch bemerken einige andere Soldaten, dass etwas nicht stimmt. Ich will grade zurückrufen, als ein Franzose genau auf mich zu gerannt kommt. Jetzt heißt es wohl er oder ich.

Tommy versucht panisch seine immer noch klemmende Waffe zu lösen, aber er schafft es nicht schnell genug.
Ich lasse meine Waffe fallen. Ich werde nicht mehr töten.
Doch in dem Moment, in dem ich mich entscheide, schießt irgendwo aus dem Graben jemand auf den auf mich zu kommenden Franzosen, trifft ihn ins Bein und er fällt..
Meine erste Intuition ist es ihm zu helfen. Ich habe andere Leute seines Landes getötet, ich kann wenigstens versuchen, das wieder gut zu machen. Ich krieche auf Tommy zu. "Tom ? Ich will dem Soldaten dort helfen. Du weißt, dass du mich eh nicht aufhalten kannst. Wenn du ein guter Freund bist, versuchst du es auch nicht. Ich wollte mich aber verabschieden und dir noch viel Glück wünschen, falls das nicht funktioniert." sage ich schnell. Ich rechne mit vielem als Antwort, doch nicht mit dem was tatsächlich passiert. Er nimmt mich in dem Arm. "Du bist der verrückteste Mensch den ich kenne." Dann löst er sich wieder von mir. "Viel Glück Bruder." Ich lächle ihn an und er presst seine Lippen aufeinander, versucht ebenfalls ein Lächeln. Dann entferne ich mich ein Stückchen von ihm und suche den Platz, von dem ich am schnellsten zu dem Soldaten komme.
Kurz bevor ich losrennen will, sehe ich noch einmal zu Tommy. Er sieht mich ebenfalls an, dann hebt er eine Hand. Erst verstehe ich nicht, was er mir sagen will doch dann nimmt er einen Finger nach dem Anderem runter und ich nicke ihm zu, als Zeichen dass ich verstanden habe. Er zählt einen Countdown runter, für mich zum losrennen. Obwohl ich nicht weiß, was er vorhat, mache ich mich bereit. Ich würde ihm blind vertrauen. Als nur noch ein Finger oben ist, nickt er mir kurz zu und wirft dann eine Handgranate aufs Feld, die dafür sorgen soll alle für einen kurzen Moment abzulenken. Genau dann renne ich los.
Der Mann liegt auf dem Rücken, mit dem Kopf zu mir. Ich sehe sein Gesicht nicht, da es durch den Helm verdeckt ist. Aus der Schusswunde an seinem Bein ist schon eine Menge Blut geflossen.
Ich greife unter seine Arme und schleife ihn bis zur Kante von unserem Graben. Dann versuche ich, ihn vorsichtig in den Graben zu ziehen, doch es misslingt mir und er stöhnt vor Schmerz auf. Ich zucke zusammen. Dieses Stöhnen habe ich so oft gehört..

Bernsteinbraun [BoyxBoy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt