16.

417 21 3
                                    

Als ich endlich aus dem Krankenhaus entlassen werde, habe ich von Tim immer noch nichts gehört. Fast einen Monat lang sehen wir uns nicht. Als ich dann wieder in die Schule gehe, spüre ich schon die ganzen Blicke auf mir. Es war klar, dass sich mein Selbstmordversuch rumsprechen wird. Trotzdem ist es unangenehm, das alle mich ansehen.
Tommy kommt auf mich zu. "John, Hey.. Gut, dass du wieder da bist." Er umarmt mich kurz und legt dann seine Hand auf meine Schulter. "Weißt du ob Herr Rickmann da ist ?" Er sieht mich mit gerunzelter Stirn an. "Denke schon, gestern war er da. Warum ?" Ich zucke mit den Schultern. "Hab gehört er hat mich gefunden, wollte mich bei ihm bedanken." antworte ich gleichgültig, obwohl es mir eigentlich alles andere als egal ist. "Ich gehe mal ins Sekretariat, nachfragen." "Soll ich mitkommen ?" Ich schüttele den Kopf. "Nein Nein, alles gut. Danke Tommy." Ich lächle ihn an und betrete dann das Schulgebäude. Im Sekretariat angekommen, wende ich mich an die Frau, die mich von ihrem Tisch aus freundlich anlächelt. "Guten Morgen, äh, ich wollte fragen ob sie zufällig wissen wo Herr Rickmann grade-.." In dem Moment kommt Tim zur Tür rein, sieht mich; und geht wieder raus. Augen rollend laufe ich ihm hinterher. "Herr Rickmann ?" Er geht weiter. "Herr Rickmann ?" sage ich nun etwas lauter. "Ernsthaft Tim ?" sage ich schließlich noch lauter und bleibe stehen. Er dreht sich um und kommt zu mir. "Du sollst mich in der Schule nicht Tim nennen, ich kann meinen Job verlieren wegen so etwas." sagt er leise, dreht sich um und geht wieder. Ich laufe ihm weiter hinterher. "Mein Gott, es tut mir Leid. Können wir nicht ganz normal darüber reden ?" Frage ich ihn, doch er ignoriert mich wieder.

-

Nach der Schule laufe ich zu Tim's Haus. Da er ein Auto hat müsste er schon eine Weile da sein. Ich klingele und er öffnet kurz darauf die Tür, sieht mich und will sie wieder schließen. "Nein Tim, das wirst du nicht tun." Ich drücke ihn weiter ins Haus und mich durch die Tür, bevor ich diese schließe. "Was ist los mit dir ? Es tut mir wirklich Leid, dass ich mich umbringen wollte. Aber warum bist du so ?" frage ich mit ernster Stimme. Er seufzt und geht ins Wohnzimmer. Ich ziehe schnell meine Schuhe aus und folge ihm. Eine ganze Weile lang sagen wir beide nichts, bis ich vorsichtig nachfrage: "Tim?" Woraufhin er laut wird. "Ich weiß es nicht, ok ? Ich hab keine Ahnung warum ich so bin. Vielleicht bin ich einfach sauer, dass du mich in dem Glauben gelassen hast, dass es dir besser geht obwohl es das nicht tat. Du hättest zu mir kommen können, du hättest mit mir reden können ! .. Vielleicht bin ich aber auch einfach eifersüchtig, weil du die Chance hattest dich zu verabschieden. Weil du weißt, dass Louis irgendwo in England ist, glücklich werden kann, ein Leben hat .." Er schluckt kurz und ich sehe, dass seine Augen glasig werden, doch er weint nicht. Stattdessen stützt er seinen Kopf in seine Hände. "Du hast mir nie erzählt wie Marie gestorben ist." stelle ich leise fest. "Keine schöne Geschichte." antwortet er knapp. Ich habe ihm so gut wie alles über Louis und mich erzählt, er kennt fast jede Geschichte. Ich weiß auch eine Menge über ihn und über Marie, aber nichts über ihren Tod. "Du musst nicht darüber reden, Tim. Aber- .." Er seufzt. "Nein äh.. Ich sollte.. Ich sollte es dir vielleicht wirklich erzählen."
Er atmet hörbar aus, bevor er beginnt.
"Wir saßen im Auto auf dem Weg zu ihren Eltern. Wir hatten ihnen etwas zu erzählen und das wollten wir einfach nicht über's Telefon machen. Wir waren beide so glücklich in dem Moment. Sie ist gefahren, unser Hochzeitslied lief grade im Radio, die Sonne hat geschienen. Es war ziemlich kitschig." Er lächelt kurz, bei der Erinnerung daran. "Dann passierte alles ziemlich plötzlich. Ein Auto von der Gegenfahrbahn hat auf einmal scharf nach Links gelenkt und ist direkt in die Fahrerseite von unserem Auto gefahren, Marie hat geschrien, unser Auto hat nach rechts gelenkt, ist an einem Baum zum Stehen gekommen. Mein Kopf ist gegen das Amaturenbrett geknallt, die Airbags sind aufgegangen. Ich habe sofort zu ihr gesehen, doch sie war weg. Ihre Autotür war rausgerissen und überall war Blut. Bevor ich ohnmächtig geworden bin, hab ich nur noch ihre abgetrennten Beine im Fußraum vor ihrem Sitz liegen sehen.
Als ich im Krankenhaus aufgewacht bin, war sie schon seit Wochen tot. Ihre Familie wusste nicht wann ich aufwachen würde, oder ob.. Also haben sie sie bereits beerdigen lassen. Ich konnte mich nicht von ihr verabschieden, sie war einfach plötzlich weg, wie als hätte es sie nie gegeben.."
Ich traue mich fast nicht zu fragen, doch ich muss es einfach wissen. "Was-.. was war es, dass ihr ihren Eltern sagen wolltet ?"
"Sie war schwanger." Ich nicke langsam, genau das habe ich gedacht. "Und was ist mit dem Baby passiert ?"
"Sie haben ihren Körper noch ins Krankenhaus gebracht, versucht es zu retten. Aber es war erst drei Monate alt. Es hat auch nicht überlebt. Wir hatten grade erst herausgefunden, dass sie ein Kind bekommt. Wir waren so glücklich. Ich habe sie so sehr geliebt."

Bernsteinbraun [BoyxBoy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt