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Etwa ein halbes Jahr vor meinem achtzehnten Geburtstag beginnt Louis sich komisch zu verhalten. Er sieht mich nicht mehr an, ist die ganze Zeit abweisend. Ich sehe ihm förmlich an, dass er versucht etwas vor mir zu verstecken, aber ich sage nichts.
Wir sitzen uns auf meinem Bett gegenüber, er im Schneidersitz, den Blick starr nach unten auf seine Hände gerichtet. Ich würde ihn so gern in den Arm nehmen, versuchen ihm irgendwie zu helfen, aber ich habe Angst etwas falsch zu machen. Schließlich hebt er seinen Kopf und sieht mich an. Erst jetzt sehe ich, dass er geweint hat. "Wir müssen reden .." sagt er leise. In meinem Kopf spielen sich tausend verschiedene Szenarien ab: "Ich habe dich betrogen", "Ich liebe dich nicht mehr", "Ich bin krank" Mein Magen zieht sich zusammen, während ich ihn ansehe und darauf warte zu erfahren, was er mir verheimlicht. "Wir ziehen weg, nach England." sagt er schließlich und ich brauche eine Weile um zu realisieren, was das heißt. "Nein" Ich schüttele meinen Kopf, "Nein, Nein, Nein, Nein, Nein, Nein." Ich will hier weg. Ohne wirklich zu wissen was ich tue stehe ich auf und stolpere die Treppe runter nach draußen, renne fast meine Mom um, die mir fragend hinterher sieht. Wie als könnte ich vor der Tatsache weglaufen, dass ich ihn verliere, renne ich weiter. Weg von unserem Haus, raus aus unserer Straße, immer weiter und weiter, bis ich schließlich nicht mehr weiß wo ich bin. Meine Lunge brennt wie Feuer und meine Beine sind so weich, dass ich schließlich nachgebe und mich in das nasse Gras am Straßenrand irgendeines Weges auf die Knie fallen lasse. Erst jetzt merke ich wie übel mir ist, fasse mir an den Bauch, versuche zu würgen. Die Tränen, die sich in meinen Augen ansammeln verhindern meine Sicht, meine Hände verschwimmen vor meinen Augen und ich lasse mich auf die Seite fallen, spüre wie die Nässe des Grases sich durch meine Kleidung frisst. Ich spüre die Kälte nicht, aber ich zittere. Ich weiß nicht wie lange ich hier schon so liege, aber ich habe kein Verlangen danach jemals wieder aufzustehen.


*Person of view - Louis*

Kurz nachdem John aus dem Raum läuft, stehe ich auf und folge ihm. Aus Angst, er könnte irgendetwas Dummes anstellen. Wenn er sauer oder verzweifelt ist, rastet er manchmal aus und hat sich nicht unter Kontrolle, verletzt sich teilweise selbst. Ein paar Mal verliere ich ihn fast aus meinem Sichtfeld, finde ihn aber kurz darauf immer wieder. Ich renne so schnell ich kann, schaffe es trotzdem nicht ihn einzuholen. Er war schon immer der Schnellere von uns beiden. Als ich ihn erneut nicht mehr sehen kann, bleibe ich stehen. Er ist in diese Straße reingerannt, hundertprozentig. Doch so weit ich gucken kann ist er nirgendwo zu sehen. Ich will nicht einfach stehen bleiben, also laufe ich weiter. Schließlich sehe ich ihn hinter einem Baum im Gras liegen. Sofort werde ich wieder schneller. Ist ihm etwas passiert ? Als ich bei ihm ankomme werfe ich mich auf die Knie und ziehe ihn an meine Brust. "Lou ?" fragt er leise. Ich streiche vorsichtig einige seiner dunkelblonden Strähnen aus seiner Stirn. "Ja, ich bin hier. Was ist passiert ? Hast du dir weh getan ?" Er schüttelt den Kopf und ich atme erleichtert aus. "Du hast mir einen riesengroßen Schreck eingejagt, Baby." sage ich anschuldigend und ziehe ihn noch ein Stück hoch um ihn richtig in den Arm nehmen zu können. Eine ganze Weile sagen wir beide nichts, dann bricht er das Schweigen: "Wann ?" Ich bin leicht verwirrt. "Wann was ?" "Wie lang habe ich dich noch bei mir ?" Ich zögere eine Weile, bevor ich antworte. "Komm, wir sollten nach Hause." sagen ich vorsichtig, stehe auf und ziehe ihn mit hoch. "Wie lange, Louis ?" fragt er jetzt lauter. "Zwei Wochen .." antworte ich leise, doch laut genug für ihn um es trotzdem zu verstehen. Er reibt seine Augen, will sich wieder auf den Boden fallen lassen, doch ich hindere ihn daran, indem ich ihn fester in den Arm nehme. Wieder bleiben wir eine ganze Weile in dieser Position, bis ich mich langsam von ihm löse und seine Hand nehme. "Komm, gehen wir zurück." Er nickt leicht und ich setze mich in Bewegung, ziehe ihn mit. Nachdem wir eine Weile umherlaufen und nach Straßen suchen die wir kennen, finden wir einen Weg zurück und stehen schließlich vor meiner Haustür. Ich klingele, da ich meinen Schlüssel vergessen habe und mein Vater öffnet die Tür. Erst sieht er uns an, als wäre er sauer, wahrscheinlich weil wir so lange weg waren ohne jemandem Bescheid zu sagen und John's Mutter sich Sorgen gemacht hat. Doch dann sieht er in unsere Gesichter und bleibt stumm. "Du hast es ihm erzählt, hm ?" wendet er sich dann an mich und ich nicke. Ohne ein weiteres Wort ziehe ich John nach oben, streife ihm seine Schuhe und sein klitschnasses Shirt ab, bevor ich ihm seine ebenfalls komplett durchnässte Hose und Boxer aus- und eine frische von meinen anziehe. Das gleiche mache ich mit mir und dann lege ich mich zu ihm unter die Decke, wo er sich von hinten an mich kuschelt. "Wir sollten schlafen, morgen ist wieder Schule." flüstere ich in mein Zimmer. "Nein" sagt er bestimmt. "Wenn ich dich nur noch zwei Wochen bei mir habe, werde ich keine Sekunde davon an Schule verschwenden."

Bernsteinbraun [BoyxBoy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt