Bernsteinbraun [BoyxBoy]

11.

Schon als ich durch die Haustür ins Tims Flur trete höre ich den Fernseher. "Komm dann einfach ins Wohnzimmer, ich geh schon vor, grade laufen Nachrichten." begrüßt er mich, bevor er schnell wieder ins Wohnzimmer verschwindet. Nachdem ich meine Schuhe und Jacke ausgezogen habe folge ich ihm dorthin und setze mich auf meinen gewohnten Platz auf der Couch.

"... während sich die Unstimmigkeiten zwischen Deutschland und Groß Britannien weiter ausweiten. Heute töteten in England deutsche Attentäter zwölf englische Jugendliche auf offener Straße in Canterbury, nahe der Hauptstadt London. Die fünf illegal eingereisten Deutschen überfielen die Jugendlichen und stachen mit Messern auf sie ein, dann flüchteten sie. Zwölf Opfer starben, zwei liegen mit lebensgefährlichen Verletzungen im Krankenhaus. Das jüngste Todesopfer war grade einmal 15 Jahre alt. Von den Tätern fehlt bislang jede Spur.

Der, nun ehemalige, Verteidigungsminister von England ist nun endgültig zurückgetreten. Vorerst wird sein Vertreter Anthony Terness ihn vertreten, bis ein neuer Minister entschieden werden kann. Ob Terness dieser neue Minister sein wird, ist noch unklar.

Auch weiterhin verbietet die Regierung jeden Kontakt, per Post, Internet, Telefon und jeglichen anderen Medien zwischen England und Deutschland. Ein Pressesprecher gab heute Mittag bekannt, dass in den nächsten Stunden das Einreiseverbot offiziell gemacht und somit in Zukunft gar kein Kontakt zwischen den beiden Staaten mehr möglich sein wird.

Das waren die Nachrichten um 17 Uhr. Kommen wir zu Britta Schulz mit dem Wetter.."

Ich sehe Tim an, der sich mit den Händen übers Gesicht fährt. "Tim ?" "Mhm ?" "Warum ist das so wichtig ?" frage ich, da er in letzter Zeit, alles verfolgt was in den Nachrichten gesagt wird. Natürlich ist er als Geschichts- und Geographielehrer auch an Politik interessiert, doch in letzter Zeit ist er noch interessierter daran. "Deutschland hat jetzt endgültig aufgehört an England zu liefern und England hat daraufhin auch jegliche wirtschaftliche Verbindung zu Deutschland abgebrochen. Diese ganze Auseinandersetzung schaukelt sich langsam ganz schön hoch." Ich verstehe nicht ganz. "Und was heißt das jetzt ?" Er seufzt. "Das heißt, dass wir darauf gefasst sein müssen, dann die Soldaten aus der Bundeswehr bald nicht mehr in den Süden geschickt werden, sondern nach England. Was so viel heißen soll wie Krieg." Ich denke kurz nach. "Und das betrifft uns in wiefern ?" "Uns betrifft das nicht weiter, wir müssen eventuell auf einige Produkte verzichten, die wir aus England bekommen würden, aber sonst.. Trotzdem, ich dachte wir sind besser als so was. Das ist doch Schwachsinn. ... Aber egal, genug von Politik, wie geht es dir ?"
Ich zucke mit den Schultern. "Naja.. Nicht besser, aber auch nicht schlechter, denke ich." Er nickt langsam und ich stehe auf, gehe in die Küche und komme mit zwei Flaschen Bier wieder, von denen ich eine Tim reichen will. Das wir Abends Bier trinken ist irgendwie eine Art Gewohnheit geworden, er hat auch nie was dagegen gesagt, doch jetzt nimmt er mir beide Flaschen aus der Hand, statt einer. "John, du warst heute in der Schule betrunken, um acht Uhr morgens. Du bist grade erst wieder nüchtern und willst jetzt schon wieder anfangen ? Du bist noch nicht mal volljährig !" Ich zucke mit den Schultern. "Ich kann nachts nicht schlafen und .. Man, keine Ahnung, ich- .." Ich würde so gern einfach alles erzählen, darüber reden und mir helfen lassen, aber das kann ich mit Tim nicht machen.
Er sieht mich an, wie als würde er meine Gedanken lesen. "Hey, du kannst mit mir reden, das weißt du, oder ? Deshalb hatte ich dir meine Adresse ja gegeben." Ich nicke langsam, bevor ich anfange ihm alles zu erzählen. Das ich Schlafprobleme habe, dass ich ständig an ihn denken muss, dass ich versuche meine Gedanken dann ihn in Alkohol zu ertränken, dass ich deswegen fast jede Nacht betrunken nachhause komme, dass ich das schon seit Monaten mache, dass ich nicht mehr esse, dass sich meine Eltern Sorgen um mich machen und ich sie nicht noch mehr verletzen will. Ich vertraue ihm alles an, er unterbricht mich nicht, bis ich fertig bin. Dann sagt er etwas anderes, als ich erwartet hatte. "Ich werde kurz deine Eltern anrufen, warte hier, ok ?" Ich brauche einen Moment um zu realisieren, was er meint. "W-was ? Nein! Das kannst du nicht machen. Tim!" Warum habe ich ihm auch vertraut ? Ich laufe ihm nach, doch er ist längst mit dem Telefon im Schlafzimmer verschwunden und hat die Tür hinter sich verriegelt. Also gehe ich zurück ins Wohnzimmer und lasse mich wieder auf die Couch fallen. Meine Eltern wissen nicht wie schlimm es ist. Wenn er jetzt mit ihnen redet und ihnen alles erzählt .. Was wenn sie sich die Schuld geben ? Ich hasse Tim in diesem Moment grade so sehr. Er hat keine Ahnung was er meinen Eltern antut..
Nach kaum zwei Minuten kommt er aus dem Zimmer zurück und legt das Telefon weg. "Was haben sie gesagt ?" frage ich leise. "Sie waren einverstanden." antwortet er und ich sehe ihn fragend an. "Ich habe ihnen gesagt, dass sie sich keine Sorgen machen sollen, dass du nachts nicht nach Hause kommst, weil du heute bei mir schläfst." Er lächelt mich lieb an. "Oh" "Du dachtest wirklich ich rede mit ihnen über das was du mir gerade erzählt hast ? Ich hab dir versprochen, dass du mir vertrauen kannst; und dass kannst du." Ich sehe ihn eine Weile an, bevor ich ihn kurz dankbar anlächele. "Heute Nacht bleibst du nüchtern und ich meine komplett-0,00-Promille-Nüchtern. Du kannst auf dem Sofa schlafen, ich hole dir nachher Bettzeug und morgen fahren wir vor der Schule zu dir um deine Schulsachen zu holen, ok ?" Ich nicke langsam. Wann war ich das letzte Mal eine Nacht lang nüchtern ?