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Ich sehe in Tommys erschrockene Augen. "Du auch ?" Ich nicke leicht. "Verdammt, Tommy." Ich setze mich neben ihn auf die schmale Bank und stütze meinen Kopf in meinen Händen ab. "Tut mir so Leid, dass sie dich erwischt haben, man.." murmelt er. Ich lache ironisch auf. "Dass sie mich haben, ist mir egal. Was ich schlimm finde ist, dass du geholt wurdest." Er sieht mich an. "Du gibt echt einen Fick auf alles und jeden, oder ?" Ich schüttele langsam meinen Kopf, hole das Bild von Louis aus meiner Tasche und gebe es ihm. "Nicht auf jeden.."

Wir reden während der gesamten Fahrt. Nicht über das kommende, sondern über alles mögliche: Schule, Familie, Gerüchte, worüber wir sonst auch reden würden. Dafür ernten wir von einigen anderen Männern verständnislose Blicke, die wir jedoch einfach ignorieren. Alles was wir bis jetzt wissen, ist das wir in ein Camp kommen wo wir in ein paar Tagen das Wichtigste lernen sollen was wir wissen müssen und dann werden wir in Frankreich stationiert. Das heißt ich komme trotzdem nicht mal in die Nähe von Louis.

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Hinter uns liegen ekelhafte Tage. Ich bin so froh, dass ich nicht allein bin, sondern Tommy bei mir ist. Wir beide schlafen in einem 5x6 Meter großen Raum, zusammen mit 17 anderen Leuten. Es ist klein, die Luft ist schlecht und es riecht schrecklich. Am Anfang waren noch alle 20 Betten in dem Raum belegt, mittlerweile sind wir nur noch 17 in unserem Zimmer. Drei Männer haben sich verstümmelt um nicht in den Krieg zu müssen, einer von ihnen ist dabei gestorben. Einen Tag vorher habe ich mich mit ihm kurz unterhalten. Er wollte versuchen nach Hause zu kommen um für seine hochschwangere Freundin da zu sein..

Jetzt sind wir auf dem Weg nach Frankreich. Ich weiß nicht wie ich darüber denken soll. Es ist unwichtig für mich, ob ich sterbe. Ich habe beschlossen mein Leben für Tommy zu geben, falls ich kann. Er hat ein Leben zuhause. Ich habe ihm nichts davon erzählt, er würde es mir eh nur ausreden wollen. Das Fahrzeug, auf dem wir sitzen, hält. "Ab hier geht es zu Fuß weiter. In etwa fünf Kilometern kommen die ersten Graben. Abmarsch !" ruft unser Ausbilder, bevor wir aussteigen und er mit dem Auto zurückfährt. "Ein Grabenkrieg also.. Super." flüstere ich Tommy ironisch zu, doch er geht nicht darauf ein.

[Als Grabenkrieg bezeichnet man eine Form des Stellungskrieg, bei dem die beiden Fronten ein System aus Schützengräben und Laufgräben haben. Aus den Schützengräben feuern sie dann gegenseitig aufeinander ein. Grabenkriege sind meist sinnlos und aussichtslos, weil sie nur daraus bestehen die Gegner zu töten und keine der beiden Parteien weiter vordringen kann.]

Ich sehe ihn an, spüre wie er immer nervöser wird. Von weitem kann man schon Schüsse hören. In der Ausbildung haben sie uns zwar gesagt, nie die Hände von der Waffe zu nehmen, doch mein bester Freund geht einfach vor. Ich löse meine rechte Hand von der Waffe und nehme damit seine linke. Er zuckt zusammen, ich spüre seinen Puls durch seine Handfläche pochen. Er sieht mich mit schwachem Lächeln an und drückt meine Hand dankbar. Ich streiche mit meinem Daumen über seinen Handrücken, versuche ihn irgendwie zu beruhigen. "Und du hast gar keine Angst ? Nichtmal ein bisschen nervös ?" fragt er leise. "Ehrlich gesagt, Nein. Ich habe Angst um dich und um Tim, um mich mach ich mir keine Sorgen." Ich zucke mit den Schultern. "Was ist mit Louis ?" Bei seinem Namen zucke ich zusammen. "Ich liebe ihn immer noch mehr als alles andere. Also klar mach ich mir Sorgen um ihn."
Tommy schluckt. "Eigentlich meinte ich was anderes.. Was denkst du würde er davon halten, wenn er wüsste wie du über dein Leben denkst und das du es wegwerfen willst ? Glaubst du er fände es gut, wenn du sterben würdest ?" Ich weiß nicht was ich dazu sagen soll, bin zu überfordert in diesem Moment. "Siehst du.." flüstert er. "Versuch am Leben zu bleiben, für Louis."
"Ich-ich hab ihn seit einem Jahr nicht mehr gesehen. Zeit heilt doch Wunden, oder nicht ? Vielleicht hat er schon jemand Neuen gefunden, ist wieder glücklich. Er war ja erst 15 als wir uns getrennt haben. Ich meine du weißt genau, wie er ist, wer sollte ihn nicht wollen ? Er ist unglaublich! Ausserdem kann es doch sein, dass er gar nicht sicher schwul ist. Vielleicht steht er ja auf Frauen oder ist bi-.." bevor ich weiterreden kann bekomme ich eine Backpfeife von Tommy mitten ins Gesicht. Die Soldaten um uns rum reagieren sofort und wollen auf uns zukommen, aber wir machen ihnen per Handzeichen klar, das alles in Ordnung ist. "Louis hat dich geliebt, John. Dass was ihr hattet kann man gar nicht so schnell vergessen ! Glaubst du wirklich Louis könnte das so schnell ? Dafür sind seine Gefühle für dich viel zu stark gewesen, das hat man ihm angemerkt. Das was ihr beide hattet war was ganz besonderes und das weißt du auch."

"Aber .." setze ich an. "Kein aber" unterbricht er mich. Eine ganze Weile laufen wir schweigend nebeneinander her, bis ich die Stille breche. "Danke."

Die Schüsse werden lauter und uns wird gesagt, dass wir uns bereit machen sollen.

Ich weiß, ich sollte Angst haben. Ich weiß, ich sollte mehr Respekt gegenüber der kommenden Situation haben. Ich weiß, es wird so grausam, dass ich mich wahrscheinlich nie wieder davon erholen werde. Aber ich kann einfach nicht ängstlich an die Sache rangehen. Ich laufe hier lang, buchstäblich in den Tod und ich bin trotzdem entspannt. Wobei man entspannt nicht wirklich sagen kann. Von dem ganzen Laufen spüre ich meine Füße schon seit letzter Woche nicht mehr. Die sechs Stunden schlaf, die wir jede Nacht bekommen bringen da auch nicht viel. Und ich weiß, dass sich das nicht bessern wird. Trotzdem habe ich Angst. Nicht davor, dass ich sterbe. Doch ich will nicht wissen, wie viele von uns wieder zurückkommen. Ob es überhaupt jemand schafft. Ob Tommy es schaffen wird ? Ich hoffe es ..

Bernsteinbraun [BoyxBoy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt