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*Person of view - John*

In den letzten zwei Wochen bin ich bestimmt 500 Kilometer weit gelaufen. Sofort nach dem weitere Bomben hochgingen bin ich abgehauen. Wir hatten eh verloren und ich muss unbedingt sehen ob Louis es geschafft hat. Ich habe noch immer seit Tagen nicht viel gegessen und noch weniger geschlafen.
Als ich nach dreizehn Tagen laufen endlich unser Ortsschild sehe steigen mir Tränen in die Augen. Ich kann nicht glauben dass ich es tatsächlich geschafft habe, beschleunige meinen Gang bis ich schließlich renne. Durch die mir so vertrauten Straßen. Aus dem Augenwinkel sehe ich Tommys Haus, auf der anderen Seite der Straße, bremse abrupt ab und sehe es eine Weile an. Als Kind war ich oft hier. Langsam überquere ich die Straße und gehe auf die Haustür zu. Ich drücke zögernd auf den Klingelknopf und sehe kurz darauf in die blauen Augen seiner Mutter. Die selben wie auch Tommy sie hatte. "John ?" flüstert sie mit Verwunderung in der Stimme und überraschtem Blick. Ich muss schrecklich aussehen. Meine Soldatenuniform ist dreckig, kaputt und überseht mit kleinen und großen Blutflecken, die meisten davon von Tommy. "Alle denken du bist tot-.. du-.. ihr-ihr seit doch nicht zurück gekommen." flüstert sie. Ich sehe sie nur weiter an, weiß nicht genau wo ich anfangen soll oder was ich mir hierbei gedacht habe. "Darf ich reinkommen ?" Frage ich deswegen einfach mit unsicherer Stimme. Sie nickt. "Ja. Ja natürlich. Möchtest du etwas trinken ? Wasser ?" Ich nicke einfach und folge ihr in die Küche, nachdem Sie Tommys Vater aus dem Wohnzimmer gerufen hat. Wir setzen uns an den kleinen Küchentisch und Tommys Vater sieht mich an als würde er einen Geist betrachten. "Ich bin von Frankreich aus gelaufen. Deswegen sehe ich auch noch so aus, ich war noch nicht zuhause und ich-" stammele ich schnell, breche ab, atme erst mal durch und überlege was ich überhaupt sagen will. "Tommy und ich waren Tag und Nacht zusammen, von dem Tag an, an dem wir geholt wurden .. und ich finde Sie haben ein Recht zu erfahren wie und warum er gestorben ist." versuche ich nun so ruhig wie möglich zu sagen. Seine Mutter lehnt sich mit traurigen Blick an seinen Vater an, der einen Arm um sie legt und ihre zitternde Hand nimmt. "Nachdem die ersten Bomben fielen, kamen Franzosen aus ihren Gräben. Sie sind auf uns zu gerannt und haben versucht, die von uns zu töten, die noch am Leben waren. Tommy war grade dabei seine Waffe nachzuladen, als.." Tränen steigen in meine Augen und ich höre meine eigene Stimme brechen. ".. er ist plötzlich einfach aufgetaucht, ich hatte ihn nicht gesehen. Tommy allerdings schon und er.. Ich hab es nicht bemerkt. Es ging so schnell.." Wieder atme ich einmal kurz durch, versuche es zu erklären. "Ein französischer Soldat. Er hat mit seiner Waffe auf mich gezielt. Tommy muss das wohl bemerkt haben, denn bevor der Andere abgedrückt hat, ist er vor mich gesprungen. Es war schon zu spät, als ich es bemerkt hatte und die Kugel ging direkt durch seinen Bauch. Ich konnte nichts mehr tun-.. Ich wollte a-aber er- er sagte ich soll aufhören, es hätte keinen Sinn. Ich war bei ihm, bis sein Herz aufgehört hat zu schlagen und noch danach, ich war bei ihm. Ich weiß, er ist für mich gestorben und das tut mir so leid." Seine Mutter vergräbt weinend ihr Gesicht in der Halsbeuge ihres Mannes, der mich nur ausdruckslos ansieht, während sie laut schluchzt. Dann legt er sein Gesicht auf ihren Kopf und schließt wie schmerzverzerrt seine Augen, aus denen nun auch vereinzelt Tränen laufen. Ich schiebe meinen rechten Jackenärmel ein kleines Stück nach oben, knote das Lederband, welches ich ihm abgenommen habe, vorsichtig auf und schiebe es über den Tisch zu seinen Eltern. "Es tut mir so unendlich leid." sage ich noch einmal, bevor ich leise aufstehe, dabei bin zu gehen. "John ?" sagt sein Vater ruhig und sieht zu mir. "Danke.." Ich nicke nur, bevor ich durch die Haustür gehe, weiter in Richtung zu Hause.

Schon von weitem sehe ich, dass ihr Auto nicht da steht. Als ich vor der Haustür stehe klingele ich, doch sie sind nicht hier. Ich klopfe gehen die Tür und klingele wieder, doch nichts. Erschöpft sinke ich auf die einzelne Stufe vor der Tür. Erst in diesem Moment nehme ich wahr wie ausgelaugt mein Körper eigentlich ist. Ich stütze meine Arme auf meinen Knien ab und lege meinen Kopf in diese. Wo sind sie ? Und wo ist Louis ?
Ich spüre die Kälte der Steinstufe durch meine Kleidung dringen und sich in meinem ganzen Körper ausbreiten.

Eine ganze Weile lausche ich den vorbeifahrenden Autos, wie sie immer lauter werden, an mir vorbei fahren, wieder leiser werden.
Bis plötzlich eines von ihnen langsamer wird und in unsere Einfahrt einbiegt. Als ich meinen Kopf hebe, sehe ich die mattschwartze Lackierung des Autos von meinem Vater. Dann sehe ich ihn an. Dann sieht er mich an. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen und mein Blick wandert nach links, wo ich in Mamas Gesicht sehe, die mich ebenfalls ansieht. Sie springen fast schon aus dem Auto. Papa lächelt so glücklich, wie ich es bei ihm noch nie gesehen habe und Mama hält sich, mit Tränen in den Augen, ungläubig die Hände vor den Mund. Keine 10 Meter trennen uns voneinander. Ich will grade aufstehen, zu ihnen gehen und sie nach so langer Zeit wieder in die Arme schließen, als die dritte Autotür sich öffnet. Ich sehe ihn langsam aus dem Auto steigen, darauf konzentriert, sein eingegipstes Bein und seine Krücken heil aus dem Auto zu bekommen. Er sieht zu Boden, hat mich noch nicht gesehen.

Louis.

Ich spüre wie mein Herzschlag immer langsamer wird und bin wie gelähmt, während ich ihn einfach nur anstarre. Dann hebt er endlich seinen Kopf.
Unsere Blicke treffen sich. Seine Krücken rutschen aus seinen Händen und er schüttelt langsam ungläubig seinen Kopf, Tränen in den Augen.
Sein Ausdruck verändert sich, bis er das schönste Lächeln im Gesicht hat, dass ich jemals gesehen habe. Es vergehen Sekunden, die wir uns nur anstarren. Nicht in der Lage zu realisieren, dass wir uns gerade wirklich wiedersehen.
Er steht immer noch wie angewurzelt da, als ich es schließlich schaffe, mich aus meiner Starre zu lösen. Ich renne an meinen Eltern vorbei, auf ihn zu.
Wenige Zentimeter vor ihm bremse ich, bleibe stehen. Sanft lege ich meine Hand an seine Wange, betrachte sein Gesicht. Ohne den Dreck und das Blut, ohne tiefe Augenringe der Übermüdung, ohne geschlossene Augen.
Zum ersten Mal seit einem Jahr sehe ich ihn richtig. Seine ausgeprägteren Kieferknochen, auf denen ein paar Bartstoppeln verteilt sind. Seine braunen Locken, die etwas länger, aber vor allem dunkler geworden sind. Er ist größer, nur noch wenige Zentimeter kleiner als ich.
Und nach so unendlich langer Zeit sehe ich wieder in seine wunderschönen, bernsteinbraunen Augen.
Wie als wäre er aus Glas bewege ich meinen Kopf vorsichtig auf ihn zu, bis sich unsere Lippen endlich wieder berühren. Er beginnt sofort seine zu bewegen und ich tue das selbe. Während wir uns küssen lege ich meine Arme um seinen Körper, drücke ihn mit dem Rücken gegen das Auto. Er legt seine Arme um meinen Nacken, zieht meinen Körper näher an seinen eigenen. Ich habe das Gefühl ihm nicht nah genug sein zu können. Spüre immer noch das selbe Kribbeln wie bei unserem ersten Kuss, die selben Schmetterlinge, die selbe Wärme, die sich in meinem Körper ausbreitet.
Als wir schließlich unsere Lippen voneinander lösen sehe ich ihn lächelnd an. Er erwiedert mein Lächeln sofort und seine bernsteinbraunen Augen glitzern. Er streift mit seinen Fingerspitzen meine Wange entlang, als könnte er nicht glauben, dass ich wirklich hier bin. "Ich dachte du bist.. tot.." flüstert er und sein Lächeln verschwindet für einen Augenblick. Ich schüttele kurz den Kopf, bevor ich ihn in eine feste Umarmung ziehe, seinen Geruch einatme. "Ich werde dich nie, nie, nie wieder verlassen." flüstere ich. "Ich liebe dich so sehr."

Für einen Augenblick lösen wir uns voneinander und ich schließe meine Eltern in eine lange Umarmung, bevor ich wieder zurück zu Louis gehe und ihm ins Haus helfe. Mama geht sofort in die Küche und beginnt etwas zu essen zu machen, wofür ich ihr mehr als dankbar bin. "Ich glaub ich hab seit.. 3 Tagen ?.. nichts mehr gegessen." sage ich, in Gedanken nachzählend, woraufhin Louis mich mit einer Mischung aus Schock und Besorgnis ansieht. Er will etwas sagen, doch ich komme ihm zuvor. "Es geht mir gut. Viel wichtiger ist, wie es dir geht." Ich sehe an seinem Bein runter, doch er winkt ab. "Es geht schon, ich werde wieder." sagt er und lächelt mir aufmunternd zu. Ich atme erleichtert aus, doch dann sehe ich Moms Blick, woraufhin ich sie fragend ansehe. "Louis.." Sie sieht ihn mahnend an, bevor sie zu mir blickt. "Sein Unterschenkelknochen ist gebrochen und seine Sehne gerissen. Die Ärzte haben alles versucht, aber ab dem Knie kann er nichts mehr bewegen." erklärt sie vorsichtig. "Es ist nichts." unterbricht er sie jedoch. "Ich lebe noch und die Hauptsache ist, dass du das auch tust."

Bernsteinbraun [BoyxBoy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt