Ich bin so gut wie tot. So gut wie tot.
Was habe ich mir nur dabei gedacht?
Er hat mich in der Hand. Er hat die Macht.
Er kann es tun. Einfach so. Ein Fingerschnipps- weg.
Wie leichtsinnig kann ich sein?
Tausend Vorwürfe schwirren mir gleichzeitig durch den Kopf, zitternd sitze ich auf dem Bett und lasse den Beinahe Kuss mit einem Psychopathen Revue geschehen. Die Gefühle, die Emotionen, die Gefahr.
Den Adrenalinrausch. Das Verlangen.
Sein Drohen. Die Blicke.
Paranoid.
Ich kann keinen klaren Gedanken fassen und sehe überall Gestalten. Schatten an der Wand, Lichter aus dem Fenster... Ich schließe die Vorhänge und kontrolliere zum tausendsten Mal mein Türschloss. Nichts hilft, meine Angst und die Hoffnung zu stoppen. Ich will es nicht wahrhaben aber es ist wahr: Robin Brooks hat mich in seiner Gewalt. Und es liegt an mir was ich mit diesem Wissen tue. Ihn früher ausweisen? Eine zu große Gefahr, für mich und die Gesellschaft.
Ihn ewig hierlassen? Er wäre nicht Robin Brooks wenn er mich nicht auch hier umbringen könnte. Jederzeit. Er könnte hinter dem Vorhang stehen, unter dem Bett liegen. Ich würde ihm alles zutrauen.
Aber er hat nicht den Anschein gemacht, dass er dich umbringen möchte... eher im Gegenteil.
Ich sollte mir nichts vormachen.
Ich sollte mir nichts vormachen.
Ich sollte.... mein Gedankenstrom wird von einem hämmernden Geräusch jäh zunichte gemacht. Es klingt wie ein Klopfen, und es kommt von meinem Fenster.
Poch. Poch. Poch.
Mein Herz schlägt mir bis zum Hals.
Ist er das? Ist es Robin? Ist es soweit?
Ich seufze. Venice, beruhig dich. Ganz ruhig. Tief einatmen. Tief ausatmen.
Einatmen. Ausatmen. Nochmal. Und nochmal.
Poch. Poch. Poch.
Ich stelle mich auf und gehe zum Fenster. Es ist wie im Horrorfilm, und ich bin die dumme Person, die sich in Lebensgefahr stürzt. Mein Bauch verkrampft sich, meine Muskeln spannen sich an. Zögernd hebe ich die Hand.
Dreh nicht durch, Venice. Es ist bestimmt nur ein... Vogel.Ich ziehe den Vorhang ruckartig zur Seite und stehe ihm entgegen. Es ist noch viel schlimmer als gedacht. Grausamer. Beängstigender. Das Nichts.
Es ist nichts dort. Nur das Hämmern.
Poch. Poch. Poch.Robin war hier. Ich war mit Timber weg, Robin war hier. In meinem Zimmer. Auf meinem Bett. GENAU hier.
Ich sehe ihn vor meinem geistigen Auge. Wie er mich angrinst. Wie er sagt, dass er mich vermisst hat.
Was wollte er wirklich hier?
Mein Mut ist weg, alles was ich in mir trage ist die blanke Angst. Wie ein kaltes, dunkles Schattenwesen, unsichtbar, aber dafür sehr schmerzhaft. Wie ein dichter Nebel. Wie ein Gift.
Wie schaffe ich es, mich ihm zu stellen? Wie kann ich mich seiner Kraft, seiner Genialität, seiner Aura stellen? Wie ein großes Fragezeichen. Zu viele Fragezeichen. Zu viele Fragen. Zu wenig Antworten.Ich muss mich mehr in ihn hineinversetzen. Ich muss fühlen wie er, denken wie er. Ich muss so schnell denken wie er. Ich muss ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen.
Die Nacht vergeht, ohne dass ich schlafe. Ich denke mir Situationen aus, Szenarien, mögliche Orte, einfach alles.
»Guten Morgen. Es ist acht Uhr.«
Mr Chains Stimme hallt durch den Raum.
Beinahe zeitgleich vernehme ich das Klopfen an der Tür.
Ich öffne sie und stehe Alex gegenüber.
»Wunderschönen guten Morgen, liebe Venice. Ich hoffe du hattest eine erholsame Nacht? Denn genau so siehst du nicht aus, haha. Da gebe ich dir glatt eine doppelte Portion Kaffee, was? Na komm.« Ich lächele ihn müde an. Die Fröhlichkeit in Person.
»Danke, Alex.«
Er zwinkert mir zu und drückt mir das Tablett mit zwei Tassen dampfendem Kaffees in die Hand. »Schönen Tag noch. Heute ist Freitag...vielleicht sehen wir uns ja heute Abend noch?«
»Gerne. Dir auch noch einen schönen Tag.«
Ich will gerade die Tür schließen, als ich Jacks rotblonden Schopf im Flur ausmache. Doch als ich wieder nach ihm schaue, ist er weg.
Ich trage mein Tablett an den Tisch und mache mich über das Essen her.
Aber das beruhigte nicht mein Zittern, meine Nervosität.
Ich mache mich noch einmal fertig, dusche, wasche mich und ziehe mich an:
Eine schwarze Skinny Jeans mit einer blauen Bluse. Ich lasse meine Haare offen über meine Schultern fallen und schminke mich dezent. Ich feile meine Nägel, lackiere sie, ich durchforste meine Unterlagen, räume auf, räume um. Bis mir klar wird, dass ich mich nicht drücken kann. Früher oder später muss ich Robin wieder gegenüberstehen.Mit zitternden Händen öffne ich sein Türschloss.
»Hallo, Robin. Guten Morgen.« Robin sitzt auf dem Fenstersims, mit angezogenen Beinen, nachdenklich sieht er aus dem Fenster in die Ferne. Als er meine Stimme hört, reagiert er nicht.
Ich komme ganz rein und schließe die Tür ab. »Robin?« Ich halte ein wenig Abstand. Keine Reaktion. »Robin Brooks, ich bitte dich. Ich-«
»Wie ist es eigentlich als Psychologin? Als diejenige, die sich um den Abschaum kümmert, den die Gesellschaft hierher abschiebt? Fühlen Sie sich wie die Gute, die die Bösen bekehrt?«
Perplex weiche ich einen Schritt zurück. »Was?«
»Ach, vergiss es. Ich hab nur nachgedacht, und..«
»Du hast die ganze Nacht über mich nachgedacht?« Er fesselt mich mit seinen blauen Augen. »Ja. Wenn Sie es so wollen, habe ich die ganze Nacht an Sie gedacht.«
Ohne es zu wollen wird mir warm. Innerlich bin ich aufgewühlt und kurz vorm Explodieren. Die Zündschnur, die immer kürzer wird.
»Ich hätte noch eine Frage an Sie, Ms. Porter.«
Ich nicke. »Ja. Was willst du mich fragen?« Robin stellt sich auf und setzt sich auf einen der Stühle. Ich tue es ihm gleich und sitze ihm gegenüber. »Wie siehts aus mit Frühstück?«, fragt er. Ich lege den Kopf schief. Robin lächelt halb. Er ist sichtlich amüsiert. »Robin das war nicht deine Frage.« »Trotzdem.«
»Ich habe schon gefrühstückt.« Er nickt. »Gut. Gut.«
»Und jetzt zu deiner Frage, Robin. Und bitte spiel nicht deine kleinen Spielchen mit mir.«
Er seufzt. »Na gut. Ich wollte nur einmal wissen-« Er legt seine Hände auf den Tisch und lehnt sich näher zu mir. »Stellen Sie sich bitte einmal eine Situation vor, in der wir beide aufeinander angewiesen sind. Würden Sie mir vertrauen?«
Aus der Bahn geworfen aufgrund dieser unerwarteten Frage denke ich kurz nach.
»Ich - ich weiß es nicht. Aber es wird sowieso nie zu einer solchen Situation kommen, Brooks.« Er seufzt und sieht mich beinahe mitleidig an. »Schade, Ms. Porter. Es tut mir wirklich Leid.«
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Robin Brooks
Teen FictionVenice Porter hat endlich ihr Studium fertig bekommen- Psychologie. Aber so ganz glücklich ist sie mit ihrem neuen Arbeitsplatz nicht. Nicht nur, dass sie fernab von ihrem Zuhause in Charlottestown arbeiten muss, und dieser Ort wie geschaffen für ei...