Zum zweiten Mal an diesem Tag versagen meine Gefühle und ich kann nichts erwidern. Mein Blick ist einfach nur auf ihn gerichtet und ich versuche, herauszufinden, ob er es ernst meinte oder ob es nur wieder einer seiner Tricks ist. Ich will nicht schon wieder darauf reinfallen, nicht schon wieder. Einmal hat gereicht und mir sein wahres Ich gezeigt, dass ich fürchte und gleichzeitig begehre. Aber in seinem Blick kann ich, wie sonst, nichts erkennen. "Du willst was?" Endlich finde ich meine Sprache wieder. Aber es erreicht einfach meinen Kopf nicht. Es ist mitten in der Nacht in einer Psychiatrie, und vor mir steht mein Patient, der mir vor nicht einmal 24 Stunden das Leben nehmen wollte und fragt mich, ob ich mit ihm durchbrennen will. So weit das Protokoll. Robin nickt, wie wenn er meine Gedanken gelesen hätte. "Robin, ich kann doch nicht einfach gehen... wie stellst du dir das vor??" Er zwinkert. "Wäre ich Robin Brooks, wenn ich nicht schon längst einen Plan entwickelt hätte?" Ich seufze. "Bei meinem Glück wahrscheinlich auch noch einen Plan B", schießt es mir durch den Kopf.
"Wir schaffen das. Ich meine, du kannst das Gelände ohnehin verlassen, und wie du weißt, komme ich auch einfach hier raus wenn ich es möchte. Bitte. Venice." Jetzt klingt seine Stimme flehend. Er hat ja Recht. Aber kann ich mich ihm anvertrauen? "Wieso? Nenne mir einen Grund, wieso ich hier weggehen sollte. Oder du. Ich bin nicht einmal mehr für dich zuständig." Bei meinen Worten trübt sich sein Blick. Er nimmt sanft meine Hand, etwas, dass ich mir gestern nicht einmal erträumt hätte, und sieht mir tief in die Augen. "Venice Porter. Ich bin der Grund. Denn... naja. Ich liebe dich." Meine Beine geben nach. Und Tränen strömen mir über mein Gesicht. Ich lehne mich an mein Bettgestell und lasse die Tränen los. Robin kniet sich zu mir, hält weiter meine Hände fest. "Wieso?", bringe ich unter Schluchzen heraus. "Wieso?" Immer nur dieses Wort. Wieso jetzt? Wieso ich? Wieso er? WIESO? Er atmet tief durch. "Ich glaube, ich gehe jetzt lieber." Langsam lässt er mich los und steht auf. Ich merke noch kurz, wie sein Blick auf mir ruht, bevor er sich umdreht. "Ich komme in zwei Tagen wieder. Bitte, Venice. Entscheide dich." Dann verlässt er das Zimmer und lässt mich in meiner aufgewühlten Stimmung zurück. Soll ich es tun? Sollte ich ihm folgen? Ich nehme mir vor, auch einen Plan zu machen. Aber das alles muss bis morgen warten.
"Guten Morgen. Es ist acht Uhr." Ich öffne meine schmerzenden Augen und setze mich in meinem Bett auf. Habe ich überhaupt geschlafen? Das Pochen in meinem Kopf verneint meine Frage. Ich lag die ganze Nacht wach und habe über ihn nachgedacht. Währenddessen ist mir aufgefallen, welche Gefühle ich inzwischen für Robin hege. Und die lassen sich nicht einfach abdrehen. Denn seine Intelligenz und seine Gefahr üben eine größere Macht auf mich aus, wie ich sie je haben könnte. Ein Teil in mir will mit ihm gehen, das Risiko auskosten, das Abenteuer eingehen, er und ich gegen den Rest der Welt. Ein weiterer Teil in mir sagt mir, dass ich es lassen sollte, mich nicht kopfüber ins Verderben stürzen sollte. Und ich weiß nicht, welcher Teil stärker ist.
Ich schwinge mich aus dem Bett und gehe erstmal duschen. Unter dem warmen Wasser denke ich wieder an Robin. Schon vom ersten Moment an hat er mich in seinen Bann gezogen und mir auf eine unbeschreibliche Art gezeigt, dass er in einer vollkommen anderen Welt lebte. Eine Welt, die es wert war, zu erleben. Doch er war jedes Mal, wenn ich versuchte, ihn zu befragen, verschlossen gewesen und hatte mir nichts anvertraut. Das hat mein Interesse wie nichts anderes geweckt. Ich stelle das Wasser aus und trockne mich mit einem Handtuch ab. Und jetzt steht er unter Jacks Macht.
Jack. Der Jack, der mich immer krumm ansieht, weil ich ihn damals abserviert habe. Ausgerechnet er soll sich um ihn kümmern? Um Robin Brooks? Ich ziehe mir eine Jeans mit einer hellblauen Bluse an und lasse meine Haare lufttrocknen, damit sie sich wellen. Und ich warte. Ich will die Zeit herauszögern. Denn ich muss zu Timber. Nach ihr sehen. Ihr helfen. Bei dem Gedanken an sie verkrampft sich alles in mir. So sehr ich sie am Anfang gemocht habe, so sehr verabscheue ich sie nun. Sie ist ein Biest, ein krankes Monster! Ich atme tief durch. Ruhig, Venice. Sie war nicht immer so. AM Anfang schien sie wirklich "nur" ihren Depressionen zu erliegen, während sie sich inzwischen nur ein Ziel in den Kopf gesetzt hat. Meinen Tod. Und das ist allein Robins Schuld. Ein weiterer, sehr ausschlaggebender Punkt, ihm zu misstrauen.
Vor Timbers Tür halte ich noch einmal kurz inne. Ich habe an sich alles, was ich brauche. Aber ich habe Angst. Und das vor einem Teenager. Sie ist so unberechenbar, dass ich nicht weiß, mit was für einer Laune sie mir entgegenstehen wird. Dann atme ich kräftig aus. Ich muss da rein, koste es was es wolle! Ich gebe die Kombination für ihr Türschloss ein und betrete den Raum. Ich suche kurz nach Timber, bis ich sie finde. Sie sitzt mit gesenktem Kopf auf ihrem Bett, fest vermummt in einer Zwangsjacke. "Hallo Timber." Ich bekomme keine Antwort. "Hat man dich also in eine Zwangsjacke gesteckt? Naja. Wie lange bist du denn schon da drinnen?" Timber hebt reflexartig den Kopf und blickt mich hasserfüllt an. "Zwanzig Stunden. Und das ist alles nur ihre Schuld." Ohne nachzudenken, setze ich ein provokantes Lächeln auf. "Ach stimmt, es tut mir natürlich Leid dass du da drinnen steckst. Was habe ich mir nur dabei gedacht, mich nicht von zwei Psychopathen umbringen zu lassen, oder?" Ich knie mich hin, sodass sie mich gezwungenermaßen ansehen muss. "Timber, pass auf an welche Leute du gerätst. Und du hast falsch gehandelt, als du dich mit Robin und mir angelegt hast. Vergiss das nicht." Timber bewahrt ihren hasserfüllten Blick. "Und jetzt? Fühlst du dich jetzt besser, wenn du mir das unter die Nase reibst?" Ich schüttele den Kopf. "Nein, nicht wirklich. Ich sage dir nur wie es ist. Wer hat dich denn überhaupt da reingesteckt?", komme ich wieder auf ihre Zwangsjacke zurück. Sie versucht, mit den Schultern zu zucken, was in Anbetracht ihrer aktuellen Lage nicht so leicht ist wie sonst. "Mr. Chains." -" Und du kannst dich nicht bewegen und mir an den Hals fallen?" Sie schüttelt den Kopf. Ich setze mein breitestes Lächeln auf. "Na dann, können wir ja anfangen."
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Robin Brooks
Ficção AdolescenteVenice Porter hat endlich ihr Studium fertig bekommen- Psychologie. Aber so ganz glücklich ist sie mit ihrem neuen Arbeitsplatz nicht. Nicht nur, dass sie fernab von ihrem Zuhause in Charlottestown arbeiten muss, und dieser Ort wie geschaffen für ei...