Ich saß nervös an meinem Tisch und kaute auf meinem Bleistift herum. Schon eine viertel Stunde war vergangen und Frau Hinze sah nicht einmal zu mir. An der Tafel standen bereits irgendwelche Zahlen, doch ich war mit meinen Gedanken so weit entfernt, dass ich nichts mit bekam. "Emily, könntest du mir vielleicht einen Moment deine Aufmerksamkeit schenken und mir eine Antwort auf meine Frage geben?" Ich sah ihr erschrocken in die Augen. Ihr Blick war genervt und provokant. "Entschuldigung. Ich...habe nicht aufgepasst." Sie schmiss das Stückchen Kreide, welches sie in ihrer Hand hielt, auf ihr Pult und setzte sich auf ihren Stuhl. "Tut mir Leid, wenn ich dich gerade gestört habe.", sagte sie kühl. Die ganze Klasse brach in Gelächter aus. Was sollte das denn bitte? Plötzlich überkam mich ein ganz schreckliches Gefühl und ich wurde zornig. Vielleicht auch etwas enttäuscht und traurig. Warum nur behandelte sie mich auf einmal so? Ich stützte meine Arme auf dem Tisch und vergrub das Gesicht in meinen Händen. Mit einem mal spürte ich, wie sich meine Augen mit Tränen füllten. Frau Hinze fuhr mit ihrem Unterricht fort und meine Mitschüler waren wieder konzentriert. Nun liefen die Tränen und ich versteckte sie so gut wie ich konnte. Als ich mich nach ein paar Minuten wieder beruhigt hatte, fühlte es sich in mir wie zerschmettert an. Als würde jemand in mein Herz stechen. Immer und immer wieder. Als ich den Kopf hob sah ich, wie alle fleißig etwas in ihre Hefte schrieben. Dann ging mein Blick zu Frau Hinze, die mich mit ihren Augen auffing. Sie beobachtete mich. Irgendwie wirkte sie nachdenklich. Ich versuchte, sie so zornig wie möglich anzusehen, doch es ließ sie völlig kalt. Frau Hinze reagierte nicht und schaute mich weiter an. Die Schulklingel riss uns beide aus unseren Gedanken und ich zuckte zusammen. "Morgen haben wir 4 Stunden. Bitte bringt morgen eure Bücher mit, wir wiederholen.", schrie sie, während bereits alle einpackten und zur Tür hinaus stürmten. Bevor ich meine Unterlagen einräumte, putzte ich mir erstmal die Nase und wischte mir die Tränen weg. "Emily, alles klar?", hörte ich eine Stimme hinter mir fragen. Es war Frauke, die nun eine Hand auf meine Schulter legte. "Klar. Alles gut.", antwortete ich mit gebrochener Stimme. Als ich zu Frau Hinze sah, saß sie da. Über ihre Unterlagen gebeugt und schrieb etwas. "Komm, wie haben Schulschluss. Sollen wir etwas trinken gehen?" Kurz überlegte ich, stimmte dann jedoch nickend zu.
Sie sah nicht einmal mehr zu mir. Wieso verhielt sie sich denn jetzt so? War sie sauer, weil Frauke und ich im Biologieunterricht Zettel geschrieben haben? Sie musste doch wissen, dass mich ihre Art verletzen würde. Immerhin wusste sie doch, dass es mir zurzeit nicht gut geht. Oder wusste sie, dass ich doch sie meinte?Frauke und ich setzten uns in ein kleines Café in der Innenstadt und bestellten uns beide einen Kaffee. "So. Dann erzähl mal.", sagte Frauke und nippte an ihrer Tasse. "Ach, ich bin gerade einfach etwas neben der Spur.", antwortete ich ihr.
"Hat Frau Hinze heute morgen noch etwas zu dir gesagt? Sie war ja total merkwürdig vorhin."
Ich schüttelte den Kopf. "Nur, dass sie nochmal ein Auge zudrückt und enttäuscht ist, weil wir nicht mitgearbeitet haben und ob es mir gut geht.", log ich. Zwar fühlte ich mich schlecht, Frauke nicht die Wahrheit zu erzählen, doch ich konnte einfach nicht.
Nun legte sie ihren Kopf zur Seite und sah mich traurig an. "Dir geht es nicht gut und ich glaube, du bist nicht ehrlich zu mir." Erwischt. Ich wusste, sie würde etwas ahnen. Sie hat schon in Rom so komisch reagiert, als wir Frau Hinze in diesem Lokal getroffen haben. Vielleicht tut es ja auch gut, mit jemanden zu reden. Schlimmer kann es doch sowieso nicht werden.
"Nein, du hast Recht. Ich bin nicht ganz ehrlich. Aber ich kapier das selbst nicht wirklich." Und so erzählte ich Frauke von allem. Von meinen Gefühlen, der Klassenfahrt und unsere Gespräche, in denen ich Frau Hinze von meinen Gefühlen erzählte. Sie sah jedoch nicht wirklich überrascht aus, lachte auch nicht. Sie nahm mich einfach ernst und hörte mir ganz ruhig zu.
"So, jetzt ist es raus." Nun bildete sich ein kleines Lächeln in ihrem Gesicht. "Ich habe mir da schon sowas gedacht. Es ist nicht schwer zu erkennen, wenn man dich ein bisschen kennt." Ich schluckte. "Und du hast ihr wirklich erzählt, das du sie liebst?"
"Ja, aber ich habe sofort versucht, mich da rauszureden. Von wegen, es wäre eine Frau und nicht sie. Aber ich glaube, sie nimmt mir das nicht ab." Frauke nickte. "Ganz ehrlich? Das würde ich wahrscheinlich auch nicht. Immerhin verhältst du dich in ihrer Gegenwart völlig anders als sonst." Wieder schluckte ich. "Du meinst, es fällt jedem auf?" Dann schüttelte sie energisch den Kopf und schluckte ihren Kaffee runter. "Nein, das meine ich nicht. Aber ich denke, sie hat genug Lebenserfahrung, um die Situation ganz gut einschätzen zu können. Vielleicht irre ich mich aber auch und sie hat echt keine Ahnung." Aufgewühlt lehnte ich mich mit dem Rücken an die Stuhllehne und atmete tief durch. "Was soll ich denn jetzt machen, mensch?"
"Du solltest ihr erstmal so gut wie es geht aus dem Weg gehen und dich ablenken.", schlug sie vor. "Wie denn? Ich sehe sie jeden Tag in der Schule. Und morgen haben wir sie 4 Stunden. Das schaffe ich nie." Nun lehnte sie sich nach vorn und griff nach meiner Hand. "Hey! Klar schaffst du das. Ich bin doch auch noch da. Zusammen schaffen wir das, ok?" Dankbar schenkte ich ihr ein Lächeln. Frauke streichelte mir mit ihrem Daumen über meine Hand und so saßen wir noch eine Weile dort.Heute war es soweit. 4 Stunden Mathe. Und als wäre das nicht schlimm genug, haben wir dieses Fach auch noch bei Frau Hinze. Das ich mich Frauke anvertraut habe, war eine riesen große Erleichterung. Zwar hatte ich Angst, sie würde sich vielleicht verquatschen, doch eine gewaltige Last fiel von mir ab. Und ich war nun auch nicht mehr allein. Sie stand hinter mir, hörte mir verständnisvoll zu und war einfach für mich da. Ich war einfach nur wahnsinnig dankbar, so eine Freundin gefunden zu haben.
In der Klasse herrschte eine fürchterlich Unruhe und Frau Hinze war noch nicht da. Der Unterricht fing bereits vor 10 Minuten an, doch es war keine Spur von ihr. Frauke saß heute neben mir, um mich zu unterstützen. Sie hat ihr Mathebuch absichtlich vergessen, damit sie dafür auch einen Grund hatte. "Guten Morgen. Entschuldigt die Verspätung, aber ich musste noch etwas klären.", stürmte sie plötzlich in die Klasse. Frau Hinze packte dennoch gemütlich ihre Tasche aus und sah durch die Runde. Verwundert blieb ihr Blick bei mir und Frauke hängen. "Haben wir eine neue Sitzordnung?", ihre Stimme klang ruhig und doch etwas angespannt. "Tut mir Leid, aber ich habe mein Buch vergessen und Emily ist so freundlich, mich mit rein sehen zu lassen.", ergriff Frauke sofort das Wort und lächelte Frau Hinze an. "Aha. Aber beim nächsten Mal bringst du bitte dein eigenes Buch mit, ok?" Sie widmete sich wieder ihre Tasche und setzte sich dann vor ihr Pult, ohne noch ein weiteres Mal zu uns zu sehen. Frauke blickte mich an und nickte mir zufrieden zu. "Siehst du. Alles in bester Ordnung." Nicht sehr überzeugt schlug ich mein Buch auf und schob es in die Mitte, sodass Frauke auch hinein sehen konnte.
"So, wie bereits erwähnt, musste ich noch etwas klären. Und zwar habe ich mich mit der Direktorin abgesprochen, sodass wir für nächste drei Studientage bekommen haben. Das bedeutet für euch, keinen normalen Unterricht." Die Klasse sprang freudig auf und fing an zu jubeln, doch Frau Hinze hob schnell ihre Hände. "Moment, moment. Ihr habt stattdessen von Montag bis Mittwoch jeweils 6 Stunden bei mir Unterricht, damit wir uns auf die Abschlussprüfungen vorbereiten können." Schockiert sah ich zu Frauke, die mich bereits ansah. "Das ist jetzt nicht wahr!", flüsterte ich. "Aber die sind doch erst nächstes Jahr.", rief jemand. Frau Hinze nickte. "Stimmt. Aber ich weiß nicht, ob ich euch nächstes Jahr noch unterrichten werde. Ich habe ein Angebot einer anderen Schule bekommen und weiß noch nicht genau, ob es annehmen werde." Bääm!! Das traf mich bis ins Mark. Sie will gehen? Sie möchte die Schule verlassen? "Das steht noch nicht fest. Sie weiß es doch noch nicht", sagte Frauke leise, als hätte sie meinen Gedanken gehört. Ich wurde panisch. Alles in mir drin zog sich zusammen. Nun sah auch Frau Hinze mir direkt in die Augen. Als würde sie genau meine Reaktion beobachten. Reiß dich jetzt zusammen, dachte ich. Frauke stieß mich mit ihrem Arm leicht an. "Sie beobachtet dich." Doch ich reagierte nicht, sondern starrte nur noch Frau Hinze an. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. Was wäre, wenn sie die Schule wirklich verlassen würde? Tut sie das wegen mir? Blödsinn! Nimm dich nicht so wichtig, Emily. Tränen füllten meine Augen. Ich schluckte, um sie wieder zurück zu ziehen. Doch es gelang mir kaum. "Entschuldigung?", rief Frauke plötzlich. "Mir ist gerade irgendwie schlecht. Darf ich vielleicht kurz vor die Tür?" Frau Hinze sah besorgt zu ihr. "Natürlich. Geh nur." "Kann Emily mitkommen, bitte? Falls ich mich übergeben muss." Nun zog sie eine Augenbraue nach oben, doch sie nickte. Ich sah Frauke irritiert an und sie zog mich am Arm mit nach draußen. Leise schloss sie die Tür von außen. Noch immer sah ich sie irritiert an. "Ich dachte, du musst mal kurz durchatmen", sagte Frauke nun und nahm mich in den Arm. Bevor ich überhaupt reagieren konnte, liefen auch schon meine Tränen und ich begann fürchterlich zu schluchzen. "Alles wird gut, ok? Sie weiß doch noch gar nicht, ob sie geht. Und vielleicht werden die drei Tage mit ihr auch gar nicht so schlimm, wie du jetzt denkst. Womöglich tut es dir auch ganz gut. Und ihr auch."
Nach ein paar Minuten beruhigte ich mich wieder und Frauke gab mir ein Taschentuch, um mir die Tränen abzuwischen. "Hier.", sagte sie und hielt mir eine weiße Schatulle hin. "Nimm den Pinsel und leg dir etwas Schminke auf die Wangen. Dann sieht man nicht so sehr deine roten Augen." Ich war ich so schrecklich dankbar. Womit hatte ich das nur verdient?Entschuldigt bitte, das Kapitel ist wirklich kurz. Vielleicht schreibe ich später noch das nächste. Die Feiertage sind nur etwas stressig, sodass ich kaum dazu komme.
Ich wünsche euch allen aber frohe und besinnliche Weihnachten :-)
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Gefährlicher Kuss (girlxgirl) #Wattys2017
RomanceEmily sah direkt in ihre Augen. Ein Stromstoß ließ ihren Körper durchzucken. Sie hatte das Gefühl, innerlich zu explodieren, als sie ihre Lehrerin sah. Nur ein Blick, eine Berührung hätten gereicht, um sie vollends dahin schmelzen zu lassen. Die Tat...