Kapitel 41

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Als ich meine Augen langsam öffnete, fand ich nur schwer in die Realität zurück. Ich brauchte einen Augenblick, dann erinnerte ich mich wieder an den Vormittag. Ein Stich in meinem Herzen ließ mich zusammen zucken, ehe ich aufstand und Silkes Schlafzimmer verließ.Lange habe ich nicht geschlafen, denn es war lediglich eine Stunde vergangen. Müde ging ich in die Küche und machte mir ein Glas Wasser. Ich öffnete das Fenster und zündete mir eine Zigarette an.Der Rauch brannte in meiner Lunge und brachte mich zum husten. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich zum ersten Mal allein in ihrer Wohnung saß. Es fühlte sich merkwürdig an.

Meine Augen glitten über die Schränke und ich ließ meine Gedanken kreisen. Normalerweise saß sie hier mit ihrer Tochter. Ihrer Familie, oder Freunden. Und nun saß ich hier, in ihrer Küche. Niemals hätte ich zu träumen gewagt, dass das mal passieren würde.Natürlich habe ich es mir oft gewünscht. Ein Teil ihres Lebens zu sein. Doch es war für mich immer hoffnungslos. Das war es für mich seit dem ersten Tag. Ich kann ehrlich behaupten, die ganze Sache immer realistisch und nüchtern betrachtet zu haben. Ein Mädchen wie ich hat doch keine Chance bei ihrer Lehrerin. Ich wusste es. Aber nun kam es ganz anders.

Hier saß ich also. Nach einem furchtbaren Vormittag. Allein. Nachdem ich die bereits zweite Zigarette in den Aschenbecher gedrückt habe, lief ich langsam durch die Wohnung. Ich betrachtete alles ganz genau und es wirkte plötzlich alles anders. Als hätte ich einen völlig anderen Blick auf die Dinge. Vorsichtig wagte ich mich zur Tür ihres Arbeitszimmers. Doch ich betrat es nicht. In diesem Zimmer befanden sich all ihre privaten Dinge, ihre Unterlagen und alles, was sie für den Unterricht brauchte. Diese Privatsphäre wollte ich auf keinen Fall durchdringen und blieb deshalb regungslos davor stehen.

Erschöpft ließ ich mich auf die Couch sinken und legte mich mit dem Blick zur Decke nieder. Lesbe. Weshalb wurde ich so beschimpft? Es kam wie aus dem Nichts. Und ich wusste ganz genau, es würde noch schlimmer werden. Ich spürte es. Und Bea?Was hatte sie für ein Problem? Manche Menschen erzählen dir Lügen und in Wahrheit sind sie total gerissen. Machen Dinge, an die man nicht einmal denken würde. Oh Gott. Sie wusste es. Tat sie es? Wusste sie von Silke und mir? Spielte sie darauf an? Aber woher sollte sie es wissen?

Vielleicht war sie es, die mich heute beobachtete. Als ich mich verfolgt fühlte.Allerdings konnte ich mir auch alles nur eingebildet haben. Paranoia.Nicht unüblich, wenn man ein solch großes Geheimnis hütet. Bea würde niemals....nein! Und Frauke? Erschrocken sprang ich vom Sofa und suchte aufgebracht nach meinem Telefon. Als ich es endlich fand,machten sich Enttäuschung und Sorge in mir breit. Keine Nachricht.Ich verstand nicht, warum sie sich nicht meldete.

Entschlossen suchte ich ihren Kontakt und wählte ihre Nummer. Der Klang des Freizeichens machte mich nervös. Es zog sich endlos, bevor mich die Stimme ihrer Mailbox begrüßte. Nachdem ich auflegte, warf ich das nutzlose Ding auf die Couch und kauerte mich unter die Decke. Die Beine angezogen und den Kopf in meinem Schoß vergraben, verbrachte ich die nächste halbe Stunde mit den schlimmsten Gedanken. Ich fühlte mich hundeelend. Dreckig und verletzt. Der Schmerz in mir wurde zunehmend stärker.

Um mich von diesen Gefühlen zu befreien, ging ich ins Badezimmer und wusch mir mein Gesicht mit kalten Wasser. Es tat gut, als meine Wangen brannten. Meine Hand wanderte zu den Parfumflakons und ich tropfte mir einen Hauch auf meine Haut. Sofort stieg Silkes Duft in meine Nase und ich sog scharf die Luft ein. Vorsichtig stellte ich es zurück an seinen Platz und öffnete den Spiegelschrank, auf der Suche nach etwas Schminke. Die Tränen haben mein Gesicht völlig entstellt und ich beschloss, mich wieder etwas ansehnlicher herzurichten. Als ich nach der Wimperntusche griff, stieß ich versehentlich ein paar Kosmetika um, die mit einem lauten Geräusch ins Waschbecken fielen. Erschrocken über meine Schusseligkeit räumte ich rasch alles wieder ein. Doch dann hielt ich etwas in der Hand,was mich inne halten ließ. Eine Packung Rasierklingen. Die schwarze Dose lag leicht in meiner Hand, während ich mit einem Finger darüber strich. Sie war bereits angebrochen und ein paar waren herausgerutscht. Ich steckte sie einzeln wieder zurück und behielt die letzte in meiner Hand. Langsam drehte ich sie zwischen meinen Fingern hin und her. Eine scheußliche, jedoch gleichzeitig hoffnungsvolle Idee, machte sich in meinem Kopf breit. Das könnte dir helfen.

Das Geräusch der Wohnungstür verpasste mir Herz rasen und ich schmiss die Packung regelrecht zurück in den Spiegelschrank. Schweiß bildete sich auf meiner Stirn, während ich meinen schnellen Puls deutlich spürte. »Emily?«, hörte ich Silke rufen. Das war mein Zeichen. Zügig lief ich aus dem Badezimmer und sah, wie sie ihre Jacke im Flur aufhing. Als sie mich bemerkte, drehte sie sich zu mir und musterte mich einen Moment. »Du bist wach?« Ihre Stimme klang besorgt. Sie trat ein paar Schritte näher an mich ran und sah mir dabei direkt in die Augen. »Ich konnte nicht mehr schlafen.« Beim letzten Wort brach meine Stimme und ich hoffe, sie würde es mir nicht anmerken. »Mir geht es schon besser.« Immer noch besorgt betrachtete sie mich, nickte jedoch und ging mit ihrer Tasche ins Büro. Ich folgte ihr, blieb jedoch wieder davor stehen. Sie legte ihre Unterlagen auf den Schreibtisch und schaltete den Computer ein.Während sie das tat, beobachtete ich sie und fühlte mich irgendwie glücklich. Glücklich, weil ich das tun konnte, was ich gerade tat.Sie bei ganz alltäglichen Dingen beobachten. Die Traurigkeit von vorhin verflog weitgehend und mein Herz machte einen kleinen Hüpfer,als sie sich kurz zu mir umdrehte und mir ihr bezauberndes Lächeln schenkte.

»Hast du Hunger? Soll ich uns etwas kochen?«, fragte sie mich. »Ja, etwas Hunger hab ich schon. Aber lass mich doch kochen. Dann kannst du in Ruhe deine Arbeit erledigen.«, schlug ich vor. Kurz schien sie darüber nachzudenken, ehe sie mir antwortete. »In Ordnung. Das klingt verlockend. Bist du dir denn sicher, das -.« »Ja, bin ich.Worauf hast du Lust?« »Such dir etwas aus. Ich bin mit allem zufrieden.« Silke zwinkerte mir lächelnd zu und ich machte mich sogleich an die Arbeit. In der Küche suchte ich mir alles zusammen,was ich brauchte und fing an, etwas essbares zu basteln. Das würde mir gut tun und mich ablenken. Genau das, was ich jetzt brauchte.



Eine Weile später saßen wir gemeinsam in der Küche und aßen meinen Kartoffelauflauf. »Hast du schon alle Arbeiten korrigiert?«, fragte ich Silke, um ein Gespräch zu beginnen. »Ich glaube, du hast ein falsches Bild von meinem Beruf.«, antwortete sie lachend. »Wir Lehrer kontrollieren nicht bloß eure Arbeiten. Es gehört noch vielmehr dazu. Wir müssen den Unterricht vorbereiten, Arbeitsblätter erstellen. Das gehört auch dazu.« »Mhm.« Ich nickte ihr zu,während ich mir einen weiteren Bissen in den Mund schob. Sie ließ ihre Gabel sinken und lehnte sich zurück. »Geht es dir wirklich besser?« Ich sah zu ihr auf und meine Augen trafen ihre. Sie war besorgt. »Ja, alles in Ordnung. Ich war vorhin einfach überfordert.«»Aus gutem Grund.« Es gefiel mir nicht, in welche Richtung diese Unterhaltung ging, denn ich wollte gerade wirklich nicht darüberreden. Nicht jetzt, wo ich den Schmerz von vorhin so gut verdrängt habe. Als sie merkte, dass ich nicht reagierte, ließ sie das Thema ruhen, wofür ich ihr wirklich dankbar war.

»Das kann ich doch machen.«, sagte ich, als Silke mit dem Abwasch beginnen wollte. »Nein, du hast schon gekocht. Ruh dich etwas aus.«Mit einem leichten Schulter zucken ließ ich sie allein und ging zurück ins Wohnzimmer. Ich legte mich wieder auf die Couch und kuschelte mich unter die warme Decke. Die Müdigkeit legte sich übermeine Augen und es gelang mir nur mühsam, sie nicht zu schließen.Nach ein paar Minuten spürte ich, wie Silke sich neben mich setzte und mir zärtlich durchs Haar streichelte. »Mach die Augen zu.«,flüsterte sie. Da es mir nicht gelang, etwas zu erwidern, tat ich was sie sagte und mein Körper dankte es mir. Ihre Berührungen rückten in weite Ferne und schlief ein.



Gefährlicher Kuss (girlxgirl) #Wattys2017Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt