Kapitel 19

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Wir bewegten uns, wie zwei ineinander verschmolzene Seelen. Sie berührte mich an meiner Taille und zog mir sanft an sich heran. Die Musik um uns herum war das Einzige, was ich wahrnahm. Kein Moment wie dieser war jemals so schön. Als gäbe es nur noch sie und mich. Unsere Lippen berührten sich und ich verspürte pures Glück. Ihre Augen funkelten, während sie im Licht der Nacht tanzte. Der Wind wehte durch ihr Haar und meine Arme umschlungen sie noch fester. Nichts würde uns je wieder trennen. Wir waren eins. 


Ich spürte einen leichten Schlag auf meine Wange. Meine Augen waren schwer. Noch ein Schlag. Jetzt vernahm ich ein paar Stimmen. "Emily. Kannst du mich hören?" Ich konnte nicht erkennen, wer es wahr. Diese Stimme klang zu verzerrt. "Wach auf." Mit etwas Mühe gelang es mir, meine Augen einen Spalt zu öffnen. Ich sah direkt in das Gesicht von Frau Hinze. "Kannst du mich hören?", fragte sie wieder. Sie klang so weit entfernt, obwohl sie doch direkt bei mir war. Es machte mich glücklich sie zu sehen. Ich dachte daran, wie wir gerade eben noch miteinander getanzt haben. Sofort musste ich lächeln. "Geht es dir gut?", fragte sie und atmete dabei erleichtert auf. "Ja." Meine Stimme klang kratzig. "Was ist passiert?", fragte ich sie und räusperte mich. "Du hattest einen Kreislaufkollaps.", sagte Frau Hinze. Einen Kreislaufkollaps? Erst jetzt sah ich, wo ich war. Ich war noch immer auf dem Hausdach. Unter mir spürte ich ein paar weiche Kissen und im Hintergrund lief leise Musik. Langsam setzte ich mich aufrecht hin und spürte einen leichten, stechenden Schmerz in meinem Kopf. "Oh man. Mein Kopf.", stöhnte ich und hielt mir die Hand gegen die Stirn. Erst jetzt bemerkte ich, dass Frauke neben Frau Hinze saß und mich beobachtete. "Du hast Alkohol getrunken und dann noch die Hitze. Das verträgt sich nicht." Frau Hinze musterte mich, doch mein Blick ging wieder zu Frauke. Sie verstand mich noch ehe, bevor ich es selbst tat. Jetzt sah sie zu Frau Hinze. "Ist schon in Ordnung. Ich bleibe bei ihr." Ein wenig überrascht sah Frau Hinze zu ihr und dann wieder zu mir. "Okay. Dann gehe ich mal zu den anderen." Sie stand auf und lächelte uns noch einmal unsicher zu, bevor sie hinter der Ecke verschwand. "Du musst mir jetzt sagen, was passiert ist.", sagte ich. 
"Kannst du dich nicht erinnern?". Ich schüttelte mit dem Kopf. "Du hast getrunken und getanzt. Irgendwann bist du dann an die Bar gegangen, wo ich dich gefunden habe. Du warst ziemlich eifersüchtig, weil Simon mit Frau Hinze geredet hat." Klar, ich erinnerte mich. Noch immer fragte ich mich, weshalb er wohl seine Hand auf ihre gelegt hat. "Ich hab dich dann hier hin gebracht und dann wurde dir schlecht. Frau Hinze kam dann und ich sollte dir Kissen holen. Als ich wieder kam, warst du ohnmächtig." Oh Gott. Ich erinnerte mich. Hatten wir uns etwa geküsst? Mein Kopf tat unheimlich weh. "Wie lange war ich ohnmächtig?", fragte ich Frauke. "Nicht lange. Vielleicht 3 Minuten." Ich nickte. "Und wie lange hast du gebraucht, um die Kissen zu holen?" Frauke war sichtlich irritiert. "Keine Ahnung. Warum fragst du das?" Wie sollte ich ihr das jetzt bloß erklären? Sollte ich es ihr jetzt wirklich sagen? In dem Moment war es mir einfach egal. "Weil ich nicht weiß, ob wir uns geküsst haben." Okay, jetzt war sie wirklich überrascht. Ihr fiel die Kinnlade nach unten und sie starrte mich an. "Deswegen musst du mir unbedingt sagen, wie lange du weg warst." Frauke nickte nun, doch so wirklich anwesend war sie noch nicht. "Hm. Verstehe." Sie schluckte. "Also. Vielleicht waren es ein oder zwei Minuten." Das war ja nicht wirklich hilfreich. "Es könnten aber auch fünf gewesen sein." Na toll. Noch ungenauer ging es wohl nicht. Verstand sie denn nicht, dass das wichtig war? "Also zwei oder doch eher fünf?", fragte ich sie. "Keine Ahnung. Ehrlich. Es ging alles so schnell." So wurde ich nicht schlauer. Mir blieben also nur zwei Möglichkeiten. Entweder ich nehme es einfach so hin, es nicht zu erfahren, oder ich frage Frau Hinze einfach. Da ich aber genau wusste, dass ich Frau Hinze niemals einfach danach fragen könnte, blieb mir also nur noch die erste Möglichkeit. 
"Warum glaubst du, ihr hättet euch geküsst?", riss Frauke mich aus meinen Gedanken. "Weil es nicht das erste Mal wäre." Jetzt dachte ich, Frauke würde ebenfalls in Ohnmacht fallen. "Was?", kreischte sie. "Pssst. Nicht so laut." "Entschuldige. Was?", flüsterte sie jetzt. Da ich gerade nicht wusste, was ich sagen sollte, zuckte ich nur mit den Schultern. "Ihr habt euch geküsst?", fragte Frauke. "Ja. Am See." Ihr schien es zu dämmern. "Und wie war es?" Mit dieser Frage habe ich irgendwie am wenigsten gerechnet. "Unbeschreiblich schön.", schwärmte ich. "Wahnsinn. Und jetzt?" "Jetzt haben wir seit dem kein Wort miteinander gesprochen und sie ignoriert mich." "Oh. Also fand sie es wohl nicht so gut, dass du sie geküsst hast.", sagte ich sie. "Ich hab sie nicht geküsst. Sie hat mich geküsst. Ich habe den Kuss erwidert." "Sie hat dich geküsst? Wow!" Ich dachte wieder an diesen Kuss zurück und alles in mir begann zu kribbeln. "Es war so toll, Frauke. Aber jetzt ist es irgendwie nur noch schlimmer geworden." Sie nickte verständnisvoll. "Versteh ich. Und wenn du mit ihr darüber redest?" "Wie denn? Sie geht mir aus dem Weg.", sagte ich. Ohne ein weiteres Wort nahm mich Frauke einfach in den Arm. Wieso habe ich mich ihr nicht schon viel eher anvertraut? Sie ist so super damit umgegangen und es tat total gut, es endlich jemanden zu erzählen. 

*****

Der Sonntag verging nur langsam. Ich lag den ganzen Tag mit Kopfschmerzen im Bett. Auf der Party ist nicht mehr viel passiert. Frauke hat uns bei Frau Hinze abgemeldet und mich dann nach Hause gebracht. Meine Mutter war zum Glück bei einer Freundin, sodass sie meinen Zustand nicht mitbekommen hat. Sie kam erst Sonntagabend nach Hause, aber da habe ich schon geschlafen. Oder immer noch. Denn ich habe den ganzen Tag nur im Bett verbracht und geschlafen. 
Als ich vor der Schule ankam, war Frauke schon da und erwartete mich sehnsüchtig. Wir setzten uns auf die Bank vor dem Schulgebäude und zündeten uns eine Zigarette an. "Geht es dir besser?", fragte sie liebevoll. "Ja, alles gut. Ich ärgere mich nur über mich selbst." "Wieso?" "Weil ich mich so abgeschossen habe.", sagte ich. "Kommt vor. Du hattest eben Liebeskummer." Frauke stieß mit ihrer Schulter gegen meine und lächelte. Plötzlich sah ich Frau Hinzes Auto an uns vorbei fahren. Auch Frauke musste es bemerkt haben, denn sie beobachtete das Auto auch. Nachdem sie eingeparkt hat, stieg sie aus dem Auto und warf sich ihre Tasche über die Schulter. Sie machte das mit so einer Eleganz, das mir fast schwindelig wurde. Als sie gerade los gehen wollte, bemerkte sie mich und blieb stehen. Frau Hinze warf einen Blick Richtung Schulhof und dann wieder zu uns. Sie schien kurz über etwas nachzudenken, doch dann kam sie genau auf uns zu. "Ich gehe dann mal auf den Vertretungsplan schauen. Kommst du klar?", fragte sie leise. "Klar, geh nur." Ich nickte ihr sicher zu und nahm mir dann noch eine Zigarette, die ich mir sogleich anzündete. Vor lauter Nervosität zitterte meine Hand und ich musste mir wirklich Mühe geben, das vor Frau Hinze zu verstecken. Gerade als die Zigarette an war, stand sie auch schon vor mir. "Guten Morgen.", sagte sie. Sie schien gut gelaunt zu sein. "Guten Morgen.", gab ich zurück. "Darf ich mich zu dir setzen?", fragte sie und ich rückte ein Stück zur Seite, um ihr etwas Platz zu machen. "Geht es dir besser?", fragte sie und steckte sich ebenfalls eine Zigarette an. "Ja, danke.", sagte ich kurz und knapp. Ich zog an meiner Zigarette und versuchte meine Unsicherheit zu überspielen. "Hör mal, Emily. Was da zwischen uns passiert ist..." Ja? "Wir sollten das beide so schnell wie möglich vergessen." Autsch! Sie traf mich mitten ins Herz. Ich wollte nichts vergessen. Warum hat sie mich denn dann überhaupt geküsst? Ich fühlte mich, als hätte mir jemand den Boden unter den Füßen weggerissen. "Ich weiß nicht, was da mit mir los war. Ich hätte dich nicht...ich hätte dich nicht küssen dürfen." Sie sah mich dabei nicht an. Warum sagte sie sowas? Ich wusste, zwischen uns würde es nie etwas werden. Doch irgendwie habe ich mir ein bisschen Hoffnung gemacht. "Also lass uns so tun, als wäre nie etwas passiert, okay?" Nichts war okay. Wie sollte ich denn so tun, als wäre da nie etwas gewesen? Wusste sie eigentlich, was sie da verlangte? "Das kann ich aber nicht.", hauchte ich leise, doch sie hat es gehört. "Du musst aber. Ich bin deine Lehrerin. Du meine Schülerin. Außerdem..." "Was?", fragte ich sie unsicher. Doch sofort bereute ich meine Frage wieder. Wollte ich das wirklich wissen? "Außerdem empfinde ich nichts für dich." BÄM! Das hat gesessen. Ich wollte weglaufen, doch mir fehlte die Kraft. Also blieb ich sitzen. Neben ihr. Ich rührte mich keinen Millimeter. "Es tut mir Leid." Jetzt stand sie auf und ging. Sie ließ mich einfach hier sitzen. Tränen stiegen mir in die Augen. Was tat sie bloß mit mir?

Gefährlicher Kuss (girlxgirl) #Wattys2017Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt