Kapitel 2

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Weiß. Sonst nichts. Eine kalte und viel zu grelle Farbe. Mein Blick war immer noch an die Decke gerichtet. Weshalb sind Decken eigentlich immer weiß gestrichen? Warum nicht rot, oder gelb? Blau wäre auch eine schöne Farbe. So wie der Himmel. Aber an einem sonnigen Tag, nicht der eines verregneten und nebeligen. Manchmal lag ich einfach so dort. Stundenlang konnte ich auf meinem Bett liegen und die Decke anstarren. Dabei war ich oft so in Gedanken verloren, dass ich gar nicht bemerkte, wie die Zeit verging. Plötzlich legte sich ein dunkler Schatten über die weiße Decke, denn es begann zu dämmern. Langsam stand ich auf und sah mich um. Irgendetwas gefiel mir nicht. Ich fing an, ein paar Dinge und Kleidungsstücke ordentlich an ihren Platz zustellen und räumte ein wenig auf. Danach stellte ich mich vor meinen Spiegel und betrachtete mich einen Moment. Ob ich ihr so gefalle? Leicht steckte ich mir mein langes, dunkles Haar zusammen und zog mir eine kleine Strähne ins Gesicht. Vielleicht bin ich einfach nicht auffällig genug, dachte ich. Ich durchsuchte meine Tasche und angelte mir einen roten Lippenstift heraus. Nachdem ich ihn auftrug sah ich wieder in den Spiegel und lächelte. Es sah gar nicht mal so schlecht aus. 

Ich war wohl ziemlich früh eingeschlafen. Als ich am nächsten Morgen aufwachte und mir durch mein Gesicht strich, sah ich das Rot an meiner Hand. Der Lippenstift, ich trug ihn noch. Auch sonst war ich noch vollkommen bekleidet. Mit einem Blick auf die Uhr bemerkte ich, dass ich schon viel zu spät dran war. Abrupt sprang ich aus dem Bett und eilte ins Badezimmer, wo ich mich schnell duschte, die Haare machte und sie mir dann zusammensteckte, so wie ich es gestern Abend tat. Für einen Moment überlegte ich kurz, mir den Lippenstift wieder aufzutragen, entschied mich dann jedoch dagegen und ging zurück in mein Zimmer, um mich anzuziehen. Als ich fertig war, ging ich in die Küche und setzte mich an den Tisch, an dem meine Mutter saß und in ihrer Zeitung las. "Guten Morgen. Spät dran heute", sagte sie, ihr Gesicht immer noch hinter der Zeitung versteckt. "Guten Morgen. Ja, ich habe wohl den Wecker nicht gehört", antwortete ich, während ich mir mein Brot schmierte. Nachdem ich mit dem Frühstück fertig war, verabschiedete ich mich rasch von meiner Mutter und machte mich auf den Weg zur Schule.

"Diese Formel ist wichtig, schreibt sie euch auf.", sagte Frau Hinze, während sie etwas an die Tafel schrieb. Mein Blick war weniger auf die Tafel gerichtet, als auf ihren Körper. Sie schrieb mit der rechten Hand, die Linke vergrub sie dabei in ihre Gesäßtasche. Meine Augen blieben genau dort hängen. Sie war einfach unglaublich attraktiv. "Wenn ich hier eine Klammer setze, wie würde es dann weitergehen...Emily?". Erschrocken wendete ich meinen Blick von ihr ab, sah dann wieder zur Tafel. Frau Hinze schrieb immer noch, doch sie fragte mich noch einmal. "Wie würde es weitergehen, Emily?" Nun drehte sie sich zu mir um und sah mir in die Augen. Ihr Blick war ernst, dann bildete sich ein leichtes Lächeln auf ihren Lippen. Ich würde fast sagen, es war ein provokantes Lächeln. "Die...ähm, also....die Klammer...die Lösung wäre..", stotterte ich. Ich brachte kein Wort raus und wusste auch gar nicht, worum es genau ging. Die gesamte Klasse beobachtete mich und mir wurde ganz warm. "Emily, dein Blick gehört an die Tafel und sonst nirgendwohin. Dann wüsstest du nun auch, worüber wir gerade sprechen." Dabei lächelte sie immer noch. Hatte sie mitbekommen, wohin ich sah? Dass meine Augen nur an ihrem Körper klebten und nicht an der Tafel? Dieser Gedanke trieb mir die Röte ins Gesicht und ich nickte bloß. Die restliche Stunde starrte ich nur noch auf meinen Tisch und betete, dass die Zeit blitzschnell verging. Leider zog es sich ins Unendliche. Nach dem Gong packten alle eilig ihre Sachen zusammen und fingen leise an zu tuscheln. Dabei sahen sie immer wieder zu mir herüber. Nachdem auch ich meine Unterlagen in die Tasche gestopft hatte, hörte ich Frau Hinze. "Emily, bleib bitte noch einen Moment." Was wollte sie denn? Ob sie gemerkt hat, was mit mir los ist? Panik stieg in mir hoch. Als alle draußen waren, ging ich nach vorne zu ihrem Pult. Wir waren nun ganz allein, in einem geschlossenen Raum. Nur sie und ich. "Setz sich", sie zeigte auf den Stuhl vor ihr und schlug die Beine übereinander. "Möchtest du mir sagen, was diese Stunde mit dir los war?" Ich sah sie nur an. "Hör mal, so geht das nicht mehr. Ich weiß, Mathe ist nicht dein Lieblingsfach, aber ich muss dich genau so drannehmen, wie andere Schüler auch. Das ist mein Job." Nun war sie ganz ernst. Ihre Augen waren wunderschön. Braun. Sie wirkten geheimnisvoll und gefährlich. "Wenn du nicht mit mir reden möchtest, ist das in Ordnung. Aber in 2 Wochen ist die Klassenfahrt und dann haben wir nur noch sechs Wochen, bis dieses Schuljahr zu Ende ist. Du musst nun wirklich Gas geben." Du meine Güte, die Klassenfahrt. Daran dachte ich überhaupt nicht mehr. Sieben Tage mit ihr und der Klasse in Rom. Eine Woche, jeden Tag mit ihr verbringen, sie jeden Tag sehen, hören und riechen. Ich hatte mich schon so lange darauf gefreut, wenngleich ich doch auch ein wenig Angst davor hatte.
"Ich bin gerade einfach sehr abgelenkt, daher kann ich mich nicht konzentrieren.", antwortete ich ihr. Lieber Gott, was habe ich da nur gesagt? Sofort änderte sich auch ihr Ausdruck und sie sah mich fragend an. "Was lenkt dich so ab?", fragte sie. Kurz überlegte ich was ich ihr darauf antworten sollte. "Na ja, meine Eltern", log ich. "Wir verstehen uns zurzeit einfach nicht gut." Sie zog eine Augenbraue nach oben. "Deine Eltern?" Ich nickte hektisch und rutschte etwas nervös auf meinem Stuhl hin und her. Nun lehnte sie sich zu mir nach vorne, lächelte. Es war genau das Lächeln von vorhin. Es schien, als wollte sie etwas sagen und verharrte einen Augenblick in dieser Position. Doch dann lehnte sie sich wieder zurück und legte ihre Unterlagen zusammen. "Du solltest nun nach Haus gehen.", sagte sie kühl. Verwundert sah ich sie an. War das etwa alles? Was genau wollte sie nun von mir? Wollte sie mir nur sagen, dass ich mich einfach mehr bemühen sollte? Irgendwas war da noch, doch ich wusste nicht was. Als ich aufstand und meinen Stuhl nach vorne schob, sah Frau Hinze nicht auf. Einen Moment blieb ich noch stehen, dann verabschiedete ich mich von ihr und verließ das Klassenzimmer. Dabei spürte ich ihren Blick auf mir. Ich spürte es einfach. 

Draußen atmete ich tief ein und aus. Die frische Luft tat gut und wirkte befreiend. Ich öffnete meine Haare und fuhr mit meinen Händen durch sie hindurch. Was für ein merkwürdiger Tag. 


Gefährlicher Kuss (girlxgirl) #Wattys2017Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt